35.000 Menschen demonstrierten am Samstag, den 19. Januar bunt und lautstark unter dem Motto “Wir haben es satt – Der Agrarindustrie den Geldhahn abdrehen” für eine andere Agrarpolitik. Organisiert wurde die Demonstration von der Kampagne Meine Landwirtschaft und einem breiten zivilgesellschaftlichen Trägerkreis.
Seit 2011 gibt es die Demo in Berlin und der Zeitpunkt im Januar ist nicht zufällig gewählt. Nicht nur, dass sich zu dieser Zeit die Agrarbranche auf der weltweit größten Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau „Grüne Woche“ selbst feiert, sondern es findet zudem auch gleichzeitig das internationale Global Forum for Food and Agriculture statt. Gastgeber ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das Vertreter der Agrarindustrie und -politik aus aller Welt einlädt, um die globale Agrarwirtschaft der Zukunft zu besprechen. Die Öffentlichkeit ist dort unerwünscht und so durfte auch der Demonstrationszug nicht bis zum Ministerium vorrücken.
Für Klimaschutz, Artenvielfalt, artgerechte Tierhaltung und weniger Fleischkonsum
Besonders aktuell für die Demonstranten ist dieses Jahr natürlich die zunehmende Sorge um den Klimawandel, der seit dem Rekord-Hitze-Sommer 2018 nicht mehr zu leugnen ist, und für den die Massentierhaltung maßgeblich mitverantwortlich ist. Besorgniserregend sind auch die neuesten Erkenntnisse zur Schädlichkeit im Bezug auf Feinstaub-Emissionen aus Ammoniak aus der Massentierhaltung: laut einer neuen Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie sterben daran jährlich allein in Deutschland bis zu 50.000 Menschen vorzeitig (Quelle: aktuelle Pressemitteilung Menschen für Tierrechte e.V.).
Aber auch der weiterhin zunehmende Artenschwund bei Vögeln, Bienen und Insekten, das riesige Gülle- und Nitrat-Problem, dass unsere Gewässer verseucht, die unsäglichen Bedingungen, unter denen Nutztiere gehalten werden, die sich immer weiter unter erheblichem Einsatz von Pestiziden ausbreitenden Monokulturen, die Gefahren von genmanipulierten Pflanzen und die Patentierung von Saatgut durch die Industrie waren Teil der Forderung nach einem grundlegenden Wandel, der sogenannten Agrarwende.
Für gesundes Essen ohne Ackergift und eine sozialgerechte, bäuerliche und ökologische EU-Agrarreform
So könnte man vielleicht meinen, die 35.000 Menschen seine alle Tierschützer, Umweltaktivisten und Veganer gewesen, Tatsache ist aber, dass neben ganz normalen „Verbrauchern“, die einfach nur gerne gesundes Essen ohne Tierleid, Glyphosat und schlechter Klimabilanz auf dem Teller hätten, von Jahr zu Jahr auch immer mehr Landwirte teilnehmen. Sie wenden sich vor allem gegen die GAP (Gemeinsame Europäische Agrarpolitik) der EU, die immer noch riesige Subventionen in großindustrielle Betriebe steckt und die kleinen Höfe aussterben lässt.
Dabei können gerade kleine Betriebe besser auf ökologische Bedürfnisse reagieren und aktiv Umwelt- und Artenschutz betreiben. In Deutschland erhalten jedoch die 3.300 flächengrößten Betriebe eine Milliarde Euro im Jahr, während die kleinsten 200.000 Bauernhöfe sich knapp 700 Millionen teilen müssen. Eine weitere große Sorge der Landwirte ist die zunehmende Spekulation mit landwirtschaftlichem Boden, die die Preise in die Höhe treibt. So waren auch dieses Jahr wieder viele Bauern und Bäuerinnen mit dabei und führten mit über 170 Traktoren den Demonstrationszug an.
Für Ernährungssouveränität und gerechten Freihandel
Ein anderer Kritikpunkt, der auf den ersten Blick nicht sofort mit Landwirtschaft in Verbindung gebracht wird, sind die zahlreichen undemokratisch verhandelten Freihandelsabkommen wie TTIP, & Co., die Märkte in Drittländern mit europäischen Billigprodukten überschwemmen und somit Strukturen wie z.B in Afrika zerstören und damit auch zur Migration beitragen. Das oft verwendete Argument „Wir müssen die Weltbevölkerung ernähren“ ist inzwischen hinreichend widerlegt, hemmungsloser Freihandel, gerade auch im Bezug auf landwirtschaftliche Produkte, beschert außer Profiten für die Großindustrie lediglich mehr Umweltzerstörung und Verarmung von Kleinbauern weltweit, die ihrerseits jedoch immer noch über 70% unserer Nahrung erzeugen. Sie müssen unterstützt, anstatt geschwächt werden.
Alle Forderungen der „Wir haben es satt“ – Demonstranten, längst durch zahlreiche Publikationen wie dem soeben erschienenen jährlichen kritischen Agrarbericht oder auch durch regierungseigene Expertengruppen wie dem Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik belegt, wurden wie immer auf positive Weise bunt und humorvoll auf Plakaten vorgetragen und mit Klopfen auf mitgebrachten Kochtöpfen unterlegt. Die folgende Fotostrecke gibt Impressionen des 19. Januar 2019 wieder:
Fotostrecke von Reto Thumiger für Pressenza:
Zusammenfassend kommentiert Saskia Richartz, eine der OrganisatiorInnen von Meine Landwirtschaft pointiert die Forderung an die Bundesregierung, die die gemeinsame Agrarpolitik GAP 2020 – 2017 der EU maßgeblich mitentscheiden wird:
„Agrarministerin Klöckner klammert sich an die pauschalen Flächensubventionen wie ihre Vorgänger ans Ackergift Glyphosat. Der Agrarindustrie immer weiter Milliarden in den Rachen zu stopfen ist agrar- und klimapolitischer Irrsinn. Wir fordern: Umverteilen jetzt!”