„Es können nicht alle kommen!“ Mit dieser Aussage wird die Forderung nach einem allgemeinen Recht auf Migration, einem Recht auf Bewegungsfreiheit oft als unrealistisch und unrealisierbar abgetan. Wir sind anderer Meinung. Eine kürzlich erschienene Publikation der UNESCO mit dem Titel „Migration without Borders“ bestärkt uns in unserer Ansicht. In den nächsten Abschnitten zitieren wir, leicht angepasst, einige Argumente aus dem Einführungskapitel des Buches.
Quelle: www.bleiberecht.ch
Ist es möglich, Migration zu kontrollieren?
Die Antwort ist nein. Niemand kann die Menschen stoppen, die selber entscheiden wollen, wo sie leben. Auch ausgeklügelte Grenzkontrollen schaffen es nicht, Menschen davon abzuhalten, in ein Land einzureisen. Dazu kommt, dass die offiziell verbreitete Haltung des Kampfes gegen „illegale“ Migration von der eigentlichen Absicht der Staaten abweichen kann: „Eine gütige Nachlässigkeit im Umgang mit illegaler Migration kann sich zum Beispiel mit den Interessen von Staaten oder Arbeitgebern decken, die froh sind über unorganisierte und irreguläre Arbeitskräfte.“ Trotz all der Repression gegen illegalisierte MigrantInnen in der Schweiz trifft diese Aussage auch auf die Schweiz zu, muss man hier ergänzen. 100’000 bis 300’000 AusländerInnen ohne Aufenthaltbewilligung verrichten in der Landwirtschaft, auf Baustellen oder in Privathaushalten volkswirtschaftlich wertvolle Arbeit, schutzlos und zu miserablen Konditionen. Sie alle konsequent zu verfolgen, ist logistisch kaum möglich und wohl auch nicht erwünscht. Wer würde sonst diese Arbeiten machen?
Wieviele Menschen würden migrieren?
Nicht alle EinwohnerInnen eines Auswanderungslandes sind darauf erpicht, ihr Land zu verlassen. „Es ist anzunehmen, dass eine Person normalerweise ihre Heimat nicht ohne zwingenden Grund verlässt, ausser sie sucht Abenteuer oder will einfach die Welt sehen.“ Restriktive Politik hält zudem Leute nicht von Migration ab. Das Szenario einer Migration ohne Grenzen hätte deshalb wenig Auswirkungen auf die zahlreichen MigrantInnen, die ihr Land verlassen, ob es nun autorisiert ist oder nicht. Es würde aber deren Reisegefahren vermindern. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit begrenzen die Freiheit der MigrantInnen, zwischen ihrem Herkunftsland und dem Zielland hin- und herzureisen und führen so zu einer höheren Rate von permanenter Niederlassung. Das Szenario einer Migration ohne Grenzen würde mehr MigrantInnen erlauben, vorübergehend oder permanent in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Damit würde bis zu einem gewissen Grad ein Gegengewicht entstehen zur steigenden Anzahl der Leute, die ihr Land verlassen wollen. In Mexiko zum Beispiel versuchen MigrantInnen die Grenze zu überqueren, bis sie es schaffen. Wenn sie es geschafft haben, tendieren sie dazu, sich permanent in den USA niederzulassen, weil die Grenzüberquerung so schwierig ist.
Auf dem Weg zu einem Recht auf Bewegungsfreiheit?
Es ist Zeit, die moralische Basis von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in Frage zu stellen. Paradoxerweise ist die Auswanderung als Menschenrecht anerkannt, die Einwanderung aber nicht. Durch irreguläre Migration drücken die Menschen ihren Anspruch aus auf das Recht, sich frei zu bewegen. Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit treffen aber längst nicht alle gleich: „Wie in Südafrikas Apartheidsystem haben die hoch qualifizierten ‘Weissen’ das Recht, ein- und auszuwandern, während die Unqualifizierten angeblich an den Boden ihrer Geburt gebunden sein sollen, ohne dass man ihnen die Chance gibt, der Armut zu entfliehen.“ Ein Recht auf Migration wäre nicht einfach ein weiteres in der Liste der Menschenrechte. Ohne Möglichkeiten, sich frei zu bewegen, scheinen andere, bereits anerkannte Rechte kaum realisierbar: die freie Wahl der Beschäftigung oder ein angemessener Lebensstandard etwa.
Quelle: Pécoud, Antoine, De Guchteneire, Paul (Hg.), „Migration without Borders: Essays on the free Movement of People“, Paris/New York/Oxford 2007
Ergänzungen zum obigen Text
Klar ist für uns, dass es nicht beim Proklamatorischen bleiben darf. Es geht um Rechte, die eingefordert, angeeignet, erkämpft werden müssen. Und es geht – als Konsequenz der obigen Überlegungen – auch um „Entkriminalisierung“, denn erst die Gesetze machen die Menschen zu „Illegalen“.
Wichtig ist auch die Diskussion um die Migrationsursachen, die oft Ausdruck sind der Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie. In den Peripherien werden im Zuge der kapitalistischen Globalisierung immer mehr Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt, zum Beispiel durch ländliche Entwurzelung infolge der erzwungenen Weltmarktintegration von Kleinbauern, während in den Zentren die Nachfrage nach marginalisierten Arbeitskräften zunimmt.
Zentral ist zudem die Frage der Funktionalität von Grenzen: Die Mauer und das Loch sind keine Gegensätze, sondern komplementäre Spielarten zur Reproduktion der Ungleichheiten in der internationalen Arbeitssteilung. Grenzen steuern die Zuwanderung nicht quantitativ, sondern filtern sie sie qualitativ: durch Selektion. Ein Teil wird als reguläre Migranten integriert, v.a. die Hochqualifizierten und jene, nach denen eine ökonomische Nachfrage besteht. Der Rest wird illegalisiert, d.h. sie müssen an den Grenzen ihre politischen und sozialen Rechte „abgeben“ und sich ohne offiziellen Aufenthaltsstatus, als Sans-papiers, durchschlagen. Europa ist eine Festung mit DienstbotInneneingang.