Berlin – PROVIEH fordert in einem gemeinsamen offenen Brief mit neun weiteren Verbänden einen sofortigen Stopp der Schlacht- und Zuchttiertransporte in außereuropäische Drittstaaten.

Angesichts gravierender Tierschutzverstöße bei Lebendtierexporten besteht dringender Handlungsbedarf. Mehrere Bundesländer haben bereits einen vorläufigen Stopp der Transporte in Drittstaaten erlassen: Verboten sind einige Länder des nahen Ostens sowie die Türkei.

Jedoch laufen die verhängten Stopps Gefahr, untergraben zu werden: In zwei Fällen haben Gerichte entschieden, dass die Tiere trotz Verbot vorerst abgefertigt und zu Sammelstellen nach Niedersachsen geschickt werden müssen. In diesen Fällen müssen niedersächsische Veterinäre entscheiden, ob sie die Rinder nach Algerien bzw. Marokko abfertigen. In den Zielländern droht den Tieren nach dem strapaziösen Langstreckentransport früher oder später ein grausamer Tod, der in keinster Weise mit dem europäischen Tierschutzstandard vereinbar ist.

Acht Tierschutz- und zwei Tierärzteorganisationen fordern die Niedersächsische Landwirtschaftsministerin auf, im eigenen Bundesland Rechtssicherheit zu schaffen, und ihrerseits einen Exportstopp für Tiere in Drittstaaten außerhalb Europas zu erlassen.

Dazu sagt Jasmin Zöllmer, Referentin für Agrarpolitik bei PROVIEH:

“Die meisten Tiere schützen die bisherigen Verbote noch nicht, weil die Genehmigung für die Fahrt in einem anderen Bundesland erteilt wird. Niedersachsen muss jetzt schnell handeln, um die Bestrebungen von Schleswig-Holstein und Hessen, dem Tierschutzgesetz zu entsprechen, nicht zu untergraben! Wir brauchen außerdem dringend ein nationales Verbot der Tiertransporte in Drittstaaten, in denen Tierschutz mit den Füßen getreten wird. Hier ist Bundesministerin Klöckner gefragt.”

Hintergrund

Zwei Rechtsgutachten haben aufgezeigt, dass sich Amtsveterinäre der Beihilfe zur Tierquälerei schuldig machen, wenn sie Tiertransporte in Drittländer genehmigen, die nicht unseren Tierschutzstandards entsprechen. Einige Veterinärämter in Bayern weigerten sich daraufhin, Ausfuhrgenehmigungen zu erteilen. Auslöser war der geplante Transport einer trächtigen Kuh, die rund 5.000 Kilometer weit nach Usbekistan transportiert werden sollte. Mehrere Bundesländer verhängten daraufhin Ausfuhrstopps in bestimmte Drittstaaten, darunter Bayern, Schleswig-Holstein und Hessen. Thüringen plant ebenfalls ein vorläufiges Verbot.

Das Europäische Parlament stimmte im Februar für eine Verbesserung der Bedingungen von Tiertransporten innerhalb und außerhalb der EU. Mitglieder des EU-Agrarausschusses forderten das Parlament in einem Bericht dazu auf, die Transportbedingungen für Tiere zu verbessern, Kontrollen zu verschärfen und Transporte in Drittstaaten außerhalb der EU zu unterbinden, wo Transporte zu EU-Bestimmungen nicht möglich sind. Den Mitgliedstaaten sollen härtere Sanktionen drohen, wenn sie sich nicht an geltendes EU-Recht halten. Zukünftig sollen Alternativen wie mobiles Schlachten und der Direktverkauf gefördert werden.

Große Koalition verweigert Tierschutz

Der Deutsche Bundestag hatte im letzten Jahr die Möglichkeit diese Transporte zu stoppen. Sowohl die Grünen als auch die FDP wollten in einem Antrag ein Aussetzen aller Tiertransporte in Drittstaaten erwirken. PROVIEH forderte in einem gemeinsamen offenen Brief an den Bundestag mit acht weiteren Verbänden einen sofortigen Stopp der Lebendtiertransporte in Drittstaaten. Doch die große Koalition konnte sich nicht einmal zu einem Verbot der Schlachttierexporte durchringen. Ein Armutszeugnis für die große Koalition, die in puncto Tierschutz endlich mal ein Zeichen setzen sollte.

PROVIEH fordert gemeinsam mit den anderen unterzeichnenden Organisationen den sofortigen Stopp von Lebendtierexporten in außereuropäische Länder und setzt sich durch Aufklärungsarbeit, gemeinsame Aktionen und politische Arbeit für ein solches Verbot ein.

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GEMEINSAMER OFFENER BRIEF, 20. März 2019

Barbara Otte-Kinast
Niedersächsische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Niedersachsen
Calenberger Straße 2
30169 Hannover

Beenden Sie Tiertransporte in außereuropäische Drittstaaten

Sehr geehrte Frau Ministerin,

Angesichts wiederholt berichteter und dokumentierter eklatanter Tierschutzverstöße auf Langzeittransporten von lebenden Zucht- und Schlachttieren in Drittstaaten sowie Schlachtpraktiken in den Zielländern, die Bemühungen der EU um tierschutzgerechte Schlachtung ad absurdum führen, wenden wir uns verbandsübergreifend an Sie.

Mehrere Bundesländer verschärfen die Regelungen für Tiertransporte in bestimmte Nicht-EU-Staaten. In Bayern, Schleswig-Holstein und Hessen herrschen mittlerweile Transportstopps in Länder, in denen die Tierschutzstandards in keinster Weise mit dem EU-Standard zu vergleichen sind. Aktuell gibt es bereits zwei Fälle bei denen Rinder, trotz des Exportverbots vor Ort, nach Niedersachsen transportiert werden sollen, um sie anschließend nach Algerien bzw. Marokko abzufertigen.

Wir fordern Sie auf, die Bemühungen anderer Bundesländer nicht zu untergraben, durch einen Erlass Rechtssicherheit zu schaffen und alle Tierexporte in Drittländer zu unterbinden!

Tierschutzverstöße, insbesondere auf langen Transportstrecken, sind seit Jahren immer wieder Gegenstand von Berichten und Dokumentationen und werden regelmäßig von Tierschutzorganisationen und tierärztlichen Verbänden angeprangert. Die EU-Transportverordnung (VO (EG) 1/2005) hat nicht zu den erhofften Verbesserungen geführt.

Aber nicht nur die Transportbedingungen müssen scharf kritisiert werden: Die Schlachtbedingungen in einigen Empfängerstaaten können nur als Tierquälerei bezeichnet werden (Ausstechen der Augen, Durchtrennen von Sehnen an den Extremitäten, nicht-fachgerechte Schlachtung ohne Betäubung). Daher besteht aus unserer Sicht sofortiger Handlungsbedarf.

Das Rechtsgutachten von Dr. Christoph Maisack und Dr. Alexander Rabitsch hat aufgezeigt, dass sich Amtsveterinäre der Beihilfe zur Tierquälerei schuldig machen, wenn sie Tiertransporte in Drittländer genehmigen, die nicht unseren Tierschutzstandards entsprechen: „Die Schlachtung in diesen Ländern erfolgt in aller Regel unter tierquälerischen Bedingungen. Für die Amtstierärztin/den Amtstierarzt, die/der einen Tiertransport in ein solches Land nach Art. 14 Abs. 1 TTVO genehmigen soll, stellt sich deswegen die Frage, ob sie/er mit dieser Amtshandlung nicht eine Beihilfe/Beitragstäterschaft dazu leistet, dass an den Tieren – wenn auch erst in einiger räumlicher Entfernung und mit einer mehr oder weniger großen zeitlichen Distanz – der Straftatbestand der Tierquälerei (in Deutschland strafbar nach § 17 Nr. 2 b TierSchG) verwirklicht wird.

Hierbei geht nicht nur um den Transport von Tieren, die am Ende ihrer langen Reise unter tierschutzwidrigen Bedingungen geschlachtet werden. Den weitaus größeren Anteil an Lebendtierexporten verzeichnet der Transport von Zuchtrindern. Zuchttiere werden zu dem Zweck importiert, eine eigene Population aufzubauen, d.h., auf lange Sicht nicht mehr auf den Import von Tieren angewiesen zu sein. Der über Jahre hinweg andauernde Erwerb von Zuchttieren aus Europa ist daher zu hinterfragen: wenn es an Futterbasis, Wissen und Können zum Aufbau einer eigenen Tierpopulation zur Milchversorgung mangelt und die Voraussetzungen für die Zucht von Hochleistungstieren eindeutig nicht gegeben sind, muss Europa den Handel mit lebenden Zuchttieren mit diesen Ländern einstellen. Und da auch Zuchttiere – früher oder später – zu den vor Ort herrschenden Bedingungen geschlachtet werden, gilt auch hier der Strafbestand der Tierquälerei.

Sehr geehrte Frau Ministerin: Wir appellieren deshalb an Sie, ALLE Tiertransporte in außereuropäische Länder umgehend zu stoppen und sich auch auf Bundesebene für einen solchen Ausfuhrstopp stark machen.

Wir hoffen, dass Sie unserem Anliegen Aufmerksamkeit schenken und sich im Sinne der Tiere für nachhaltige, verbindliche Lösungen einsetzen werden. Für fachlichen Dialog und Beratung stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt

Animals International

Bundesverband Tierschutz e.V.

Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V.

Deutscher Naturschutzring (DNR) e.V.

Mensch Fair Tier

PROVIEH e.V.

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft

Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V.

VIER PFOTEN Stiftung für Tierschutz

Der Originalartikel kann hier besucht werden