In Berlin wächst die Infrastruktur für den neuen Mobilfunkstandard 5G – und die Kritik.
Immer häufiger ist die Rede von der anstehenden „Großen Transformation“. Ein „Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) befasst sich seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 mit Zukunftsfragen. Im Frühjahr hat er den Entwurf einer Charta „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vorgelegt, womit er „eine weltweite Diskussion über die Transformation zur Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“ anregen möchte. Die fortschreitende Digitalisierung scheint wie ein Naturereignis, das bestenfalls gestaltet, aber nicht verhindert werden kann.
Die Segnungen der Digitalisierung sollen sich beispielsweise in der Smart City niederschlagen. In der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung behaupten die in Berlin regierenden Parteien: „Eine Smart City, intelligente Stadt, schafft es, Wachstum bei sinkendem Ressourcenverbrauch zu erreichen, Verwaltungsprozesse zu digitalisieren und digitale Teilhabe für alle zu ermöglichen.“
Ein „Zukunftsort“ soll beispielsweise der „Flughafen Tegel als Urban-Tech-Standort“ werden. Wenn der Flugbetrieb eingestellt ist, soll dort eines der größten Smart-City-Projekte in Europa entstehen. In dem Forschungs- und Industriepark sollen dann Technologien für die Stadt der Zukunft entwickelt werden: „der effiziente Einsatz von Energie, nachhaltiges Bauen, umweltschonende Mobilität, Recycling, die vernetzte Steuerung von Systemen, sauberes Wasser und der Einsatz neuer Materialien“. Dann soll dort auch das Schumacher-Quartier mit mehr als 5.000 Wohnungen gebaut werden, wo die smarten urbanen Technologien gleich eingesetzt werden können.
Was ist eigentlich eine Smart City?
Eine eindeutige Definition von Smart City gibt es nicht, es lassen sich jedoch einige Kernpunkte benennen. Die Smart City ist eine digitalisierte Stadt, in der idealtypisch alles mit allem vernetzt ist: im öffentlichen Raum alles, was sich bewegt, vor allem Fahrzeuge und Menschen, aber auch Infrastrukturen wie Schienen, Schilder oder Laternen – und irgendwann wohl auch Wände und Straßenbeläge. Ebenso die gesamte Kommunikations- und Gebäudetechnik, auch in öffentlichen Einrichtungen, sowie in den privaten Wohnungen die Unterhaltungs- und Haushaltsgeräte. Saugroboter oder “Sprachassistenten“ wie Alexa sind erst der Anfang von diesem „Internet der Dinge“. Smart City bedeutet Totalvernetzung.
Durch das permanente Abgreifen von endlosen Datenmengen (Big Data) – auch als Data-Mining oder Datengrabbing bezeichnet – können mit entsprechenden Algorithmen neue „Erkenntnisse“ produziert werden, die euphemistisch als „künstliche Intelligenz“ bezeichnet werden. Jedoch sind es nach wie vor Geräte, die rein technische Schlussfolgerungen ziehen, deren Qualität einzig und allein von der Qualität der abgefangenen Daten und der Algorithmen zu deren Verarbeitung abhängt. Zu kreativen Leistungen sind Maschinen nicht fähig und können es auch nie werden. Insofern kann der Begriff „intelligent“ in diesem Zusammenhang als Kampfbegriff der Digitalindustrie verstanden werden, die der Profiteur dieser umfassenden technischen Aufrüstung ist.
Um immer mehr Lebensbereiche zu digitalisieren, müssen ständig neue Geräte angeschafft werden – ob ein solches Wachstum mit sinkendem Ressourcenverbrauch einhergehen kann, scheint äußerst fraglich. Hinzu kommt, dass allein für den Datentransfer umfassende technische Infrastrukturen – riesige Serveranlagen, Kabel und Sendemasten – wie auch große Mengen Energie produziert werden müssen. Der Berliner Verein Power Shift hat in seiner 2017 erschienenen Broschüre „Ressourcenfluch 4.0“ untersucht, wie die Digitalisierung weltweit Natur und Lebensgrundlagen vieler Menschen zerstört. Besonders tödliche Auswirkungen hat das Schürfen sogenannter Konfliktmineralien. Kriegerische Auseinandersetzungen fordern Millionen Tote, beispielsweise im Kongo.
Dass eine total vernetzte Produktion Beiträge zur Lösung der Rohstofffrage liefern könnte, ist für Power Shift ein Werbetrick, denn „gerade in diesem Bereich drohen Industrie 4.0, die Digitalisierung und die neuen Zukunftstechnologien neue und weitere Probleme aufzuwerfen, statt Antworten zu geben. Sie erzeugen neue Rohstoffbedarfe, die nicht über Recycling, Kreislaufwirtschaft oder gar einen heimischen Rohstoffabbau gedeckt werden können. Stattdessen liegt der Großteil der Abbaulasten auf den Bevölkerungen in den rohstoffreichen Ländern.“
Keine Smart City ohne 5G
Wenn eine ganze Stadt als Smart City mit Überwachungs- und Steuerungstechnologien ausgerüstet wird, müssen permanent riesige Datenmengen bewegt werden. Dafür wurde der neue Mobilfunkstandard 5G – die fünfte Generation von Mobilfunknetzen – entwickelt.
5G ist insbesondere für das flächendeckende autonome Fahren erforderlich. Ob es ethisch überhaupt vertretbar ist, Autos ohne verantwortliche Fahrzeugführung zuzulassen und damit Algorithmen die „Entscheidung“ zu überantworten, wie in einer Gefahrensituation zu reagieren sei, ist umstritten, trotzdem wird diese Technologie vorangetrieben. Nach ersten Versuchen auf dem Euref-Campus am Schöneberger Gasometer und auf dem Gelände der Charité fährt seit Mitte August ein autonomer Bus der BVG zwischen dem U-Bahnhof Alt-Tegel und dem Tegeler See. Bisher fährt noch eine Person zur Kontrolle mit.
In Berlin wurde soeben ein erster 5G-Versuchskorridor von Schöneberg bis Mitte fertiggestellt und in Betrieb genommen. An mehr als 20 Standorten hat die Telekom 70 5G-Antennen aufgestellt. Vodafone hat bislang einen 5G-Standort in Berlin, zwei weitere sollen folgen. Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Wirtschaft unterstützt Berlin „den 5G-Mobilfunkausbau durch die Beseitigung von Ausbauhindernissen, zum Beispiel durch die Umsetzung von effizienteren, digitalen Verfahren zur Zustimmung und Genehmigung. Ebenso unterstützt Berlin die entgeltliche Nutzung öffentlicher Gebäude sowie die Nutzung von Trägerstrukturen im öffentlichen Raum, wie Lichtmaste oder Werbeuhren, als Mobilfunkstandorte mit geringer Sendeleistung.“ Wirtschaftssenatorin Ramona Pop verkündet stolz: „Berlin stellt sich Zukunftsthemen frühzeitig. Für urbane Mobilitätskonzepte, Smart City, innovative Industrieanlagen oder klimafreundliche Verkehrswende ist der Mobilfunkstandard 5G notwendig. Mit der frühzeitigen Verfügbarkeit von 5G erhöhen wir die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes.“
Gegen den Betrieb der neuen 5G-Sendemasten gibt es jedoch erhebliche Bedenken. Harald Schumann und Elisa Simantke legten am 15. Januar 2019 in einem ausführlichen Bericht im „Tagesspiegel“ dar, dass sie anfangs glaubten, die Angst vor der Strahlenbelastung sei nur Spinnerei und Verfolgungswahn. Dann lasen sie Gebrauchsanleitungen von Handy-Herstellern, die vor möglichen Überschreitungen von Grenzwerten warnten. Sie fanden heraus, dass – trotz unterschiedlicher wissenschaftlicher Auffassungen – nur diejenigen in der EU und bei Bundesministerien politisches Gehör finden, die die Strahlung für unschädlich halten.
Eine private Forschungsgesellschaft namens „International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection“ (ICNIRP) dominiert die Meinungsbildung. „Aber schon bei dessen Adresse beginnt die Verquickung mit der staatlichen Ebene“, schreiben Schumann und Simantke. „Das Sekretariat des Vereins residiert mietfrei direkt im Bundesamt für Strahlenschutz im Münchner Vorort Neuherberg. Und die wissenschaftliche Koordination für ICNIRP erledigt praktischerweise die amtliche Leiterin der Abteilung für elektromagnetische Felder, Gunde Ziegelberger. Ihr Vorgänger war bis 2016 sogar Vorsitzender des Clubs. Zugleich fördert die Bundesregierung die Wissenschaftler-NGO mit rund 100.000 Euro pro Jahr.“ Enge Verquickungen des Vereins stellten sie auch mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und der EU-Kommission fest, und bemängeln, die EU stecke „mehr als 700 Millionen Euro in Projekte zur 5G-Entwicklung, aber nicht eines davon dient der Risikoforschung“.
Eine Stadt mit Augen, Ohren und Sensoren
Das Konzept Smart City erhielt 2018 den Big Brother Award des Vereins Digitalcourage, ein internationaler Schmähpreis, den Medien als „Oscar für Datenkraken“ bezeichnen. „Eine ‚Smart City‘ ist die perfekte Verbindung des totalitären Überwachungsstaates aus George Orwells ‚1984‘ und den normierten, nur scheinbar freien Konsumenten in Aldous Huxleys ‚Schöne Neue Welt‘“, erläuterte Rena Tangens in ihrer Laudatio. „Der Begriff ‚Smart City‘ ist eine schillernd bunte Wundertüte – er verspricht allen das, was sie hören wollen: Innovation und modernes Stadtmarketing, effiziente Verwaltung und Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Sicherheit und Bequemlichkeit, für Autos grüne Welle und immer einen freien Parkplatz.“
Als warnendes Beispiel beschrieb sie eine smarte Straßenlaterne: „Die leuchtet nicht nur, sondern enthält auch gleich Videoüberwachung, Fußgänger-Erkennung, Kfz-Kennzeichenleser, Umweltsensoren, ein Mikrofon mit Schuss-Detektor und einen Location Beacon zum Erfassen der Position. Stellen wir uns dies noch kombiniert mit WLAN vor, mit dem die Position von Smartphones ermittelt werden kann, Gesichtserkennung und Bewegungsanalyse, dann ist klar: Wenn diese Technik in unsere Stadt kommt, werden wir keinen Schritt mehr unbeobachtet tun.“
Als weiteres Beispiel führt Tangens die niederländische Stadt Enschede an, wo diejenigen, die ein Smartphone mit aktiviertem WLAN bei sich tragen, mit der eindeutigen MAC-Adresse getrackt werden. Für „gutes Verhalten – zu Fuß gehen, Fahrrad fahren, öffentliche Verkehrsmittel nutzen –“ dürfen sie zur Belohnung einen Tag kostenlos parken. Die Bewegungsprofile bekommt ein privates Unternehmen.
In Berlin hat die Bundespolizei am Bahnhof Südkreuz in Schöneberg bis Mitte 2018 ein einjähriges Pilotprojekt zur Gesichtserkennung mit 300 Freiwilligen durchgeführt. In einem zweiten Versuch wird dort nun getestet, wie zuverlässig Software auffälliges Verhalten erkennen kann: Liegt jemand am Boden, läuft über die Gleise, oder stehen auffällig viele Menschen zusammen? Die Überwachung soll bis zum Jahresende dienstags und mittwochs in markierten Bereichen des Bahnhofs mit Schauspielerinnen und Schauspielern ausprobiert werden.
Smarte Diktatur der Algorithmen?
Mit der Durchdigitalisierung aller Lebensbereiche wird sich alles verändern, auch die Demokratie. Dank Digitalisierung sollen politische Entscheidungen und deren Grundlagen transparenter werden und bessere Partizipation ermöglichen, vor allem in der Kommunalpolitik.
Mit dem Digitalisierungs-Hype tauchen viele neue Begriffe auf, wie die „Post-Voting Society“, die durch die Rundumüberwachung entstehen soll: „Da wir genau wissen, was Leute tun und möchten, gibt es weniger Bedarf an Wahlen, Mehrheitsfindungen oder Abstimmungen. Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen.“ Dieser Satz stammt nicht etwa aus einem Kabarettprogramm, sondern aus der Broschüre „Smart City Agenda“, 2017 herausgegeben vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung und dem Bundesumweltministerium. Die Vision der „Post-Voting Society“ geht auf einen Vortrag im Rahmen der „Dialogplattform Digitalisierung“ des Umweltministeriums zurück. Dass diese Zukunftsmusik kritiklos in einer offiziellen Broschüre der Bundesregierung unter der Überschrift „Visionen eines hypervernetzten Planeten“ abgedruckt wird, sollte sehr ernst genommen werden.
Die Appisierung des Alltags
Wer nutzt heute keine Apps – diese kleinen digitalen Helferlein, die das Leben erleichtern oder sogar „die Welt ein bisschen besser“ machen sollen. Oft stehen sie gratis zur Verfügung oder sind schon in Smartphone, Smartwatch oder andere Geräte eingebaut. Aber sie sind keineswegs umsonst, bezahlt wird mit den eigenen Daten, der Währung des digitalen Zeitalters. So wird nicht nur für Maschinen und Geräte in der industriellen Produktion, sondern auch für Menschen ein „Digitaler Zwilling“ angelegt, ein detailreiches Datenprofil, das auf Schritt und Tritt dem lebenden Wesen ähnlicher wird. Damit wird die vermeintliche „Intelligenz“ der Algorithmen verbessert – durch schlichte Erhöhung der abgegriffenen Datenmengen, an denen sie sich schärfen können. Das erleichtert es der Produktwerbung, auf individuelle Wünsche immer gezielter einzugehen. Medien können Inhalte entsprechend den persönlichen Interessen anbieten – mit dem Risiko der digitalen Echokammern, in denen sich Fake News und Verschwörungstheorien gegenseitig verstärken. Angeblich soll es sogar möglich sein, kriminelle Handlungen zu erkennen, bevor sie begangen werden. Wer den Digitalen Zwilling kennt, maßt sich an, schon im Voraus zu wissen, was der lebendige Mensch zukünftig tun wird. In den USA und in China wird solch „präventives Profiling“ teilweise bereits in der Polizeiarbeit eingesetzt.
Das vielleicht Erschütterndste ist, dass der Einsatz solcher Technologien in der Regel keiner Zwangsmaßnahmen bedarf, sondern dass immer mehr Menschen freiwillig den Konzernen und staatlichen Einrichtungen ihre Daten überlassen. Damit sind Überwachung und Manipulation, bis hin zur Repression, Tür und Tor geöffnet.
Was fehlt
Auf die vielen Facetten von Digitalisierung und Smart City einzugehen ist hier nicht möglich. Im Beitrag fehlen vor allem die massiven militärischen und neokolonialen Interessen hinter dieser digitalen Aufrüstung, ebenso die Digitalisierung und Privatisierung der Bildung, wie sie von Akteuren wie Bertelsmann-Stiftung und Hasso-Plattner-Institut vorangetrieben werden.
Es fehlen auch die gravierenden Auswirkungen auf die Arbeitswelt und auf das alltägliche Miteinander. Themen wie Datenfreizügigkeit als Grundrecht und Menschenrechte für Cyborgs sind Vorboten der Veränderungen von Welt- und Menschenbildern in diesem kulturellen Wandlungsprozess. Erhebliche Auswirkungen gibt es auf Kommunalpolitik und Stadtentwicklung, besonders im Verkehrsbereich.
In Berlin wird das Smart-City-Konzept bereits im „Wohnpark Marienfelde“ der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag umgesetzt. Europaweit wird über „Smart Villages“ (intelligente Dörfer) diskutiert.
Über einige dieser Themen wird der Rabe Ralf in den nächsten Ausgaben berichten.
Von Elisabeth Voß aus DER RABE RALF Oktober/November 2019, Seite 16/17 und mit freundlicher Erlaubnis der Autorin übernommen.
Literatur:
Peter Hensinger, Jürgen Merks, Werner Meixner: Smart-City- und 5G-Hype. Kommunalpolitik zwischen Konzerninteressen, Technologiegläubigkeit und ökologischer Verantwortung, Pad-Verlag, Bergkamen 2019. www.pad-verlag.de
Das Çapulcu-Redaktionskollektiv veröffentlichte online mehrere Broschüren mit radikaler Digitalisierungs-Kritik sowie das Buch „Dele_te!“ (Unrast Verlag, Münster 2019). www.capulcu.blackblogs.org