Die Schulstreiks der Jugend für das Klima sind inzwischen in aller Munde und sie bekommen nun auch Rückendeckung von 23.000 Wissenschaftlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Um wirklich effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, braucht es einen Wandel, der weg vom neoliberalen System mit riesigen Profiten für Wenige auf Kosten der Allgemeinheit geht, und hin zum Wohl der Gemeinschaft und somit auch der Umwelt.

Doch wie kann so ein neues System, jenseits der Extreme von Kapitalismus oder Sozialismus, aussehen? Ein System, das dem Wohle aller dient und das die Umwelt, also unsere Luft, unser Wasser, unsere Wälder und Böden sowie das Klima schützt, die ja eben genau alle auch Gemeingüter sind?

Eine mögliche Antwort ist die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Sie beruht als ethische Marktwirtschaft überwiegend auf privaten Unternehmen, doch diese streben nicht in Konkurrenz zueinander nach Finanzgewinn, sondern sie kooperieren mit dem Ziel des größtmöglichen Gemeinwohls.

Gegründet wurde die Initiative Gemeinwohl-Ökonomie vor sieben Jahren vom Österreicher Christian Felber, der darüber auch ein Buch geschrieben hat, inzwischen wird sie bereits von mehr als 2.300 Unternehmen und immer mehr Gemeinden, Hochschulen und Privatpersonen unterstützt.

Unternehmerisches Handeln und Gemeinwohl-Ökonomie sind keine Gegensätze

Die erste Bank, also „Pionier-Bank“ Deutschlands, die seit 2011 eine auditierte Gemeinwohl-Bilanz erstellt, ist die genossenschaftliche Sparda-Bank München eG. Sie ist die größte Genossenschaftsbank Bayerns mit über 300 000 Mitgliedern und 46 Zweigstellen in Oberbayern. Ihre Mitglieder sind zu über 90 Prozent Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Familien, die beweisen, dass wirtschaftliches Handeln zum Wohle aller möglich ist, ohne von Aktienkursen und Börsenspekulationen abhängig zu sein. Auf der extra eingerichteten Webseite „Wirtschaften zum Wohl aller“ wird die Gemeinwohl-Ökonomie-Ausrichtung der Sparda-Bank München vorgestellt, dort wird in wenigen Wochen auch die inzwischen auditierte neueste Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht.

Auch eine Gemeinwohl-Krankenkasse gibt es bereits. Die BKK ProVita bilanziert schon zum zweiten Mal nach den Kriterien der GWÖ. Sie handelt als erste deutsche Krankenkasse klimaneutral und hat gemeinsam mit ProVeg Deutschland e. V. im Rahmen der Weltklimakonferenz in Kattowitz den UN-Klimaschutzpreis für das gemeinsame Projekt „Aktion Pflanzen-Power“ erhalten. Damit ist der Preis zum ersten Mal nach Deutschland gegangen und zum ersten Mal ein ein Unternehmen, das Gemeinwohl-bilanziert ist.

So wie die Sparda Bank und die BKK ProVital gibt es noch viele weitere kleinere Firmen und Einzelunternehmer, die schon mit dabei sind, wie z.B. die Kräuterhandelsgesellschaft Sonnentor, die auf Ihrer Webseite Einblicke in ihren Gemeinwohlbericht gibt und lesenswerte 10 Thesen für mehr Gemeinwohl aufstellt. Mehr Informationen zu weiteren Beispielen für Gemeinwohl-Bilanzen finden sich auf der Webseite der Initiative Gemeinwohl-Ökonomie ecogood.org.

Auch die Wissenschaft erkennt die GWÖ als soziale Innovationskraft an

Im Rahmen der ersten wissenschaftlichen Fachtagung zur GWÖ wurden im Februar in Wien zwei aktuelle Studien der Universitäten Valencia, Flensburg und Kiel präsentiert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Wirtschaftsmodell der GWÖ „sowohl ethische als auch finanzielle Leistungen fördert und wert ist, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden“.

Und inzwischen gibt es sogar die erste Schule mit Gemeinwohl-Bilanz, die Waldorfschule Wetterau. Sie möchte nun auch andere Bildungsrichtungen dazu ermutigen, Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen und mit der Gemeinwohl-Bilanz zu arbeiten und hat daher zusammen mit Akteur*innen der GWÖ einen Leitfaden entwickelt, der andere Bildungseinrichtungen bei der Erstellung ihrer eigenen Gemeinwohl-Bilanz unterstützen kann.

Deutsche und österreichische Gemeinden lassen sich nach der GWÖ zertifizieren

Die Gemeinde Kirchanschöring in Oberbayern wurde letztes Jahr die erste Gemeinde Deutschlands mit einer auditierten Gemeinwohl-Bilanz. „Diese Art der Zukunftsverantwortung ist für mich auch richtungsgebend für einen Fortschritt, der sich nicht mehr allein an Kriterien des Höher, Schneller und Weiter ausrichtet“, zitiert die Süddeutsche Zeitung Alois Glück, Ex-Landtagspräsident und Ex-Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, zu diesem Anlass.

Auch im Nordfriesland gehen Gemeinden mit guten Beispiel voran. Bordelum, Breklum und Klixbüll sind die ersten Gemeinden im Norden Deutschlands, die für ihre Gemeinwohlbilanzen ein Testat der Initiative Gemeinwohl Ökonomie (GWÖ) erhalten.

In Österreich sind es Nenzing und Mäder, die als zukunftsorientierte Gemeinden Pionierarbeit leisten und den Zertifizierungsprozess zur Gemeinwohl-Gemeinde vollzogen haben. Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg in eine bessere Zukunft.

Die GWÖ erstmals Thema in deutschen Rathäusern

Eine kleine Sensation ist es schon, dass inzwischen sogar ganze Städte sich mit dem Thema Gemeinwohl-Ökonomie befassen. So titelte die Stuttgarter Zeitung vor kurzem „Profit schlägt Nachhaltigkeit – vorerst“, denn nur knapp scheitert in Vaihingen an der Enz ein Antrag, der die Stadt zum Pionier in Sachen Nachhaltigkeit gemacht hätte. Auch Stuttgart und Mannheim befassen sich inzwischen mit dem Konzept der GWÖ.

Und auch in Erlangen wurde im Rathaus über eine möglich Einführung der Gemeinwohl-Ökonomie abgestimmt. Eingebracht wurde der Antrag von Gunther Moll, Co-Autor des Buches „Die Vorstufe zum Paradies für uns alle – Warum wir sie erreichen können und wie sie finanzierbar wäre“ und leidenschaftlicher Verfechter der GWÖ. Im Anschluss an diesen Artikel publizieren wir seine engagierte Rede vor dem Erlanger Stadtrat.

Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist

Angesichts der Probleme wie soziale Ungleichheit, Umweltzerstörung und Konzerngier, mit denen wir uns in unserer Gesellschaft heute konfrontiert sehen, gibt es also überhaupt keinen Grund, die Gemeinwohl-Ökonomie nicht als alternatives und nachhaltiges Wirtschaftsmodell in Betracht zu ziehen. Wenn bereits Banken, Krankenkassen, Unternehmen und Kommunen die Idee aufgreifen und erfolgreich umsetzen, so sollten wir uns alle – allen voran die Politik – eingehend damit beschäftigen. Und wir sollten die Jugend bei ihren Streiks für Klima unterstützen, denn um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir nicht nur Druck aufbauen, sondern auch enkeltaugliche Lösungen fördern. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist mit Sicherheit eine davon.

 

 – „Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ (Victor Hugo) –

 

Rede von Prof. Dr. Gunther Moll vor dem Stadtrat von Erlangen am 22.11.2018

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Kolleginnen und Kollegen,

Gemeinwohl-Ökonomie heißt, Wirtschaften zum Wohle aller. Dieses ethische Wirtschafts-Modell ist ein transparenter Wertekompass, der die Umsetzung der Werte Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz in einer Kommune oder einem Unternehmen in einer eigenen, zusätzlich zur Finanzbilanz geführten Gemeinwohl-Bilanz dokumentiert. Hier muss unsere Stadt so schnell wie möglich eine Vorreiterrolle einnehmen, denn die Gemeinwohl-Ökonomie ist schon richtig in Fahrt gekommen. Hier ein paar Beispiele:

2015 ist die Gemeinwohl-Ökonomie im Europäischen Parlament angekommen, als der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss folgende Stellungnahme verabschiedete: „Nach Auffassung des EWSA sollte das Gemeinwohl-Ökonomie-Modell sowohl in den europäischen als auch die einzelstaatlichen Rechtsrahmen integriert werden. Ziel ist es, die Verwirklichung des Binnenmarkts über eine verstärkt ethische Wirtschaft voranzubringen, die auf europäischen Werten und der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung gründet und diese synergetisch untermauert.“ Im neuen Europaparlament wird dies noch stärker vertreten werden, insbesondere von der Fraktion der Grünen, die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie auf aussichtsreiche Listenplätze setzte.

2016 ist die Gemeinwohl-Ökonomie auf Landesebene angekommen, als deren Grundsätze im KOALITIONSVERTRAG ZWISCHEN BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BADEN-WÜRTTEMBERG UND DER CDU BADEN-WÜRTTEMBERG 2016 – 2021 verankert wurden. Und 2018 in Hessen, siehe das Landtagswahlprogramm ÖKOLOGIE UND ÖKONOMIE: GRÜNE WIRTSCHAFTSPOLITIK SETZT AUF GEMEINWOHL UND NACHHALTIGKEIT. Ein Zitat: „Wirtschaftsformen wie Genossenschaftsmodelle, Gemeinwohl-Ökonomie, solidarische Ökonomien oder Netzwerke bringen neben regionaler Wertschöpfung meist auch den Umweltaspekt in das unternehmerische Handeln ein und vereinen somit Ökologie und Ökonomie. Sie sind Innovationstreiber und sollen in Hessen gestärkt werden. Wir wollen daher, dass Hessen auch zu einem Genossenschaftsland wird.“

Ich bin mir sicher, dass wir – auch in unserer Stadt – keine Probleme mit „bezahlbarem Wohnraum“ hätten, wenn der Wohnungsmarkt nicht immer stärker von Investoren mit ihren einzigen Zielen Profit und Gewinn-Maximierung übernommen, sondern als Genossenschaften – als eines der Grundprinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie – erhalten oder in solche überführt worden wären.

Es sind aber nicht nur die Grünen. Auch die CSU ist inzwischen schon mit dabei – ein aktuelles Beispiel, Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom Montag dieser Woche (19.11.2018): „Sozial, gerecht, solidarisch und nachhaltig: Als erste Gemeinde in Deutschland hat Kirchanschöring (Landkreis Traunstein) die eigene Bilanz vollständig nach den Prinzipien der Initiative Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) erstellt. Dafür wird die 3300-Seelen-Gemeinde an diesem Dienstag zertifiziert und ausgezeichnet. Die freiwillige GWÖ-Bilanzierung ermögliche einen genauen Überblick über wertebasiertes Handeln und Wirtschaften in der Gemeinde, sagt Kirchanschörings Bürgermeister Hans-Jörg Birner (CSU). Seine Gemeinde folge damit letztlich der bayerischen Verfassung, in der am Gemeinwohl orientiertes Handeln verpflichtend festgeschrieben sei. … Nach Angaben des Internationalen Vereins zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie richten sich bisher … etwa 60 Städte und Kommunen an den Grundsätzen der GWÖ aus. „Diese Art der Zukunftsverantwortung ist für mich auch richtungsgebend für einen Fortschritt, der sich nicht mehr allein an Kriterien des Höher, Schneller und Weiter ausrichtet“, sagt Alois Glück, Ex-Landtagspräsident und Ex-Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der bei dem Festakt als Redner erwartet wird.“

Und auch die SPD ist mit dabei, als Beispiel der Kreisverband Mannheim. Ein Zitat aus deren Internetseite: „Wachsende soziale Ungleichheit, grassierende Altersarmut und ein kaum noch aufzuhaltender, menschengemachter Klimawandel werfen elementare Fragen hinsichtlich unserer derzeitigen Wirtschaftsform und Lebensweise auf. Eine Antwort auf diese Fragen hat die Bewegung Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) gefunden. Sie bietet einen Ansatz, das Grundproblem der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung – die Verwechslung von Ziel (Gemeinwohl) und Mittel (Geld) – zu überwinden. Sie kritisiert, dass die Steigerung des Profits im Mittelpunkt steht und der Blick auf das Wohl der Menschen verloren geht. Entsprechend fordert sie, das Wohl von Mensch und Umwelt zum obersten Ziel des Wirtschaftens zu machen. Mittlerweile unterstützen weltweit mehr als 2.000 Unternehmen, 160 Organisationen und 9.000 Privatpersonen die GWÖ. Auch im Rhein-Neckar-Gebiet ist die Gemeinwohl-Ökonomie inzwischen ein Thema bei Unternehmen, Gemeinderatsfraktionen und Schulen. Einzelne Unternehmen haben eine erste Gemeinwohl-Bilanz erstellt und im aktuellen Haushaltsplan der Stadt Mannheim wurde für städtische Betriebe ein entsprechendes Budget verabschiedet.“ Damit ist Mannheim nach Stuttgart die zweite Großkommune in Baden-Württemberg, die für städtische Unternehmen – neben der Finanzbilanz – eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt.

Dass übrigens Erlangen – wie in der Stellungnahme der Verwaltung aufgeführt – für eine Gemeinwohl-Bilanzierung zu groß wäre, ist kein Argument, denn für die Landeshauptstadt München stellte vor kurzem die Fraktion Die Grünen-Rosa Liste den Antrag, den Prozess der Gemeinwohl-Bilanzierung als Pilotprojekt bei einem städtischen Eigenbetrieb zu beginnen und die dafür benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen. Und auch die – in der Stellungnahme der Verwaltung genannten – erforderlichen hohen Personalkosten zur Erstellung der Gemeinwohl-Bilanzen sind kein Gegenargument, denn erstens ist die Haushaltslage unserer Stadt sehr gut, und zweitens zahlt sich eine Gemeinwohl-Ausrichtung langfristig und nachhaltig mehr als aus.

Unsere Stadt Erlangen war hinsichtlich sozialer Verantwortung, Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit bisher eine Vorzeige-Kommune in Deutschland. Eine nachhaltige Gemeinwohl-Ausrichtung – bei der bei allen Entscheidungen die Fragen „Dient es dem Menschen, dient es der Natur und dient es dem Frieden“ zu beantworten sind – mit dem Ziel einer kommunal zu erstellenden Gemeinwohl-Bilanz ist die logische Konsequenz für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft unserer Stadt.

Wir müssen, zum Wohle aller unserer Bürgerinnen und Bürger, Gemeinwohl-Kommune werden, welche die Gemeinwohl-Aktivitäten in einer auditierten und veröffentlichten Gemeinwohl-Bilanz (mit Gemeinwohl-Ökonomie-Bericht) – so unser Antrag – ab dem Haushaltsjahr 2019 regelmäßig nachweist. Wir wollen doch bitte – wie bei vielem anderen – bei einem der wichtigsten Zukunftsprojekte als „Vorreiter“ und „Vorzeige-Kommune“ ganz vorne mit dabei sein.

Vielen Dank.

Professor Dr. Gunther Moll ist Leiter der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Universitätsklinikum Erlangen. Er setzt sich für die Rechte der Kinder ein. Gemeinsam mit seinem Sohn Benjamin veröffentlichte er 2012 das Buch „DieKinderwagenRevolution“ und 2016 „Der Umbruch: Wie Kinder, Eltern und Großeltern unser Land veränderten“. 2018 publizierte er zusammen mit Sarah Benecke und Günter Grzega das Buch „Die Vorstufe zum Paradies für uns alle“. Gunther Moll engagiert sich für die Gemeinwohl-Ökonomie, für die Freie Wählergemeinschaft Erlangen ist er im Stadtrat. 

 

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