Raúl Alarcón Rojas, besser bekannt als Florcita Motuda, ist ein chilenischer Musiker und Politiker, bekannt für seine experimentelle und extravagante Arbeit und seinen öffentlichen Einsatz für das „Nein“ im Plebiszit von 1988 gegen die Pinochet-Diktatur, welches schlussendlich den Demokratisierungsprozess in Chile einleitete.
Ab dem 11. März 2018 wird er als Abgeordneter in das chilenische Parlament einziehen als Teil des Wahlbündnisses Frente Amplio (Breite Front) und als Mitglied der Humanistischen Partei.
Florcita bat mich darum dieses Interview in seinem Haus in El Arrayan, in den Bergen von Santiago zu führen. Ich dachte, wir würden uns im Schatten der Mandel- und Pflaumenbäume aufhalten, die dort seit Jahren auf den Steinterrassen wachsen, und eine Art Amphitheater auf dem steilen Hang des Hügels bilden. Er brachte mich stattdessen in einen dunklen Raum, in dem er seine Musik komponiert, an sich selbst arbeitet und Momente größter Inspiration erfährt. Es war heiß, ich bat um etwas Wasser.
„Du solltest besser Wassermelone essen“, sagte er und stellte mir die Hälfte einer großen roten Frucht hin, gab mir einen Löffel und suchte einen Teller für die Kerne. Nichts, was Florcita tut, ist konventionell, weder was er isst, noch was er fühlt, noch was er denkt, noch weniger was er tut. Und jetzt, wo er zum Abgeordneten gewählt wurde, interpretiert er viele Ereignisse seines Lebens angesichts dieser Tatsache neu.
„Es ist, als würde alles eine neue Bedeutung erhalten“, sagt er,“sogar die Texte meiner Songs, die anscheinend viele Jahrzehnte vorweggenommen haben. ‚Die Maschinen‘ zum Beispiel, ein Lied, das die Robotisierung beschreibt, die der unvermeidliche Fortschritt der Technologie in allen Bereichen mit sich bringt. Das setzt Energie frei, die der Mensch in die Arbeit stecken müsste und oft leidet er darunter. Es kann sehr interessant sein, diese Energie in Richtung Kreativität umzuleiten, vorausgesetzt, es gibt ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dieses Thema der Maschinen, ist heute viel klarer, als früher“, betont er. Oder auch das Lied „Eltern“, das mit dem „Feind“ und der „endlosen Kette von Gewalt“ zu tun hat.
Die Maschinen (Autor und Komponist: Florcita Motuda, Jahr 1986)
Wer sollte effektiv arbeiten? … Die Maschinen … nur die Maschinen.
Wer sollte sehr schnell arbeiten? … die Maschinen … nur die Maschinen.
Wer sollte für wenig Geld arbeiten? … die Maschinen … nur die Maschinen.
Wer sollte den ganzen Tag „wie verrückt arbeiten“? … die Maschinen … nur die Maschinen …
Ich sehe immer noch ein System, … wirtschaftspolitisch und sozial…
das die Menschen wie Maschinen behandelt! Ich sehe es, ich sehe es, ich sehe es, ich sehe es …
Wenn nur die „entwickelten“ Länder … menschlicher wären … wou … woou
Wenn nur „die Volkommenen“ und „die Mächtigen“ … menschlicher wären …
Wer soll alles ohne Poesie tun? … Die Maschinen … nur die Maschinen …
Wer soll alles ohne Rücksicht tun?… Die Maschinen … nur die Maschinen …
Wer sollte es gegen wenig Geld tun? … Die Maschinen … nur die Maschinen …
Wer sollte den ganzen Tag „wie verrückt arbeiten“? … die Maschinen … nur die Maschinen …
Ich sehe immer noch ein System… wirtschaftspolitisch und sozial…
das die Menschen wie Maschinen behandelt! Ich sehe es, ich sehe es, ich sehe es, ich sehe es …
Wenn nur die „entwickelteren“ Länder … menschlicher wären … wou … woou…
wenn nur die Länder … mit Atomsprengköpfen… menschlicher wären … wou … woou..
Wenn nur „die Volkommenen“ und „die Mächtigen“ … menschlicher wären ….
Die Maschinen… nur die Maschinen … nur die Maschinen …
Und er hat Recht. Er hat so viele Dinge vorhergesehen, und auch seine Partei, die Humanistische Partei, die oft als anachronistisch und utopisch abgetan worden war. Aber heute wo sich in Chile durch die Vorschläge der „Frente Amplio“ neue Dinge am Horizont abzeichnen, wird man deren Forderungen sicherlich verstehen: echte Demokratie, politische Verantwortung, soziale Beteiligung, Dezentralisierung, Umverteilung des Reichtums, garantierte Rechte usw. Ich denke, wenn Florcita als Abgeordneter gewählt wurde, haben sich die Zeiten wirklich geändert und dies ist eines der ersten Anzeichen dafür.
Die alte Politik, die ohne Beteiligung der Menschen gemacht wird, scheint zu Ende zu gehen.
Pressenza: Wie wirst du Kontakt zu den Menschen in deinem Distrikt aufnehmen?
Raúl Florcita Alarcón: „Ich möchte in den wichtigsten Städten des Bezirks, in dem ich gewählt wurde, Kulturzentren eröffnen, in denen Menschen lernen können, Musik zu komponieren, neue Lieder zu schreiben und sie ohne Hemmungen zu singen. Workshops zur Förderung der Kreativität, in denen Jugendliche und ältere Mitmenschen aufeinandertreffen und voneinander lernen können. Gemeinsam organisieren wir Internationale Festivals von Liedern mit nur einem Wort und dann Internationale Festivals von Liedern mit nur einem Satz, mit Preisen und allem. Ich erkläre es dir gleich“, sagt er und lacht.
Ich interessiere mich auch für Chöre, für das kollektive Harmonie-Erlebnis, das durch das gemeinsame Singen im Chor entsteht. Aber ich möchte auch etwas über das Adrenalin wissen, was die Graffiti-Künstler antreibt. Und mich natürlich mit den Schauspielern und den Filmemachern unterhalten.“
Und er fährt fort: „Ich werde alternative Gesundheitsorganisationen kennenlernen und fördern, in denen sich verzweifelte Menschen treffen, um Informationen und natürliche Arzneimittel auszutauschen. Es lohnt sich, in den Netzwerken die verfügbaren Informationen über natürliches Terpentin (Balsamöl), ein Destillat aus Kiefernholz, sehr alt, zu untersuchen (http: //resinadepino.com), da man von den öffentlichen Gesundheitsbehörden keine Antwort erhält. Es git viele viele parallele Organisationen, die sich kümmern, geborgene und freundliche Umgebungen schaffen und die sich zur „Liebe zum Körper, Liebe zum Geist, Liebe zur Natur und Liebe zur Menschheit“ bilden. Ich erkläre es dir gleich“, sagt er und lacht lautstark.
„Ich werde mich zwar dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses angehören, aber die Welt der Kultur ist sehr weitläufig und ich möchte mich nicht auf das beschränken, was im Kongress gemacht wird, sondern ich will im Gegenteil, in wirklichem und direkten Kontakt mit denen stehen, die Musik, Theater und Tanz machen, mit dem, was immer meine Welt war und ist, und auch mit alternativen Gesundheitsorganisationen.“
Pressenza: Wie und warum hast du diese Persönlichkeit Florcita Motuda geschaffen?
Raúl Florcita Alarcón: “Es ist eine unterhaltsame Art und Weise, mich vor möglichen Aggressionen zu schützen und die Presse neugierig zu machen. Die Figur hat viele verrückte Merkmale, die helfen, nicht als gefährlich betrachtet zu werden. Sie hat auch einen außerirdischen Touch, die sie attraktiv macht. Ich erkläre es dir gleich“, sagt er und lacht wieder.
„Ich glaube, dass der Kongress meine Art zu leben nicht ändern wird, ich dachte sogar, dass ich in meinen Sternenumhang gekleidet herein marschieren würde. Dann habe ich es mir anders überlegt, das könnte am ersten Tag eine Bestätigung meiner Identität sein, aber Ich möchte nicht, dass der Mantel, mit dem ich die Magie bei meinen Shows schaffe, mit dem, was im Kongress passiert, beschmutzt wird“, sagt er lächelnd.
Pressenza: Wie wird deine Beziehung zu den anderen Abgeordneten sein, von denen viele nicht mit den Vorschlägen der Frente Amplio übereinstimmen?
Raúl Florcita Alarcón: „Ich werde ein Abgeordneter sein, der allen, die das Wort im Parlament ergreifen, ohne Vorurteile mit dem Herzen zuhört. Selbst wenn mein Kopf mir sagt, dass sie dumme Dinge sagen, wird mein Herz darauf ausgerichtet sein, liebevoll zuzuhören, als Teil eines inneren Stils, selbst den Aggressivsten zuzuhören. Ich will nicht dieser Tendenz nachgehen die anderen zu degradieren, ich will nicht überlegen, wie man Feinde vernichtet, ich will nicht, dass mein Kopf mit Ressentiments voll wird. Ich werde mit einem offenen und willigen Herzen zuhören, immer meiner Intuition folgend, die mir sagen wird, wo das Gute und das Neue geboren wird, was die Zukunft für das Land öffnen kann, nach der wir uns sehnen.“
Pressenza: Was für einen tiefgründigen Sinn hat diese Phase deines Lebens für dich, in der du sogar als Verpflichtung siehst mindestens 100 Jahre zu leben?
Raúl Florcita Alarcón: “Dieses Mandat gibt diesem Abschnitt meines Lebens eine Menge Bedeutung, indem es so viele meiner früheren Handlungen neuorganisiert und eine neue Interpretation in meinen Prozess bringt, in meine persönliche Geschichte, seit ich der Humanistischen Bewegung im Januar 1971 beigetreten bin. Verschiedene Momente kommen mir in den Sinn: die Aktion „Der Walzer des Nein“ zum Beispiel, gegen die Pinochet-Diktatur. Als ich kürzlich mein Lied über Nicanor Parra komponiert habe, der kurz zuvor 103 geworden war, habe ich den Entschluss gefasst, mindestens 100 Jahre alt zu werden. Ohne diese Entscheidung hätte ich nicht darauf geachtet, meinen Körper in seiner volleren Kraft und gesund zu erhalten, wie er momentan ist. Mein aufmerksamer Geist und mein Lebensprojekt haben mit einer Art höheren Schicksal zu tun, mit dem Verbreiten des Universellen Humanismus. Nun, diese Wahl zum Abgeordneten gibt mir einen weiteren Grund zu leben und sogar lange zu leben, es gibt mir mehr Energie als ich erwartet habe, macht mir mehr Spaß. Ich bin glücklich, weil wir in der Frente Amplio zwanzig Abgeordnete sind, zusätzlich zu einem Senator. Man kann nicht verloren gehen, wir sind ein großartiges Team! Ich erkläre es dir später“, sagt er, und seine Augen leuchten vor Enthusiasmus.
Pressenza: Und was wirst du mit all den Formalitäten und der Bürokratie machen, frage ich.
Raúl Florcita Alarcón: „Nichts“, antwortet er sofort, „das ist nicht mein Ding. Was mich interessiert, ist die Möglichkeit, Musik zu machen, zu musizieren und die Ideen zu unterstützen, die eine neue Welt, eine Zukunft schaffen wollen. Es sind unsere liebsten Ideale, die sich ihren Weg bahnen, genau unsere Bestrebungen liegen bereits in der Luft. Ich habe das Gefühl, dass ich immer dabei war, die Zeit vorwegnehmend, sehr dankbar für die mystische Kreativität, und die seltenen Gelegenheiten der Inspiration erlebt zu haben, als interessante mystisch-politische Erfahrung. Das sind Erlebnisse, die ich allen wünsche, später erzähle ich dir mehr davon. Jetzt fang ich an zu erkennen, wohin die Zukunft geht. Es ist eine Zeit, die man genießen und mit all den mystisch-politischen Kämpfern teilen sollte“, lacht er hemmungslos.
Bevor wir uns am späten Nachmittag verabschieden, frage ich ihn, ob er mir die Texte einiger seiner Lieder schicken kann, von denen er gesprochen hatte. Ich möchte sie hier veröffentlichen, weil sie genau das sind, was er sagt: eine Vorwegnahme kommender Zeiten.
Übersetzung aus dem Spanischen von Gustavo Joaquin, überarbeitet von Marita Simon