Seit mehr als drei Monaten sitzt Julian Assange nun schon im südenglischen Hochsicherheitstrakt Belmarsh. Zuvor hatte er mehr als sechs Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London aus Angst vor der Auslieferung in die USA wegen der Veröffentlichung belastender amerikanischer Staatsdokumente verbracht. Während dieser Zeit haben die großen Medien des Westens den australischen Ausnahmejournalisten verspottet, seinen Verdacht der juristischen Verfolgung durch die US-Behörden als „Verschwörungstheorie“ abgetan und die Lage so verdreht, als wolle sich der Wikileaks-Gründer lediglich wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung in Stockholm 2010 vor einer Auslieferung nach Schweden drücken.
Seit das Justizministerium in Washington im Mai beim High Court in London einen Auslieferungsantrag eingereicht hat, in dem Assange Spionage in 18 Fällen angelastet wird, was ihm im Falle des zu erwartenden Schuldspruchs eine Freiheitsstrafe von rund 150 Jahren einbrächte, steht fest, daß die besserwisserischen Kommentatoren der Konzernmedien jahrelang „fake news“ über den Wikileaks-Chef verbreitet haben und der Australier ganz im Gegenteil derjenige gewesen ist, der mit der Einschätzung seiner vertrackten Lage vollkommen recht hatte.
Vor diesem Hintergrund ist es schlichtweg unverständlich, daß Assange in dem spektakulären Enthüllungsbericht der Madrider Vorzeigezeitung El País vom 9. Juli über sein jahrelanges Ausspionieren per Mikrophon und Kamera in der ecuadorianischen Botschaft durch die spanische „Sicherheitsfirma“ Undercover Global, die für das diplomatische Gebäude zuständig war, immer noch als Paranoiker hingestellt wird. Das umfangreiche UC-Global-Material ist nur deshalb ans Tageslicht gekommen, weil im Mai der Journalist José Martín Santos und ein befreundeter Computerprogrammierer festgenommen wurden, nachdem sie versucht hatten, mittels der geklauten Daten von Wikileaks drei Millionen Euro zu erpressen. Aus den Unterlagen geht hervor, daß Assange während der ganzen Zeit in der Botschaft Ecuadors unter einer Rundumbeobachtung à la Big Brother stand. Jede Bewegung wurde per Video, jede Äußerung per Mikrofon festgehalten und gespeichert. Jeden Tag mußten die UC-Global-Späher in London einen Bericht über den Lauf der Operation an Firmenchef David Morales, ein ehemaliges Mitglied der Spezialstreitkräfte der spanischen Marine, in Cadiz abliefern. Jeder Besucher wurde identifiziert und registriert, sogar Assanges Gespräche mit seinen Anwälten abgehört.
Assange machte sich über das Treiben seiner mächtigen Feinde nichts vor. Er benutzte einen elektronischen Stimmenverzerrer, um vertrauliche Gespräche, seien sie privat oder geschäftlich, auch vertraulich zu halten. Inwieweit UC-Global dennoch in der Lage war, die Gespächsinhalte mit technologischen Mitteln zu „entziffern“ ist nicht bekannt. Wenn Assange Gedanken zu Papier brachte oder ins Laptop tippte, hielt er mit der zweiten Hand eine Mappe darüber, um den Text vor ungebetenen Blicken zu schützen. Trotz alledem schreibt El País, „Assange war wegen möglichen Ausspionierens so paranoid, daß er einige seiner Treffen auf der Damentoilette, die er für einen sicheren Ort hielt, führte“. Dabei handelt es sich um Treffen mit seinen Anwälten Jennifer Robinson aus Australien und Baltasar Garzón aus Spanien. UC-Global schreckte nicht einmal davor zurück, eine Kotprobe aus der weggeworfenen Windel des Kindes einer von Assanges Besucherinnen zu nehmen, um herauszufinden, ob der Wikileaks-Chef nicht vielleicht der Vater sei. Wäre die Frage positiv beantwortet worden, hätte dies Assanges Gegner ein enormes Druckmittel in die Hand gegeben.
Unterdessen laufen die Repressionen gegen Assange und seine Unterstützer auf Hochtouren. Am 10. Juli hat Richterin Emma Arbutnot den Befangenheitsantrag der Verteidigung zurückgewiesen, ungeachtet der Tatsache, daß ihr Mann, James Norwich Arbutnot, ein hohes Tier im britischen Sicherheitsapparat ist. Der ehemalige Tory-Abgeordnete sitzt heute als konservativer Lord im britischen Oberhaus und gehört dem Beirat sowohl des Rüstungsherstellers Thales als auch des staatlich finanzierten Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI) an. Die Weigerung von Arbutnot, den Assange-Fall an einen Kollegen oder eine Kollegin abzugeben, stellt einen klaren Verstoß gegen den offiziellen „Guide to Judicial Conduct“ dar, der in England und Wales die richterliche Unabhängigkeit von Exekutive und Legislative sichern soll, und spricht für die These der Wikileaks-Anhänger, daß es sich hier um einen politischen Schauprozeß handelt, dessen Ausgang – Auslieferung in die USA – längst feststeht.
Die Komplizenschaft der Medien wird durch den skandalösen Umstand verdeutlicht, daß keine namhafte Zeitung in Großbritannien oder den USA, weder Guardian, noch Daily Telegraph, New York Times oder Washington Post, den Leitartikel abzudrucken bereit war, den der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer, nach seinem Besuch bei Assange in Belmarsh Mitte Mai verfaßt und den betreffenden Redaktionen angeboten hatte. In dem Artikel beklagte der ehemalige Rechtsberater des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes den schlechten geistigen und physischen Zustand Assanges und führte ihn auf eine systematische Kampagne der Isolationsfolter und des Mobbings zurück.
Am 11. Juli hat Twitter ohne nähere Begründung das Konto des Assange-Solidaritätskomitees @unity4j gesperrt. Diese Sperrung hält bis zur Stunde an. Am selben Tag wurde die Website Consortium News, die sich seit Jahren für Whistleblower im allgemeinen, Assange und dessen wichtigste Quelle, die in den USA derzeit ebenfalls inhaftierte Chelsea Manning, im besonderen stark macht, Opfer eines schweren Hackerangriffs, weswegen bis heute die meisten Artikel in deren Archiven nicht zugänglich sind. Dafür jedoch wartete am 15. Juli CNN mit einem durchsichtigen Propagandabericht auf, mit dem die Macher bei dem CIA-nahen Nachrichtensender die Informationen aus der UC-Global-Sammlung dahin verbogen, daß daraus der „Beweis“ für die lachhafte These wurde, Assange sei eine Marionette des Kreml, die im Auftrag Wladimir Putins 2016 mittels „gehackter“ E-Mails die Wahlkampfkampagne Hillary Clintons gegen Donald Trump torpediert habe.
Immer wieder hat Assange bestritten, besagte Emails von russischen Hackern erhalten zu haben, und statt dessen von einem Leck bei den Demokraten als eigentliche Quelle gesprochen. Bei seinen zweijährigen Ermittlungen hat Ex-FBI-Chef Robert Mueller, der im Auftrag des US-Justizministeriums die gesamte Russiagate-Affäre aufklären sollte, auf eine Befragung Assanges verzichtet. Die einzige plausible Erklärung für ein solches Verhalten ist, daß der ehemalige Leiter der US-Bundespolizei die Antwort auf die Frage nach der Methode der Überführung der DNC-Daten von Washington zu Wikileaks längst wußte und sie nicht von Assange bestätigt haben wollte, damit in den USA die Hysterie gegen Rußland und Putin uneingeschränkt ihren Lauf nehmen konnte.
Veröffentlicht am 18. Juli 2019 auf Schattenblick: MEDIEN/486: Wikileaks – ausgenutzt und abgemolken … (SB)