WikiLeaks-Gründer Julian Assange sagte: „Dieses wesentliche Beweismaterial belegt, dass der Untersuchungsausschuss die Snowden-Dokumente zwar verwendet hat, aber zu feige ist, eine Zeugenaussage von Snowden in Berlin zu ermöglichen.“
Am 1. Dezember 2016 veröffentlichte Wikileaks über 90 GB Dokumente, die Aufschluss über die Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu den Überwachungstätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und seiner Zusammenarbeit mit der amerikanischen NSA sowie dessen privat-wirtschaftlichen Auftragnehmern geben. Die Dokumente stammen aus verschiedenen Bundesbehörden und gingen dem Untersuchungsausschuss im vergangenen Jahr im Rahmen von Anfragen der Ausschussmitglieder an die Dienste zu.
In den 2420 Akten sind neben den Auskünften auch schriftliche Korrespondenz zwischen dem Bundeskanzleramt, den Diensten und Ausschussmitgliedern sowie Hintergrundberichterstattung aus verschiedenen Medien enthalten, die offenbar teilweise als Anstoss für weitere Anfragen dienten.
Der Korpus umfasst unter anderem 125 Dokumente des BND, 33 des BfV sowie 72 des Bundesamtes für Informationssicherheit.
Die Dokumente verdeutlichen Taktiken der Nachrichtendienste im Rahmen der parlamentarischen Untersuchung und geben Einblick in die Vorgänge im Ausschuss selbst. Aus Teilantworten und Klauseln geht hervor, mit welchen Arbeitserschwernissen die beteiligten Abgeordneten konfrontiert sind.
Ebenso liefern die Dokumente eine grobe Skizze der Aufklärungskooperationen zwischen befreundeten Geheimdiensten sowie Dienstleistungsbeschreibungen zu an private Firmen ausgelagerten Tätigkeiten, die darauf schliessen lassen, wie Geheimdienste arbeiten.
Die Antworten der Zuständigen im BND sind oft ausweichend. So geht es in einem der Dokumente um die Anforderung einer detaillierten Auflistung jener US-Firmen, die auch in Deutschland aktiv sind. Noch immer wird dem NSA Untersuchungsausschuss die Liste jener Selektoren vorenthalten, die der BND im Rahmen einer Amtshilfe im Namen der USA ausspäht. Es wird befürchtet, die Herausgabe könne die deutsch-amerikanischen Beziehungen belasten.
Während erste Erkenntnisse über die Geheimdienst-Kooperation durch die Arbeit des Ausschusses bereits aufgedeckt werden konnten (siehe auch die WikiLeaks-Veröffentlichungen von Transkripten aus dem Vorjahr), bieten die neu veröffentlichten Primärquellen eine weitere Grundlage für die Analyse und journalistische Aufarbeitung des Skandals. Unter anderem enthält die Sammlung frühe schriftliche Vereinbarungen zwischen BND und NSA, die interne Prozesse der Zusammenarbeit zeigen. So haben Mitarbeiter des BND zu XKeyscore beigetragen, und wurden in der Anwendung dieses Programms zur Analyse von Datensätzen in der anlasslosen Massenüberwachung geschult.
Dokumentiert ist auch, wie die Dienste an ihren eigenen Dienstherren vorbei arbeiten. Bei einem Audit/Besuch der bundesdeutschen Datenschutzbehörde beim BND wurde dem Auditor seitens des BND schriftliche Vermerke vorenthalten und erst freigegeben, nachdem sie durch den BND selbst geprüft worden waren.
Der 1. Untersuchungsausschuss in der auslaufenden Legislaturperiode wurde 2014 nach den Snowden-Enthüllungen eingerichtet, der mit seinen Leaks nachweisen konnte, dass die NSA nicht nur die gesamte Welt ausspioniert, sondern im Rahmen von Kooperationen mit anderen Geheimdiensten das Spähverbot gegen deren eigene Bevölkerung hilft zu umgehen. Anrainerstaaten waren im Service inbegriffen.
Eines dieser Länder mit befreundeten Geheimdiensten ist Deutschland und über US-Stützpunkte in Deutschland und mit Hilfe des BND konnten so sowohl deutsche Bürger als auch europäische Institutionen überwacht werden.
WikiLeaks hat durch die Veröffentlichung von Unterlagen, die einen Lauschangriff auf Kanzlerin Angela Merkel sowie weiterer hochrangiger Mitarbeiter, EU-Offizielle und Frankreichs belegen, die Notwendigkeit einer parlamentarischen Untersuchung deutlich gemacht.
Klärungsbedarf besteht weiterhin: Die Kooperationsvereinbarungen zwischen den Diensten und die Ausgestaltung geheimdienstlicher Maßnahmen sind für weite Teile der Bevölkerung ebenso obskur wie für große Teile des Parlaments.
Alle öffentliche Entrüstung hat bisher nicht dazu geführt, Edward Snowden vor dem Ausschuss als Zeugen zu hören – aus Angst vor den politischen Konsequenzen. Einem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 21. November zufolge soll die Bundesregierung nun Amtshilfe leisten und dem Whistleblower freies Geleit zusichern, damit er vor dem Ausschuss aussagen kann. Diese Empfehlung ist aber nicht bindend, und CDU/CSU sowie die SPD haben diesen Punkt im Ausschuss vorerst vertagt.
Julian Assange erklärt: „Deutschland kann innerhalb der EU keine Führungsrolle übernehmen, wenn seine eigenen parlamentarischen Gremien im vorauseilendem Gehorsam gegenüber den USA agieren.“