Während hierzulande noch diskutiert wird, ob und wieviel Migration von jenseits des Mittelmeers verträglich ist und in welchen Fällen Migranten abgewiesen werden könnten, tritt kaum ins Bewusstsein, dass durch die Grenzzäune in Ungarn und Mazedonien die Zugangswege nach Deutschland schon weitgehend versperrt sind. In diskreter Übereinkunft mit der EU wird auch in Nordafrika die Abwehr von subsaharischen Migranten immer effizienter.
Algerien zum Beispiel hat mit Mali und Niger Verträge sowohl für Arbeitsmigration als auch für Rückführungen. Von Zeit zu Zeit werden Abschiebungen von Migranten durchgeführt, die ihre Arbeit verloren oder keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben: Frauen, Jugendliche und sogar Kinder, die von Schlepperorganisationen gezielt zum Betteln nach Nordalgerien gebracht wurden, wo es 18 Zentren gibt, die ihnen humanitäre Hilfe leisten. Da sie Muslime sind, gibt es keine kulturellen Gründe, weshalb algerische Bürger, die Bettelnde vor einigen Jahren noch großzügig unterstützten, dies heute weniger tun. Ihr Staat transferiert nach Mali und Niger Gelder, um Menschen vor Ort eine wirtschaftliche Perspektive zu sichern. Trotzdem wächst der Flüchtlingsstrom, sodass allein nach Niger zwischen 2014 und 2017 etwa 70.000 Menschen zurückgeführt worden sind.
Das Land will aber nur eigene Bürger wieder einreisen lassen. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Mali passieren jedoch auch viele Menschen illegal die Grenze nach Algerien, die aus anderen Ländern der Westafrikanischen Wirtschaftsunion kommen, in der Freizügigkeit herrscht. Vor diesem Hintergrund kam es Anfang Juli zu der international bekannt gewordenen Aussetzung von 350 Migranten jenseits der Grenze zu Niger. Verantwortlich soll Algerien sein, das den Vorwurf aber ablehnt und darauf verweist, dass es die Abschiebeaktionen unter Kontrolle des UNHCR durchführte. Tatsächlich waren die 14 klimatisierten Busse nicht nur begleitet von Polizisten und Gendarmen, sondern auch vom algerischen Roten Kreuz und Pascal Reyntjers, dem Repräsentanten der Internationalen Organisation für Flüchtlingshilfe in Algier. Auch die Journalistin Salima Tlemçani , bekannt dafür, die heißesten Themen anzufassen, hat den Konvoi begleitet, der sich am 28. Juni um 21 Uhr vom nahe bei Algier gelegenen Badeort Zeralda in Richtung Sahara in Bewegung setzte.
In der 400 km südlich, bereits in der Steppe liegenden Stadt Laghouat, wurden im Morgengrauen Frühstücksimbisse und Babywindeln ausgegeben. Eine Krankenstation versorgte Migranten, die sich schlecht fühlten. Beim Röntgen des Arms eines Jungen von sechs oder sieben Jahren wurde ein doppelter Bruch festgestellt. Er und etliche schwangere Frauen, die die Reise schon jetzt überanstrengt hat, werden ins Krankenhaus gebracht und können erst einmal hier bleiben.
Clowns im Angebot
Weitere 280 km weiter südlich, in Ghardaia, war in einer Ausstellungshalle ein Couscous für die Migranten angerichtet worden. Gut gemeint, aber doch irgendwie makaber – hatte man auch den Auftritt einiger Clowns organisiert, um die zahlreichen Kinder „zu unterhalten“. Aus etlichen Städten der algerischen Sahara stießen weitere Busse mit Migranten dazu. In Hassi Lefhel, wo das algerische Rote Kreuz am Nachmittag Wasser und Kekse ausgab, versuchten einige Migranten zu entfliehen, wurden aber von den Gendarmen schnell wieder zurückgebracht. Ein junger Mann, der in Algerien vergeblich Arbeit gesucht hatte, sagte Tlemçani: „In Niger erwartet uns nur der schleichende Tod“. Andere, die vom Betteln gelebt hatten, erzählten, dass ihr Einkommen im Vergleich zu den Verhältnissen in Niger „traumhaft“ gewesen sei. Dort könne niemand mehr einem Bettler etwas geben. Immer wieder versicherten die zum Teil schon mehrfach abgeschobenen Migranten, dass sie auf alle Fälle versuchen würden, zurückzukehren.
In In Salah, weitere 370 km südlich, ist ein künftiges Durchgangslager für 1000 Migranten im Bau. Die jetzt Ankommenden können hier aber schon duschen.
Nach 43 Stunden erreicht der Konvoi Tamanrasset, wo ein ebenso großes Durchgangslager bereits fertiggestellt ist. Hier können sich die Migranten noch einmal ausruhen. Es kommt aber zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Migranten, die gebettelt haben und denen, die sich als Arbeitsmigranten deklarieren. Letztere verkünden, dass sie leicht immer wieder Arbeit fänden, hätte man sie nicht aufgegriffen.
Korruption der Eliten
Während dessen prüfen Vertreter des Konsulats von Niger mit modernsten Mitteln die Identitäten. Doch weder diese Prozedur, noch die Anwesenheit von Vertretern des UNHCR beim Grenzübertritt, noch die bis Agadez vorgesehene Begleitung des algerischen Roten Kreuzes bewirkte, dass der Empfang in Niger vorbereitet war. Auf einer bilateralen Konferenz über dieses Vorkommnis am 16. Juli in Algier wurde vereinbart, dass Algerien Niger künftig dabei hilft, kompetentes Personal für die Repatriierungsvorhaben auszubilden. Niger will aber weiterhin keine abgeschobenen Menschen aus anderen Staaten „empfangen“.
Während die Europäer noch diskutieren, ob und wie humanitäres Engagement die Migration mindern kann und sich dabei gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, bleibt völlig außen vor, dass die Fluchtgründe durch die imperiale Praxis ihrer stärksten Mitglieder entstehen. Im Falle von Mali und Niger ist es Frankreich, das sich – unterstützt von der Bundeswehr – auch mit Hilfe militärischer Kontrolle Zugang zu den Rohstoffen der Region sichert. In Niger profitieren französische Konzerne von der größten Uranausbeute der Welt. Die Gewinne fließen nicht in die Entwicklung des Landes, der Abbau geht mit hemmungsloser weiträumiger Zerstörung der Umwelt einher. Dass Länder so etwas zulassen, lässt sich nur mit breit angelegter Korruption ihrer Eliten verstehen. Damit sich etwas ändert, dürfen die Europäer nicht mehr nur über Veruntreuung von Entwicklungshilfegeldern schwadronieren. Notwendig wäre, sich keine Illusionen über die Korruption zu machen, die das neokoloniale Weltsystem am Laufen hält.
Dieser Artikel wurde von unserem Partner WeltnetzTV übernommen, stammt von Sabine Kebir und und wurde unter dem Titel ‚Ab in die Sahara‘ auf Der Freitag vom 27.07.2018 erstveröffentlicht