von Solidarwerkstatt (www.solidarwerkstatt.at)
In Österreich herrscht Pflegenotstand. Dieser Notstand hat viele Gesichter.
Pflege als Armutsrisiko und Zwei-Klassen-Pflege
Menschen aus unteren sozialen Schichten werden öfter krank und haben einen höheren Pflegebedarf. Zugleich aber können sie sich eine entsprechende Pflege nicht leisten. Der Rechnungshof hatte bereits 2007 kritisiert, dass das Pflegegeld nur zwischen 9% und 26% der wirklichen Pflegekosten abdeckt (Standard, 8.12.2007). Aufgrund der Nichtanpassung an die Inflation ist der Wert des Pflegegeldes zwischen 1993 und 2014 um 25% gesunken. Das WIFO hat erhoben, dass 2015 in Österreich 8,7 Milliarden Euro für die Pflege aufgewendet wurden, rd. 3,7 Milliarden (42%) davon wurden von den privaten Haushalten getragen.
Hauptlast liegt bei den Familien und Frauen
Jede vierte Familie in Österreich ist mit Pflegebedürftigkeit konfrontiert. Mit rund 80% liegt die Hauptlast der Pflege bei den Familien und informellen Netzwerken, und hier wiederum zu 80% bei den Frauen. 20% pflegen ihre Angehörigen 10 Jahre und länger. Die Folgen: Die Pflegenden werden selbst häufig zum Pflegefall. 84 Prozent jener Personen, die ihre Angehörigen mit einer Pflegegeldstufe sieben betreuen, haben körperliche Beschwerden. Aber bereits bei Pflegestufe eins erleben 72 Prozent psychische Belastungssymptome.
Hemmungslose Ausbeutung in der 24-Stunden-Pflege
Der Pflegebereich ist gekennzeichnet von prekärer Beschäftigung: 78.325 BetreuerInnen sind in der 24-Stunden-Pflege im Einsatz. Das heißt: Frauen – zumeist aus Osteuropa – werden als (Schein-)Selbständige hemmungslos ausgebeutet und mit Dumpinglöhnen von 800 Euro für 14-Tage Rund-um-die-Uhr-Arbeit abgespeist, während zugleich in ihren Herkunftsländern selbst bereits Pflegekräfte an allen Ecken und Enden fehlen. Gleichzeitig wird dadurch Lohndruck auf qualifizierte Pflegekräfte ausgeübt.
Gemeinden bluten finanziell aus
Das derzeitige Pflegesystem führt zum finanziellen Ausbluten der Gemeinden, die sowohl bei Errichtung und Betrieb der Infrastruktur zur Kassa gebeten, als auch dann, wenn das Pflegegeld bzw. die Pension für die Kosten einen Aufenthalts im Pflegeheim nicht ausreichen, zur Kasse gebeten werden. Die Kosten laufen den Einnahmen davon. Zwischen 2012 sund 2016 stiegen die Ausgaben der Gemeinden für Soziale Wohlfahrt um 21%, während die Ertragsanteile mit plus 13% deutlich hinterherhinkten. Auch die Abschaffung des Pflegeregresses droht zumindest teilweise zulasten der Gemeinden zu gehen, da die wirklichen Kosten vom Bund nicht abgedeckt werden.
40% der Pflegekräfte sind burnoutgefährdet
In Finnland kommen auf 1 000 Einwohner im Durchschnitt 21,7 Pflegekräfte, in Österreich 5,8. Entsprechend hoch ist die körperliche und psychische Belastung in den Pflegeberufen. Eine AK-Studie, die 2014 27.000 MitarbeiterInnen in Spitälern, Heimen und mobilen Betreuungsdiensten befragte, kommt zu einem alarmierenden Ergebnis: Fast 40% der im Gesundheits- und Pflegebereich Arbeitenden ist burnoutgefährdet. Das ist auch für das PatientInnenwohl gefährlich.
„Krasse Menschenrechtsverletzungen“
Die Spar- und Kürzungspolitik hat in den Pflegeeinrichtungen zum Teil zu menschenunwürdigen Bedingungen geführt. Der Bericht der Volksanwaltschaft im Jahr 2017 über die Zustände in österreichischen Pflegeeinrichtungen fiel düster aus. Volksanwalt Günther Kräuter sprach von „krassen Menschenrechtsverletzungen“ und „struktureller Gewalt“ (Standard, 4.5.2017). Bekannt geworden war u.a., dass verwahrloste Senioren angetroffen wurden, die mit Gurten im Rollstuhl fixiert waren, dass es für viele Pflegeheimbewohner nur einen Dusch- und Badetag in der Woche gibt, dass PatientInnen Medikamente ins Essen gemischt werden, um diese schon am Nachmittag zu sedieren. Zu geringe Betreuungsschlüssel bei Personen mit psychiatrischen Diagnosen führten zu häufigen Stürzen mit zum Teil schweren Verletzungen.