Die aktuellen Massenproteste in Ecuador richten sich mit Präsident Lenín Moreno gegen einen Hoffnungsträger der deutschen Außenpolitik. Moreno hatte kurz nach seinem Amtsantritt im Mai 2017 begonnen, den auf Sozial- und Bildungsprogramme sowie eine eigenständige Außenpolitik setzenden Kurs seines Amtsvorgängers, dem er selbst mehrere Jahre als Vizepräsident gedient hatte, zu verlassen. Stattdessen bindet er Ecuador erneut eng an die USA und hat dem Land im Februar einen IWF-Kredit gesichert, der ihn nun zu einer drastischen Austeritätspolitik zwingt.
Gegen die eskalierenden Massenproteste setzt Moreno Soldaten ein. Bereits im Februar hatte Bundespräsident Steinmeier Ecuador bereist und seinem Amtskollegen deutsche Unterstützung für seinen politischen Kurs zugesagt. In der vergangenen Woche wollte Moreno bei deutschen Unternehmen um Milliardeninvestitionen werben und in Berlin Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel führen. Wegen der aktuellen Proteste, bei denen sein Rücktritt gefordert wird, ist sein Deutschlandbesuch nun aber entfallen.
Kurs auf Eigenständigkeit
Ecuador hatte sich ehedem nach dem Amtsantritt von Präsident Rafael Correa am 15. Januar 2007 für rund ein Jahrzehnt an der Seite derjenigen Länder Lateinamerikas positioniert, die, wie etwa Kuba und Venezuela, eine gewisse Eigenständigkeit anstreben – jenseits der traditionellen nordamerikanisch-europäischen Dominanz. In dieser Zeit gelang es der Regierung tatsächlich, die Lage der breiten Bevölkerung spürbar zu verbessern. So wurde, wie es bereits 2013 in einer Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) hieß, „die nationale Armutsquote von 36,7 Prozent im Jahr 2007 auf 27,3 Prozent im Jahr 2011“ gesenkt.[1] Zugleich hätten sich die Bildungsausgaben „mehr als verdoppelt“, während „das drastische Ungleichgewicht in der Einkommensverteilung … deutlich [habe] abgemildert werden“ können, hielt die Ebert-Stiftung fest. Auch außenpolitisch bemühte sich Quito in jener Zeit um einen unabhängigeren Kurs; so gewährte es dem WikiLeaks-Aktivisten Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London politisches Asyl, später sogar die Staatsbürgerschaft Ecuadors. Zugleich intensivierte die Regierung die wirtschaftliche Kooperation mit der Volksrepublik China, die zum zweitgrößten Handelspartner des Landes aufstieg und Ecuador Kredite gewährte – in einem Volumen von gut vier Milliarden US-Dollar.[2]
Deutsche Einmischung
Die Bundesrepublik ist damals – wie die anderen Länder der EU und Nordamerikas auch – schon bald auf Distanz zu Präsident Correa gegangen. Bereits am 10. Mai 2007 sprach der deutsche Botschafter in Quito, Bernd Sproedt, bei Correa vor, um ihm die „Besorgnis“ Berlins und der EU über den Kurs seiner Regierung mitzuteilen: Die Union „erwarte“, dass die „gemeinsamen Werte und Ideen … respektiert“ würden.[3] Quito wies die deutschen Einmischungsversuche prompt zurück. Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik haben in der folgenden Zeit Correas Gegner unterstützt. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung etwa förderte den Movimiento CREO („Creando Oportunidades“, „Gelegenheiten schaffen“), in dessen Namen der Bankier Guillermo Lasso bei der Präsidentschaftswahl am 17. Februar 2013 gegen Correa antrat – freilich ohne Erfolg.[4] Die offene Parteinahme der deutschen Stiftung und weiterer Organisationen aus dem Ausland für die Opposition führte dazu, dass Ecuador sie im Juli 2011 per Gesetz einer gewissen Kontrolle unterwarf. Seitdem ist festgelegt, dass die Tätigkeit ausländischer Organisationen sich „nicht gegen die innere Sicherheit und den öffentlichen Frieden“ des Landes richten darf. Die Einhaltung dieser Bestimmung wird überwacht.[5] Die Adenauer-Stifung nahm dies zum Anlass, sich zum 1. September 2014 aus Ecuador zurückzuziehen.[6] Seitdem ist sie institutionell nicht mehr vor Ort präsent.
Neoliberal, an der Seite der USA
Allerdings beobachtet die Adenauer-Stiftung die Vorgänge in Ecuador von ihrer Außenstelle im benachbarten Peru aus genau. Im vergangenen November etwa schilderte sie in einem umfassenden Bericht den diametralen Kurswechsel, den der seit dem 24. Mai 2017 amtierende Präsident Lenín Moreno vornahm. Moreno, der von 2007 bis 2013 als Vizepräsident an Correas Seite gewirkt hatte, vollzog, wie die Adenauer-Stiftung konstatierte, „bereits nach rund zwei Monaten“ einen „völligen Bruch“. Zunächst habe er „aktiv den Dialog“ unter anderem mit „Unternehmergremien“ gesucht, „die sich klar oppositionell zum Correa-Regime positioniert hatten“.[7] Daran anschließend habe er eine „akzentuierte Austeritätspolitik“ umgesetzt, Sozial- und Bildungsausgaben gekürzt sowie die Mineralölsteuer deutlich erhöht. Damit einher ging, wie die Adenauer-Stiftung festhielt, ein außenpolitischer Kurswechsel: Ecuador verließ sämtliche Bündnissysteme um Kuba und Venezuela (ALBA, UNASUR) und schloss sich den Bündnissen neoliberal regierter Länder („Pazifik-Allianz“ [8], „Lima-Gruppe“) an. Insbesondere vereinbarten Ecuador und die Vereinigten Staaten bei einem Besuch von US-Vizepräsident Mike Pence im Juni 2018 „eine verstärkte US-ecuadorianische Kooperation im Sicherheitsbereich“. Am 18. Oktober 2018 verwies Ecuador gar den Botschafter Venezuelas des Landes. Weltweit Schlagzeilen machte, dass Präsident Moreno im April 2019 Julian Assange nicht nur die ecuadorianische Staatsbürgerschaft, die er zwischenzeitlich erhalten hatte, sondern auch das politische Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London entzog. Seitdem sitzt Assange in der britischen Hauptstadt in Haft.
Lob aus der Bundesrepublik
Morenos Kurswechsel ist in den deutschen Eliten begeistert begrüßt worden. Im Februar 2019 besuchte Frank-Walter Steinmeier als erster Bundespräsident seit über einem Vierteljahrhundert das Land; er wolle, hieß es zur Begründung, „den demokratischen Aufbruch Ecuadors würdigen“.[9] „Gegen einen globalen Trend entscheidet sich Ecuador für einen Weg der Öffnung“, behauptete das Bundespräsidialamt: „Deutschland schätzt diesen mutigen Schritt“. Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung streckt erneut ihre Fühler nach Quito aus. Am 7. März empfing der Generalsekretär der Organisation, Gerhard Wahlers, Ecuadors Vizepräsidenten Otto Sonnenholzer in Berlin; er hob, wie die Stiftung erklärt, deren „Interesse … an der Situation des Landes hervor und begrüßte die jüngste Entwicklung“.[10] Ein erster Höhepunkt beim Ausbau der deutsch-ecuadorianischen Beziehungen war ursprünglich für diesen Monat vorgesehen. So sollte Präsident Moreno am 8. Oktober als Ehrengast beim Galadiner des Lateinamerika-Tags des Außenwirtschaftsverbandes Lateinamerika-Verein empfangen werden; Gespräche mit investitionswilligen deutschen Unternehmern waren geplant. Darüber hinaus sollte Moreno in Berlin nicht nur mit Bundespräsident Steinmeier, sondern auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen: Sein neoliberaler Kurs stößt in Berlin auf Sympathie.
Massenproteste
Völlig anders beurteilt die Bevölkerung Ecuadors die Maßnahmen ihres Präsidenten, der im April 2017 unter der Annahme gewählt worden war, er werde die Politik seiner Partei und seines Amtsvorgängers Correa fortsetzen. Seit Monatsbeginn eskalieren die Proteste gegen Moreno. Der Auslöser war, dass die Regierung die Treibstoffsubventionen gestrichen hat; dies ist eine Auflage nicht für einen chinesischen, sondern für einen IWF-Kredit an Quito in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar gewesen, den der Währungsfonds Ecuador im Februar gewährte und der Teil eines Darlehenspakets von insgesamt rund zehn Milliarden US-Dollar ist. Der Preis für Benzin ist dadurch um 25 Prozent, der Preis für Diesel sogar um 100 Prozent gestiegen. Zudem werden im öffentlichen Dienst Gehälter um 20 Prozent gekürzt sowie der Urlaub halbiert. Den Protesten von Taxi- und Lkw-Fahrern haben sich längst Bauern, indigene Organisationen und Gewerkschaften angeschlossen. Präsident Moreno hat den Ausnahmezustand verhängt, das Militär gegen die Demonstranten aufmarschieren lassen und nun auch eine Ausgangssperre in Kraft gesetzt. Bereits jetzt sind fünf Todesopfer zu beklagen; Hunderte wurden verletzt, rund 1.000 Demonstranten sind festgenommen worden. Die Regierung zog zeitweise sogar aus Quito – die Stadt liegt in Ecuadors indigen geprägtem Hochland – in die stärker weiß dominierte Hafenstadt Guayaquil um, um den Demonstrationen zu entgehen. Ob sich Berlins ecuadorianischer Hoffnungsträger gegen die Massenproteste im Amt halten kann, ist noch nicht ausgemacht.
[1] Wolf Grabendorff: Ecuador – Zwischenbilanz der „Bürgerrevolution“. FES Ecuador Perspektive, März 2013. S. dazu Elitenwechsel mit Folgen.
[2] John Paul Rathbone, Colby Smith: IMF agrees to $4.2bn fund for Ecuador. ft.com 21.02.2019.
[3] Correa desecha preocupación europea por Ecuador; CadenaGlobal.com 10.05.2007. S. dazu Wandel durch Umarmung.
[4] S. dazu Ökologie und Interessen.
[5] Eva Haule, Harald Neuber: Konrad-Adenauer-Stiftung verlässt Ecuador. amerika21.de 27.08.2014.
[6] Kerstin Sack: Ecuador nimmt Stellung zum Weggang der Konrad-Adenauer-Stiftung. amerika21.de 31.08.2014.
[7] Sebastian Grundberger, Carla Bonilla: Ecuadors Chance. kas.de 28.11.2018.
[8] S. dazu Die Strategie der Pazifik-Allianz.
[9] Reise in die Republik Ecuador. bundespraesident.de 13.02.2019.
[10] Annette Schwarzbauer: „Wir verfolgen die politische Entwicklung Ecuadors mit Freude“. kas.de 12.03.2019.