Ines Jancar über den Gender Pay Gap und wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen auf die Einkommensunterschiede auswirken könnten.

Es muss mehr für die Gleichstellung der Geschlechter getan werden. Die Feststellung allein führt aber noch nicht besonders weit. Das lässt sich besonders an den unterschiedlichen Einkommensverhältnissen von Männern und Frauen aufzeigen. Betrachtet man den (unbereinigten) Gender Pay Gap, also den berufsunabhängigen Unterschied zwischen den Gehältern von Männern und Frauen, stellt man fest, dass dieser in den letzten neun Jahren gerade einmal um 1-2% gesunken ist, sodass noch immer eine Differenz von knapp 21% besteht.[1]

Auch der bereinigte Unterschied geht zwar zurück, allerdings extrem langsam, und beträgt noch immer 6%. Und was bedeutet eigentlich „bereinigt“? Offiziell ist damit die Differenz zwischen den Gehältern von Männern und Frauen mit jeweils vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Leistung, also für die gleiche Arbeit, gemeint. Tatsächlich bedeutet es, dass man alles herausrechnet, was Frauen noch in anderer als nur der Gehaltshinsicht benachteiligt. So führt auch die Untersuchung zu „Transparenz für mehr Entgeltgleichheit“ des Bundesfamilienministeriums von 2015 als zentrale Gründe auf, dass 1) weiblich verortete Branchen niedriger entlohnt werden, 2) Frauen längere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen haben, weswegen sie 3) danach mit dem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu kämpfen haben, 4) die Karrierechancen schlechter stehen (Stichwort Gläserne Decke) und sie 5) den stereotypen Rollenbildern bei der Leistungsbewertung ausgeliefert sind. „Bereinigt“ man also den Gender Pay Gap um diese diskriminierenden Faktoren, verbleibt laut Statistischem Bundesamt „nur noch“ eine Diskriminierung von 6% Gehaltsunterschied.

Welche enormen Auswirkungen diese scheinbar marginalen Unterschiede haben, führt beispielsweise der Equal Pay Day vor Augen, also der Tag in jedem Jahr, welcher symbolisch markiert, bis wann Frauen zusätzlich arbeiten müssen. Es wird dieses Jahr wieder der 18. März sein, bis Frauen ihre 21% „nachgearbeitet“ haben. Auch die 6% bereinigter Unterschied sind erschreckend – so summiert sich die zusätzlich zu leistende Arbeit im Laufe der durchschnittlichen Erwerbszeit in einem Leben auf knapp drei Jahre. Unter Berücksichtigung der unbereinigten Kluft arbeiten Frauen gar mehr als jedes fünfte Jahr umsonst.

Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich ziemlich schlecht da. Nur zum Vergleich: in Ländern wie Pakistan, Vietnam und Uruguay ist der Lohnunterschied nicht einmal halb so groß.[2] Im Hinblick auf andere Faktoren sieht es nicht viel rosiger aus: So schätzt der „Global Gender Gap Index“ des Weltwirtschaftsforums von 2016, dass Deutschland in den Kategorien Wirtschaft, Bildung, politische Teilhabe und Gesundheit noch ein halbes Jahrhundert von der Gleichstellung der Geschlechter entfernt ist, deutlich länger als seine skandinavischen Nachbarn.[3]

Welche Maßnahmen sind nun in den letzten Jahren ergriffen worden, um die Gleichstellung voranzutreiben? Da wäre beispielsweise das seit Mai 2015 geltende Gesetz, welches den rund 100 größten börsennotierten Unternehmen einen Frauenanteil von 30% in den Aufsichtsräten vorschreibt. Hier hat die Vorschrift in den wenigen Jahren gewirkt und der Anteil ist von 21,9% immerhin auf die erforderlichen 30% gestiegen. Jedoch war die Frauenquote für die meisten freiwillig. Für rund 4000 weitere Unternehmen wurde nämlich lediglich empfohlen, sich selbst Zielgrößen für den Frauenanteil in Führungsgremien zu setzen. Mit dem Resultat, dass 45% der Unternehmen, die bislang keine Frau im Vorstand haben, mit der Zielgröße „Null“ planten – was ihnen dann auch gelang.[4]

Doch ganz abgesehen vom Scheitern freiwilliger Maßnahmen wird das Problem kaum an der Wurzel gepackt, geschweige denn auch nur für die Mehrheit der nicht in diesen großen Firmen arbeitenden Frauen eine Lösung aufgezeigt. Alle Entscheidungen werden in der Perspektive eines elitenorientierten, neoliberalen und weißen Feminismus getroffen. So ist auch die aktuelle Debatte um eine gesetzliche Quotierung des Frauenanteils für die Aufstellung der Wahllisten vielleicht gut gemeint, aber betrifft am Ende nur einen Bruchteil der von der hegemonialen Männlichkeit untergeordneten Frauen (bzw. auch nicht-stereotypen Männern) und läuft auf einen Etikettenschwindel hinaus.

Eine andere auf dem Papier lobenswert erscheinende Maßnahme ist das seit Anfang 2018 bestehende Entgelttransparenzgesetz, welches Unternehmen dazu anhält, die Bezahlung der Belegschaft transparent zu gestalten. Doch nur ein Drittel aller Beschäftigten haben überhaupt einen Auskunftsanspruch, da das Gesetz nur größere Betriebe ab 200 Mitarbeitern betrifft. Auch sind die Hürden, explizit vom_n der Arbeitgeber_in eine Gehältereinsicht einzufordern, relativ hoch und führten dazu, dass bisher in nur 10-20% der Betrieben, die das Gesetz umfasst, wenigstens einmal Auskunft eingefordert wurde.

Und selbst wenn vom neuen Recht Gebrauch gemacht wird und sich Ungerechtigkeiten feststellen lassen, drohen keinerlei Sanktionen: Die Arbeitgeber_innen haben bei einer Erkundigung drei Monate Zeit, Auskunft zu geben oder den_ie Beschäftigte_n darüber zu informieren, warum er_sie es nicht tut – ohne jegliche Konsequenzen. Daher kommt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung zu dem Ergebnis, das Gesetz bleibe weitgehend wirkungslos.[5]

Die klaffende Gehaltslücke verstärkt sich im Übrigen über die Lebenszeit hinweg und führt zu einem noch gravierenderen Gender Pension Gap, also einen geschlechtsabhängigen Unterschied bei den Renten. Der Gender Pension Gap betrug 2011 in Deutschland 57,2% und liegt heute nur unmerklich tiefer.[6] Das liegt zusätzlich zur Gehälterdifferenz an der unbezahlten Arbeit, welche im Wesentlichen von Frauen verrichtet wird. Mehr als doppelt so viel Zeit wie Männer investieren Frauen nach wie vor in unbezahlte Arbeit wie Erziehungsarbeit, Pflegearbeit und anderweitige sozialer Arbeit, die weder finanziell honoriert noch gesellschaftlich anerkannt wird.[7]

Der signifikant geringere Rentenanspruch von Frauen lässt sich zusammengefasst auf eine geringere Erwerbsbeteiligung, ein hohes Maß an (schlechter entlohnter) Teilzeitarbeit und an Minijobs, den Gender Pay Gap und die längerfristigen Unterbrechungen der Erwerbsarbeit zur Kindererziehung zurückführen.[8] Trotz des sozialen Ausgleichs im Rentenrecht und der seit 2014 ausgeweiteten Mütterrente führen diese Faktoren dazu, dass Männer durchschnittlich über knapp 1700 Euro monatlich Renteneinkommen verfügen, Frauen jedoch nur über knapp 800 Euro.[9]

Einen sinnvollen Vorstoß, um den Gender Pension Gap und den Gender Pay Gap besserin den Griff zu bekommen, stellt das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) dar, welches immer mehr Auftrieb erfährt. Es setzt an den Platz der zahlreichen bürokratischen Stellschrauben wie Tarifbindung, Mindestlohn und Grundrente die Idee einer ganzheitlichen und bedingungslosen Absicherung. Damit lässt sich das BGE als Kombination aus einer Maßnahme gegen Altersarmut, gegen Kinderarmut und gegen Erwerbsarmut begreifen.

Zwar gibt es viele BGE-Modelle, doch alle ernsthaft in Erwägung Gezogenen stützen sich auf vier Kriterien, welche das Netzwerk Grundeinkommen aufgestellt hat: Ein BGE muss die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen (diskutiert werden Beträge zwischen 1000-1500 Euro plus Kranken- und Pflegeversicherung), es muss als individueller Rechtsanspruch verwirklicht sein, und ohne Bedürftigkeitsprüfung sowie ohne Zwang zu Gegenleistungen, d.h. ohne Sanktionen im Sinne von Hartz4, ausgezahlt werden. Damit soll nicht nur die mit Hartz4 verbundene Stigmatisierung entfallen, sondern auch der Verwaltungsapparat entschlackt werden.

Ein BGE würde nicht nur in humanistischer, sondern auch in spezifisch feministischer Hinsicht die Situation vieler Menschen verbessern. Geht es doch letztlich nicht um Geld (denn wesentlich teurer als der derzeitige Sozialetat ist es mit einer Billion Euro jährlich nicht), sondern vor allem um Freiheit und ein Sicherheitsgefühl. Finanzielle Sicherheit wäre somit nicht länger nur im Tausch gegen Erwerbsarbeit zu haben, sondern die Realisierung eines Menschenrechts. Während heute sämtliche Lebensentscheidungen um die Erwerbsarbeit kreisen, gäbe ein BGE Zeitautonomie zurück, sodass Frauen wie auch Männer die Möglichkeit hätten, sich Auszeiten zur Erziehung eines Kindes oder zur Pflege eines_r Angehörigen zu nehmen, ohne Einbußen in der Rente bzw. generell auf dem Arbeitsmarkt fürchten zu müssen.

Mit einem BGE würden derartige Tätigkeiten sowohl unkomplizierter ermöglicht als auch gesellschaftlich aufgewertet. Auch würde der Tatsache Respekt gezollt, dass nur rund ein Drittel aller volkswirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden auf die Erwerbsarbeit entfallen – der deutlich größere Teil ist Familienarbeit, Pflegearbeit, Ehrenamt etc. Die stärksten Auswirkungen hätte ein BGE auf den Niedriglohnsektor, welcher größtenteils Frauen betrifft und die Hauptursache für Altersarmut ist. Da Menschen mit BGE nicht gezwungen wären, Arbeit um jeden Preis anzunehmen, verbesserten sie ihre Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt.

Insbesondere in Bezug auf Pflegekräfte und Reinigungspersonal hört man oft die Sorge, dass mit ausreichendem Einkommen niemand mehr diese Arbeiten übernehmen wolle. (Alleine dieses Argument sollte nachdenklich stimmen – gesteht es doch zu, dass Menschen oft aus der Not heraus für jegliche Arbeit zur Verfügung stehen.) Da diese Arbeiten aber erledigt werden müssen, könnten Betroffene bessere Arbeitsbedingungen sowie höhere Gehälter aushandeln.

Ein weiterer positiver Nebeneffekt wäre, dass durch den individuellen Rechtsanspruch Frauen, als üblicherweise geringer Verdienende in heterosexuellen Paarbeziehungen, unabhängiger vom Einkommen ihrer Männer wären. Heute lohnt sich Erwerbsarbeit für Frauen oft kaum, da Ehegattensplitting und andere Relikte einer vergangenen Zeit in Bedarfsgemeinschaften planen. Mit BGE hingegen bestünde eine höhere Motivation, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, da nichts angerechnet wird. Dies wiederum könnte Männer dazu bewegen, dank Grundeinkommen und dem höheren Verdienst der Frauen mehr Elternzeit zu nehmen. Eine Loslösung vom klassischen Familienernährer-Modell und ein Anreiz zu gemeinschaftlicher Arbeitsteilung innerhalb wie außerhalb des Haushalts wären also nur weitere wünschenswerte Auswirkungen.

Angesichts wachsender Altersarmut und Armut trotz Erwerbsarbeit, insbesondere für Frauen, sowie Kinderarmut, insbesondere von Kindern alleinerziehender Frauen, ist es an der Zeit, über eine grundsätzlichere Lösung nachzudenken und finanzielle Sicherheit von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Wenngleich es natürlich nicht alle gesellschaftlichen und geschlechterabhängigen Probleme löst, ist das BGE eine Vision, welche Frauen von der Basis her emanzipiert, anstatt unwirksame Quoten für ohnehin schon besser gestellte Frauen einzufordern.

Der Artikel von Ines Jancar wurde in Graswurzelrevolution Nr. 437, März 2019 erstveröffentlicht.


[1] https://www.equalpayday.de/fileadmin/public/dokumente/Toolkit/2018_Forum_Vortrag_Prof_Wippermann_Leiter_delta.pdf
[2] https://ourworldindata.org/economic-inequality-by-gender
[3] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/infografik-die-stellung-der-geschlechter-in-asien-15912191.html
[4] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/buero-special/aufsichtsraete-freiwillige-vorgaben-zur-frauenquote-zeigen-kaum-wirkung/21235466.html?ticket=ST-653917-0pJFNFJ91MhGgbxyZ7Ei-ap1
[5] https://www.deutschlandfunk.de/lohngleichheit-gesetz-mit-geringer-wirkung.769.de.html?dram:article_id=438123
[6] https://www.bmfsfj.de/blob/95400/e3eaa1eea4cb0c5d0069cd775f375791/transparenz-fuer-mehr-entgeltgleichheit-data.pdf S. 24
[7] http://www3.weforum.org/docs/GGGR16/WEF_Global_Gender_Gap_Report_2016.pdf S. 32
[8] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rentenkluft-frauen-bekommen-57-prozent-weniger-geld-als-maenner-a-1082366.html
[9] https://www.test.de/Mann-Frau-Rente-Der-grosse-Unterschied-5218092-0/

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