Wir haben das iranische Kollektiv „See you in Iran“ interviewt, dessen Ziel es ist, die soziokulturelle Realität des Iran international besser bekannt zu machen und dazu beizutragen, die hasserfüllte Narrative zu widerlegen, die und westliche Mainstream-Medien über den Iran anbieten. Neben den seit Jahrzehnten gegen den Iran verhängten wirtschaftlichen und politischen Sanktionen wurde auch die iranische Kulturszene komplett ignoriert. Die Gruppe zielt darauf ab, das Bewusstsein für das im Land produzierte soziokulturelle Material zu schärfen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen und ignorierten Realitäten durch verschiedene Mittel eine Stimme zu geben, wie durch ein Kulturhaus, das Veranstaltungen, Workshops, Vorträge und Ausstellungen organisiert, eine Reiseplattform, eine Online-Community, ein Hostel und ein Mediennetzwerk. „See you in Iran“ zielt darauf ab, das Bild eines in Chaos und Unterdrückung versunkenen Landes zu verändern, das in der Vorstellung eines großen Teils der westlichen Bevölkerung, verankert ist und ein neues Bild zu schaffen, das der wahren Realität des Landes näher kommt.
Pressenza: Die westlichen Medien bieten ein Bild vom Iran als einem Land, das den Weltfrieden bedroht und destabilisiert. Wie ist das Leben der einfachen Menschen im Iran?
See You in Iran Team: Das Bild vom Iran, das in den Mainstream-Medien dargestellt wurde und das auf die Agenda der Staaten ausgerichtet ist, die von der Isolation des Landes profitieren, ist weit von der Realität entfernt. Tatsächlich ist die Lebenssituation im Iran, wie in jedem anderen Land, mit seiner Geschichte und Geopolitik verknüpft, Faktoren, ohne die es unmöglich ist, den aktuellen Zustand zu analysieren.
Pressenza: Im letzten Jahr wurde der Rial (iranische Währung) dreifach abgewertet, die Preise für importierte Rohstoffe sind in die Höhe geschnellt und die Inflation ist um mehr als 50% gestiegen. Wie ist die aktuelle wirtschaftliche Situation im Iran?
See You in Iran Team: Kurz gesagt, für die Mehrheit der Bevölkerung nicht gut. Obwohl ein Teil davon sicherlich auf internes Missmanagement zurückzuführen ist, spielt die Propaganda-Maschine beim jüngsten Einbruch der nationalen Währung und dem Anstieg der Inflation definitiv eine große Rolle.
Pressenza: Nachdem die USA 2015 das Abkommen über das Atomprogramm widerrufen hatten, initiierten sie eine Reihe von Sanktionen gegen den Iran. Wie wirkt sich die US-Blockade auf die iranische Bevölkerung aus?
See You in Iran Team: Die Wiedereinführung von Sanktionen ist Teil der vielen Informationskriege, die von der Trump-Administration gestartet wurden. Ihre Verbreitung von falschen Informationen bestand darin, dass die US-Regierung die Integrität von Inspekteuren der IAEA (International Atomic Energy Agency) grundlos in Frage stellte sowie in der Verwendung eines Game of Thrones Meme, um sich über die wirtschaftliche Destabilisierung des Iran hämisch zu freuen (Trump zeigte sein Foto auf seinem Twitter-Account mit dem Slogan „Sanktionen kommen„, inspiriert vom berühmten Game of Thrones „Winter is coming“). Darüber hinaus wärmten sie uralte Mythen über das iranische Volk als machtlose Opfer auf, die den ultimativen weißen Retter brauchen. All das erinnert fast gespenstisch an die US-Rhetorik im Bezug auf Afghanistan in 2001 und den Irak in 2003.
Pressenza: Was haltet Ihr von dem Vorwurf der USA, der den Iran als „Hauptsponsor des internationalen Terrorismus“ definiert?
See You in Iran Team: Der Iran wurde immer als strategischer Punkt in der Region betrachtet, daher haben die Westmächte in den letzten zweihundert Jahren nie aufgehört, sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen. Die invasiven Strategien reichten vom Interventionismus und der Einmischung in das politische System des Iran bis hin zu Wirtschaftssanktionen und der Stigmatisierung des Landes, vor allem durch die Mainstream-Medien, die in den letzten Jahrzehnten enorm an Dynamik gewonnen haben. Daher ist die Bezeichnung des Iran als größter Sponsor des globalen Terrorismus durch Trump und seine Bande kaum eine Überraschung, besonders zu einer Zeit, in der die nicht zu leugnende zerstörerische Präsenz der USA im Nahen Osten das Chaos und das Blutbad in der Region, wie Libyen und in Syrien, unmittelbar verstärkt hat.
Pressenza: Was denkt Ihr über das Urteil des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen zur teilweise Aufhebung der gegen den Iran verhängten Sanktionen?
See You in Iran Team: Die derzeitige kriegslüsterne US-Regierung hat alle Institutionen, die eine Rolle in Bezug auf Menschenrechte und Zivilgesellschaft zu spielen hatten, abgewertet. Das Urteil weist einmal mehr darauf hin, dass ein Land, das sich aus einem international anerkannten Abkommen zurückzieht, den UN-Gerichtshof nicht ernst nimmt.
Pressenza: „See you in Iran“ ist ein breites Kollektiv, das viele Aktivitäten durchführt. Was ist das Ziel von „See you in Iran“?
See You in Iran Team: Sicherheit, Ordnung und Demokratie im „Globalen Norden“ sowie Chaos, Unterdrückung und Krieg im „Globalen Süden“ sind zwei Seiten derselben Medaille. Diese Dichotomie geht auf einen unterdrückende, kriegstreiberische und selbstsüchtige Sicht der Dinge zurück, die die eigenen Existenz über alles stellt, und die ihr Überleben davon abhängig macht, jede andere Denkweise abzuschaffen.
Diese Ideologie wird immer größeren Bevölkerungsgruppen immer mehr schaden, als wie sie es bereits bisher getan hat, wobei Terroranschläge dann nicht mehr an Grenzen gebunden sind und sowohl im „globalen Süden“ als auch im „globalen Norden“ stattfinden werden. Trotzdem bleibt der größere Zusammenhang bestehen, der der Realität näher kommt: die Darstellung von Krieg, Chaos und Unterdrückung im Bezug auf den Iran ist ebenso unrealistisch wie die Darstellung des sicheren, geordneten und demokratischen „globalen Nordens“, aber genau das ist es, was die Mainstream-Medien glauben machen wollen. Die Verinnerlichung dieser Perspektive führt dazu, dass die Bürger des „globalen Nordens“ gehorsam sind und sich mit der Illusion von Freiheit und Sicherheit begnügen, während die Bevölkerung des „globalen Südens“ passiv verharrt, da ja der Untergang an jeder Ecke lauert. Die Wahrnehmung von Ländern wie dem Iran durch den „globalen Norden“ ist also extrem voreingenommen.
Tatsache ist, dass jeder seinen Lebensstil nach den Umständen wählt, in denen er lebt, aber die Kluft im Lebensstandard zwischen dem „globalen Süden“ und dem „globalen Norden“ ist gar nicht so groß, wie es die Begriffe „Krieg“ und „Chaos“ suggerieren. Zudem ist die neoliberale Plage, die den Planeten heimgesucht hat, nicht viel weniger schädlich als das, womit die Länder des „globalen Südens“ zu kämpfen haben, sie zeigt sich nur in einem anderen Gewand. Deshalb leben wir als Bewohner der Erde in Zeiten, in denen die Ursache für das Leid die gleiche ist, und es braucht eine gemeinsame Anstrengung und eine geeinte Front, um das zu ändern, egal, ob jemand in Paris lebt oder in Teheran.
Die gegenwärtige Situation muss also durch gemeinsames Zusammenstehen und Verbundenheit verändert werden, und diese Verbundenheit muss um das gemeinsame Ziel herum gebildet werden, das in „gut“ und böse“ gespaltene Menschenbild zu verändern. Die Organisation „See You in Iran“ versucht, den in den Medien vorherrschenden Raum umzugestalten, der sich von dieser polarisierenden Ideologie nährt. Gleichzeitig versuchen wir, der „Iranophobie“ zu begegnen, indem wir eine Plattform sind, die Menschen aus verschiedensten Teilen der Welt einen gemeinsamen Raum bietet, um sich besser miteinander zu verbinden und auszutauschen, und so das Bild vom Iran durch ungefilterte Eindrücke und Berichte von Reisenden selbst zu verändern. Wir versuchen zudem, unsere Organisation demokratisch und durch ein alternatives Geschäftsmodell zu führen. Wir wünschen uns, dass uns möglichst viele Menschen aus verschiedenen Ländern auf diesem Weg begleiten und – indem sie sich aus ihrer Komfortzone heraus begeben – eine direktere Verbindung zu anderen Menschen in Ländern wie dem Iran aufnehmen, um so gemeinsam zur Veränderung beizutragen.
Übersetzung aus dem Englischen von Evelyn Rottengatter