Im Kontext der anhaltenden humanitären Krise um die Flüchtlingsbevölkerung ist Samos die ägäische Insel, die die Menschen oft vergessen. Sie existiert im Schatten von Lesbos, die Menschen sind mit dem Namen Moria und den damit verbundenen Bildern vertraut. Doch bis vor kurzem wurde über das Vathy Reception Centre auf Samos kaum diskutiert und nur wenig darüber berichtet. In den letzten 6 Monaten ist die Flüchtlingsbevölkerung auf der Insel stark angestiegen und gegen Ende 2018 und in den ersten Wochen des Januar 2019 schwankte sie zwischen 4.000 und 5.000 Menschen. Das Aufnahmezentrum verfügt aber nur über eine offizielle Kapazität von 700 Personen, so dass die Mehrheit der Menschen heute außerhalb der Zäune des Zentrums in einem Bereich lebt, der als „Dschungel“ bezeichnet wird.

Vor diesem krassen Anstieg, wenn man zum ersten Mal auf der Insel ankam, wurde man von Frontex in Empfang genommen, die Identität festgestellt, registriert und dann wurde ein Platz im Empfangszentrum gefunden, entweder in einem Container oder in einem Zelt. Jetzt, aufgrund des großen Andrangs, bleibt der Registrierungsprozess zwar derselbe, aber danach wird man in den „Dschungel“ geschickt, um sich selber einen Schlafplatz zu suchen oder ein Zelt in einem der Geschäfte in der kleinen Stadt Vathy zu kaufen. Infolgedessen leben viele Menschen, darunter Familien mit Kleinkindern und unbegleitete Minderjährige, in provisorischen Unterkünften, auf Holzpaletten, mit Steinen und Planen zusammengezimmert, um wenigstens Schutz vor den extremen Stürmen zu finden, die die Insel auch im Winter heimsuchen. Die Verpflegung erfolgt durch das Aufnahmezentrum, wobei die Wartezeit für jede der drei Mahlzeiten pro Tag, auf die alle Anspruch haben, nach aktuellen Schätzungen 5 Stunden beträgt. Diese Bedingungen stellen eine anhaltende Belastung dar, das Asylverfahren kann einige Monate bis zu eineinhalb Jahre dauern, wobei sich die Menschen hilflos fühlen, in der Luft hängen und nur eingeschränkten Zugang zu Rechten und Freiheiten haben, die auf die Insel beschränkt sind, bis ihr Fall endlich bearbeitet wird.

Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass Proteste an der Tagesordnung sind. Die Flüchtlingsbevölkerung protestiert gegen die schlechten Bedingungen, die unzureichende Versorgung mit Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung sowie gegen das Asylverfahren in Griechenland, das Menschen für Wochen, Monate und zunehmend für Jahre in eine ungewisse Zwangslage bringt. Inzwischen ist eine verstärkte Polizeipräsenz rund um das Vathy Reception Centre ist sichtbar. Der obere Zugang zum Lager ist jetzt schwer bewacht und nicht mehr zugänglich. Die neu installierten chemischen Toiletten im „Dschungel“ wurden zweckentfremdet und bilden nun eine Barrikade auf der Hauptstraße ins Lager. Der Müll, der in Brand gesteckt wurde, wabert in großen Rauchschwaden über das Lager und die Berge. Es ist möglich, das Lager über den unteren Ausgang zu verlassen, aber nur durch eine einzige Tür. Über den Lautsprecher im Aufnahmezentrum, der die primäre Kommunikation zwischen der Lagerleitung und der Flüchtlingsbevölkerung darstellt, wird über abgesagte Asylgespräche, die für den Tag geplant waren, informiert.

In dieser Atmosphäre herrscht eine spürbare Anspannung, während sich Bewohner des Empfangszentrums und Polizei vermischen und darauf warten, was als nächstes geschehen wird. Die Polizei ist nicht nur im Aufnahmezentrum, sondern auch auf den ein- und ausgehenden Straßen präsent. Sie tragen Schlagstöcke und einige halten Schutzschilde vor sich. Die Demonstranten, in den letzten Tagen friedlich, fordern das Recht auf Freiheit und Gesundheitsversorgung. Doch die Stimmung in und um das Aufnahmezentrum von Vathy hat sich verändert, jetzt, wo die Zugangsbeschränkungen strenger geworden sind, ist sie angespannt. Die Menschen sitzen auf dieser Insel fest, mit wenig oder keiner Information darüber, wie lange sie noch bleiben müssen, und unter immer schlechteren Bedingungen. Vor diesem Hintergrund sind erhöhte Spannungen nicht überraschend. Es bedarf eines stärkeren Bewusstseins für die Bedingungen auf dieser Insel und einer größeren Transparenz für diesen Prozess, der die Menschen für 18 Monate festhält, unter Restriktionen, die ihnen die Freiheit nehmen.

Dr. Amanda Russell Beattie (Universität Aston)

Dr. Gemma Bird (Universität Liverpool)

 

 

 

 

Übersetzung aus dem Englischen von Pressenza München.