In einem Referendum stimmte am vergangenen Sonntag (16.4.) eine knappe Mehrheit der Türken für eine Änderung der türkischen Verfassung. Damit wurden die Weichen für eine Alleinherrschaft von Präsident Erdogan gestellt. Mit der Schließung von Redaktionen und der Verhaftung von Oppositionellen hat die Regierung eine offene Diskussion unterbunden und stattdessen für ein Angstregime gesorgt. Es verdient unseren Respekt, dass sich trotz des massiven Drucks von Seiten der türkischen Regierung fast die Hälfte der Abstimmenden entschlossen hat, mit Nein zu stimmen, und sich damit gegen die präsidialen Allmachtsfantasien gestellt hat.
Die 18 vom Parlament beschlossenen und mit knapper Mehrheit bestätigten Änderungsanträge beziehen sich auf 72 Artikel der türkischen Verfassung und haben einen massiven Zuwachs der präsidialen Macht zur Folge. Die seit dem Ausnahmezustand aus dem Gleichgewicht gekommene Gewaltenteilung wird nun zementiert. Das knappe Ergebnis wirft die Frage auf, ob die Volksabstimmung unter fairen Bedingungen anders ausgegangen wäre.
Die Wahlbeobachter/innen des Europarats und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierten laut Zeit Online bereits zahlreiche Mängel und ungleiche Bedingungen für die Gegner/innen und Befürworter/innen der geplanten Verfassungsänderung. Die späte Änderung der Abstimmungsregeln habe „gegen das Gesetz“ verstoßen. Dadurch seien wichtige „Schutzvorkehrungen“ gegen Wahlbetrug beseitigt worden. Die Wahlbeobachter/innen beziehen sich damit auf die Entscheidung der türkischen Wahlbehörde, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Üblicherweise werden diese von der Kommission gestempelt, um zu garantieren, dass keine Stimmzettel oder Umschläge verwendet werden, die nicht von ihr stammen.
Diese Entscheidung hatte die Wahlbehörde noch während der laufenden Abstimmung am Sonntag getroffen. Darüber hinaus seien die Wähler/innen nicht mit unabhängigen Informationen über zentrale Aspekte der Reform versorgt worden. Zudem seien wegen des Ausnahmezustands Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, „die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind“. Abzuwarten ist zudem das offizielle Endergebnis.
„Volksabstimmungen sind in der Regel bildungspolitische Großveranstaltungen, bei denen wichtige Themen breit und intensiv diskutiert werden. Unter den Bedingungen eines Ausnahmezustandes allerdings verlieren demokratische Instrumente schnell ihren ursprünglichen Sinn und Zweck“, so Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandsprecher von Mehr Demokratie. Solange die türkische Gesellschaft auf so viele kritischen Kräfte zählen kann, bliebe auch die Hoffnung bestehen, dass die Türkei zur Demokratie zurückkehrt.
Das Referendum war notwendig geworden, weil der Antrag auf Verfassungsänderung die notwendige Zweidrittelmehrheit im türkischen Parlament knapp verfehlt hatte. Die türkische Verfassung sieht in einem solchen Fall zwingend eine Volksabstimmung vor. Es waren rund 58 Millionen registrierte Wähler/innen aufgefordert, über die Verfassungsänderung abzustimmen, darunter fast drei Millionen im Ausland lebende Türken, davon 1,4 Millionen in Deutschland. Mehr Demokratie hatte gemeinsam mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) zu einer offenen Diskussion aufgerufen, rechtsstaatliche Bedingungen für die Volksabstimmung angemahnt und für einen Fortbestand der Demokratie in der Türkei geworben. Mehr als 16.000 Menschen hatten unseren Aufruf unterzeichnet.
Ausführliche Infos zu den Verfassungsänderungen gibt es hier auf den Seiten von Mehr Demokratie e.V.