Vor 50 Jahren, am 4. April 1967, hielt Dr. Martin Luther King Jr. eine bemerkenswerte Rede in der Riverside Church in New York City: “Beyond Vietnam. A Time to Break Silence”, „Jenseits von Vietnam“. Darin wendet er sich an seine eigene Nation, die Vereinigten Staaten von Amerika, und seine eigene Bevölkerung und spricht über die Notwendigkeit, „den Verrat meines eigenen Schweigens“ über den Vietnamkrieg „zu durchbrechen“. Dann aber geht er weiter zu dem Aufruf zu einem „grundsätzlichen tiefen Wandel (…) in Leben und Politik Amerikas (…), einem Wandel von einer ‚sachorientierten‘ Gesellschaft zu einer ‚an der Person orientierten‘ Gesellschaft (…) Wenn Maschinen und Computer, Profitbestrebungen und Eigentumsrechte für wichtiger gehalten werden als Menschen, dann wird die schreckliche Dreier-Allianz von Rassenwahn, extremem Materialismus und Militarismus nicht mehr besiegt werden können.“ Und er macht geltend, dass nur eine „radikale Revolution der Werte“ die Probleme Ungleichheit, Armut und Krieg überwinden wird.
Wir, der europäische Zweig des IFOR, des internationalen Versöhnungsbundes, haben uns dieses Wochenende in Wien getroffen. Kurz bevor der neue Zyklus der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages beginnt und wenige Wochen nach dem Beginn der Verhandlungen in den UN in New York über ein Instrument zu Verbot und Verbannung aller Kernwaffen wird es jetzt für uns Zeit, die Stimme zu erheben. Wir wenden uns an unsere, die europäischen Länder, unsere Regierungen ebenso wie an unsere Bevölkerungen. Wir glauben, dass Waffen, besonders Massenvernichtungswaffen, nicht auf legitime Weise bereitgehalten oder verteidigt werden können. Da wir an die aktive Gewaltfreiheit als die einzige Macht glauben, die in der Lage ist, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und friedliche Lösungen für bestehende Konflikte zu finden, weisen wir jede Möglichkeit des Einsatzes von Kernwaffen aus folgenden Gründen zurück:
- Kernwaffen sind moralisch und ethisch verwerflich, da sie das Leben von Millionen Menschen, wenn nicht der gesamten Menschheit bedrohen.
- Die humanitären Folgen eines jeden Einsatzes von Kernwaffen wären katastrophal. Daran haben uns viele Untersuchungen und Appelle der drei „humanitären Konferenzen“ (in Oslo, Nayarit und Wien, 2013 und 14) aufs Neue gemahnt.
- Darüber hinaus wären die ökologischen Folgen eines jeden Einsatzes von Kernwaffen in seiner unmittelbaren und Langzeit-Wirkung verheerend.
- Der Einsatz (die Drohung mit dem Einsatz) von Kernwaffen ist nach internationalem humanitären Recht illegal.
- Durch Kernwaffen wird der absolute Wert eines jeden Lebens negiert und ihr möglicher Einsatz ist nicht an Personen („menschlicher Sicherheit“) orientiert.
Wir begrüßen die Entscheidung von mehr als 130 Staaten, nach Jahrzehnten des Stillstandes bei der nuklearen Abrüstung das Schweigen zu brechen und in Verhandlungen über einen Vertrag einzutreten, in dem Kernwaffen für illegal erklärt werden. Wir möchten alle Staaten, die bisher noch nicht an den Verhandlungen teilnehmen, dazu ermutigen, an der zweiten Sitzung im Juni und Juli 2017 teilzunehmen. Wir möchten alle Staaten ermutigen, sich gleichzeitig auch an allen entsprechenden Maßnahmen zu beteiligen, um im Rahmen der vorhandenen Verträge die Gefahren, die mit Kernwaffen verbunden sind, und die Abschreckung durch Kernwaffen wenigstens zu verringern, am besten aber zu beseitigen.
Hinsichtlich des europäischen Zusammenhanges erkennen wir die verschiedenen Rollen der beteiligten Akteure und fordern sie auf, folgendermaßen vorzugehen:
- Wir sind dafür dankbar, dass einige europäische Länder eine aktive Rolle im Verhandlungsprozess über die Beseitigung aller Atomwaffen übernommen haben (Österreich, Irland, Schweden, die Schweiz u. a.) und möchten sie dazu ermutigen, ihre Bemühungen fortzusetzen.
- Wir begrüßen die Teilnahme weiterer Länder an den Verhandlungen in New York, besonders der Niederlande als dem einzigen NATO-Mitgliedsland, das daran teilnimmt.
- Wir appellieren an alle europäischen Länder, die zur Militärallianz (NATO) und/oder der Europäischen Union gehören, sich nicht auf eine Militär-Doktrin einzulassen, die die Option der Abschreckung durch Kernwaffen oder ihren Einsatzes enthält.
- Wir appellieren an alle europäischen Länder, auf deren Boden Kernwaffen stationiert sind (Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die Türkei), angemessene Maßnahmen zu ergreifen, diese Waffen aus ihren Ländern zu entfernen.
- Wir appellieren an die beiden offiziellen Atom-Mächte in Europa, Frankreich und Britannien, ihre Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung gemäß den bestehenden Verträgen (vor allem Art. VI des Atomwaffensperrvertrages) zu erfüllen und in Verhandlungen über einen Verbots-Vertrag einzutreten.
Uns ist bewusst, dass Appelle allein nicht ausreichen, um nukleare Abrüstung und die Abschaffung aller Atomwaffen zu erreichen. Wir gestehen außerdem ein, dass wir nicht genug getan haben, um bei den Menschen in unseren Ländern das Bewusstsein der ständigen Bedrohtheit der Menschheit anzuheben. Deshalb verpflichten wir uns dazu, miteinander und mit anderen Akteuren in unseren Gesellschaften zusammenzuarbeiten, um mit gewaltfreien Mitteln und Strategien für unsere Vision einzutreten: eine Welt ohne Kernwaffen. Das wollen wir auf folgende Weise tun:
- Wir wollen weiterhin die laufenden politischen Entwicklungen unserer Regierungen daraufhin beobachten, ob sie für oder gegen einen Fortschritt in der nuklearen Abrüstung sind.
- durch Befürwortung gegenüber unseren Regierungen, die Sperrvertrags-Verhandlungen im Juni/Juli in New York vorwärtszubringen,
- durch die Aufklärung der Öffentlichkeit über die herrschenden Risiken und Gefahren von Kernwaffen,
- durch die Fortsetzung gewaltfreier Aktionen wie Blockaden und Banner-Aktionen an Orten, wo Kernwaffen in Deutschland und Italien stationiert sind, Aktionen während des NATO-Gipfels im Mai in Brüssel und Aktionen am Hiroshima-Tag in verschiedenen Ländern,
- dadurch, dass wir als IFOR-Mitglieder bei derartigen Aktivitäten Solidarität miteinander und gegenseitige Unterstützung beweisen,
- durch das Abhalten von Aktionen am 26. September 26, dem „Internationalen Tag für die vollständige Beseitigung der Kernwaffen“
Martin Luther King schloss 1967 seine Rede mit den folgenden Worten: „Heute haben wir noch die Wahl: gewaltlose Koexistenz oder gemeinsame Vernichtung durch Gewalt. Wir müssen aus der Unentschlossenheit heraus- und zum Handeln kommen. (…) Wenn wir jetzt nicht handeln, wird man uns in jene dunklen und schrecklichen Verliese der Zeit werfen, die für jene bestimmt sind, die Größe ohne Mitleid, Macht ohne moralische Verantwortung und Stärke ohne Weitsicht besitzen.“ Wenn wir uns dem Thema Kernwaffen stellen, hallen diese Worte noch nach 50 Jahren wieder.