Seit kurzem ist die Modern Monetary Theory, kurz MMT, in aller Munde: von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez in die öffentliche Diskussion eingebracht und von vielen sogenannten Top-Ökonomen kritisiert, von BlackRock CEO Larry Fink sogar beschimpft (Quelle: Focus). Grund genug, sich die MMT einmal näher anzuschauen. Der folgende Beitrag von Günter Grzega setzt das Thema in Perspektive und räumt mit einigen Mythen über Geld auf.
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Mythen ums Geld und die Modern Monetary Theory (MMT)
Seit Jahren setze ich mich für eine Überwindung des auf der neoklassischen Ökonomie aufbauenden Neoliberalismus und für die Umsetzung einer gemeinwohlorientierten ökosozialen Marktwirtschaft, also für das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie, ein. Diese für eine gelingende Zukunft unbedingt erforderliche Überwindung der aktuell als „Pseudo-Marktwirtschaft“ herrschenden neoliberalen Ideologie berührt bei fast allen Diskussionen immer auch das Thema „Wesen des Geldes“, zum Beispiel die berühmt-berüchtigte Frage „Ja und wie ist das finanzierbar“?
Für mich als ehemaligen Vorstandsvorsitzenden einer großen Genossenschaftsbank, der Sparda-Bank München eG, mit bankfachlichem Studium waren relativ viele Fragen beantwortbar. Zu meiner Überraschung stieß ich aber trotzdem immer wieder an meine Grenzen der Erklärbarkeit bei Systemfragen der modernen Geldsysteme. Als ich mich deshalb tiefer gehend mit diesen Systemen auseinandersetzte, merkte ich immer mehr, dass – ähnlich wie bei den Wirtschaftsstudiengängen – auch in den bankspezifischen Studienfächern die Gesamtzusammenhänge nicht umfassend gelehrt wurden.
Dadurch wurde für mich nachvollziehbar, dass die in der Kindheit und Jugend erfahrenen Konditionierungen zum Geldthema auch bei den Eliten unserer Gesellschaft, ja bei fast allen BürgerInnen, wirkten und dadurch auch absolut kontraproduktive wirtschafts- und gesellschaftspolitische Entscheidungen getroffen wurden und werden.
Beispielhaft nenne ich hier ein paar Narrative:
„Sparen ist gut und Schulden machen ist schlecht“ – obwohl Sparen nur möglich ist, wenn andere Akteure im gleichen Umfang Schulden machen. Geld entsteht immer und ausschließlich durch einen Kredit (= Schulden).
„Die Welt ist überschuldet“ – obwohl auch hier unausweichlich gilt, dass diese Geld-Schulden im absolut gleichen Umfang als Geld-Vermögen existieren (nur die Verteilung passt nicht mehr). Werden Schulden abgebaut, wird im gleichen Umfang Geldvermögen vernichtet.
„Geld ist ein knappes Gut“ – obwohl ein souveräner Staat (mit Zentralbank) mit eigener Währung als Schöpfer dieser Währung Geld unbegrenzt erschaffen kann und solche Staaten auch niemals „Pleite gehen“ können, solange sie sich nicht in Fremdwährung verschulden.
„Der Staat soll seine Schulden zurückzahlen“ – obwohl Sparguthaben in den privaten Sektoren (Haushalte und Unternehmen) auf Grund der Saldenmechanik nur möglich sind, wenn der Staat „Schulden“ durch Geldschöpfung produziert (Ausnahme: statt des Staates verschuldet sich das Ausland, was aber nur vorübergehend möglich ist).
Anmerkung: Die dem Euroraum angehörenden Staaten haben ihre Geld-Schöpfungssouveränität und damit auch jede souveräne Wirtschaftssteuerung aufgegeben und damit an die nicht demokratisch legitimierte EZB abgegeben. Dass EZB-Chef Draghi im Zuge der Finanzkrise durch den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen die Euro-Staaten vor dem „Markt“ (Realität: Spekulanten) schützte, hat den einfachen Grund, dass sonst den PolitikerInnen der Euro um die Ohren geflogen wäre. Draghis Sachverstand war letztlich ein Glücksfall für die Erhaltung der EU. Aber ohne eine Neuregelung des Eurosystems hat diese Währung erkennbar keine Zukunft.
„Die Flutung der Wirtschaft mit Zentralbankgeld durch die EZB führt zu Inflation“ – Diese Aussage war und ist dem Nichtverständnis des Zusammenspiels der beiden Kreisläufe „Bankengeld“ (Giralgeld/Buchgeld) und „Zentralbankengeld“ (Reserven und Bargeld) geschuldet. Und wer dann auch noch glaubt oder gar behauptet, dass die „Schulden“ der Zentralbank durch Schöpfung von Zentralbankgeld letztlich die „Steuerzahler“ belasten könnte, versteht tatsächlich absolut nichts von modernen Geldsystemen.
Dass eine am Gemeinwohl ausgerichtete gelingende Zukunft (sogar mit Vollbeschäftigung) und dem Umwelt- und Klimaschutz verpflichtete Politik nur umsetzbar ist, wenn die umfassenden Möglichkeiten und Gegebenheiten der modernen Geldsysteme genutzt werden, kann man ohne Zweifel beim Studium dieser Systeme erkennen.
Und dieses Erkenntnisgewinnung erreicht man am einfachsten und meines Erachtens auch am fundiertesten auf der Homepage der Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie e. V. in Berlin. Dort gibt es unter dem Button „Modern Monetary Theory“ zwei Beiträge, deren Lektüre für Interessierte sehr zu empfehlen ist: „MMT und Europäische Makroökonomie“ sowie auch „Für mehr Demokratie, echte Vollbeschäftigung, und eine gerechte Einkommensverteilung: Grundbegriffe der modernen Geldtheorie“.
Dabei gebe ich zu, dass mich der Ausdruck „Modern Monetary Theory“, kurz „MMT“, schon relativ stark stört, da es eben keine neuen Theorien zum Geldwesen aufzeigt, sondern schlicht und einfach die Funktionsweise und die bilanziellen Gegebenheiten (einschließlich Saldenmechanik) unseres Geldsystems. Ich vergleiche dies mit Galileo Galileis Erkenntnissen, die ja auch keine neue Theorie unseres Sonnensystems war, sondern schlicht und einfach die Realität.
Deshalb konnten sich die Mehrheit der damaligen Wissenschaftler nur dadurch der Erkenntnis der Fehlerhaftigkeit des geozentrischen Weltbilds entziehen, indem sie sich weigerten, durch Galileis Fernrohr zu schauen. Ein ähnliches Verhalten kann man aktuell eben auch bei der Mehrheit der Eliten in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Journalismus beim Thema „Geld“ beobachten.
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Günter Grzega ist Diplom-Bankbetriebswirt und Diplom-Verwaltungsbetriebswirt. Er ist emeritierter Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG, Vorsitzender des Nachhaltigkeits-Beirats der Bank sowie Botschafter der Gemeinwohl-Ökonomie. In seiner Amtszeit hat Grzega die Sparda-Bank München mit zur größten Genossenschaftsbank Bayerns geführt. Von 2010 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik (IGP). Zuletzt erschien von ihm das Buch „Die Vorstufe zum Paradies für uns alle – Warum wir sie erreichen können und wie sie finanzierbar wäre“, geschrieben zusammen mit Sarah Benecke und Gunther Moll (erschienen im Papeto-Verlag, 2018).