Nicht die Realität in den Fluchtländern entscheidet, sondern die Abschreckungsinteressen der Bundesregierung
Zwischen Januar und September 2016 wurden 460.000 Asylentscheidungen getroffen, rund 70.000 allein im September. Pro Asyl kritisiert, dass dies zu Lasten der Entscheidungs- und Anhörungsqualität geschieht. Neueingestellte und kurzgeschulte AnhörerInnen schauen in vielen Fällen kaum noch auf das individuelle Verfolgungsschicksal – sie hätten auch gar keine Zeit. Inzwischen sind in allen Verfahren diejenigen, die die Asylsuchenden anhören und diejenigen, die entscheiden, zwei verschiedene Personen.
Die neuesten Asylstatistiken bestätigen die Kritik, die Pro Asyl schon anhand der letzten Asylmonatsstatistiken geäußert hat. Obwohl sich die Situation in den wichtigsten Herkunftsstaaten nicht verändert hat, wird immer häufiger umfassender asylrechtlicher Schutz verweigert. Innerhalb eines einzigen Monats nahm die Quote der Fälle, in denen nur noch der sogenannte subsidiäre Schutz gewährt wurde, nochmals um 2% auf rund 45% zu. (siehe Presseerklärung vom August).
Es steigt auch infolgedessen drastisch die Zahl der bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Asylverfahren. Bei der heutigen Bundespressekonferenz wurde formuliert, dass bis Oktober 2016 ca. 19.500 Klagen von Syrer_innen bei Verwaltungsgerichten gegen die Entscheidung, nur subsidiären Schutz zu gewähren, eingereicht wurden. Bei rund 1.900 Entscheidungen waren nur 120 erfolglos, 1.400 dagegen erfolgreich gewesen, der Rest hat sich aus anderen Gründen erledigt.
Für syrische, afghanische, irakische und eritreische Flüchtlinge sinken die Anerkennungsquoten
Die in Kürze zu erwartenden nach den Herkunftsländern aufgeschlüsselten Zahlen werden den Trend der vergangenen Monate bestätigen. Insbesondere für syrische, afghanische, irakische und eritreische Flüchtlinge sinken die Anerkennungsquoten. Schlüssige Erklärungen von Seiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Veränderung der Entscheidungspraxis gibt es nicht, ebenso keine Verbesserungen der menschenrechtlichen Situation in diesen Staaten.
Dass eine zunehmende Zahl von Asylsuchenden nicht mehr den GFK-Status, sondern nur noch den subsidiären Schutz bekommt, hat eine sichtbare und politisch gewollte Funktion: Der Familiennachzug wird auf die lange Bank geschoben, denn den Nachzug ihrer Familienangehörigen kann diese Personengruppe erst nach dem 16. März 2018 beantragen – Ergebnis einer Neuregelung in diesem Jahr.
Nachdem bei afghanischen Schutzsuchenden die Schutzquote bis in den Vormonat hinein von rund 78% im Jahr 2015 auf rund 48% im August 2016 drastisch gesunken ist, steht zu befürchten, dass sich dieser Trend im September fortgesetzt hat. Zwar ist Afghanistan in den vergangenen Monaten nicht sicherer geworden, wie das erneute Auftauchen der Taliban in Kunduz, massive Kriegshandlungen in vielen Provinzen und die hohe Zahl der zivilen Opfer auch in diesem Jahr zeigen. Aber einen härteren Umgang mit afghanischen Schutzsuchenden hat der Innenminister seit dem Herbst 2015 propagiert, mit der pauschalen Behauptung, Afghanistan sei sicher.
Bereits vor der Afghanistan-Geberkonferenz und dem Abschluss von Abkommen, die Abschiebungen nach Afghanistan erleichtern sollen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den öffentlich geäußerten Erwartungen des Bundesinnenministers Rechnung getragen und ließ die Anerkennungsquoten in den Keller fallen. Anhörungsprotokolle, die PRO ASYL erreichen, zeigen, dass Einzelschicksale und individuelle Verfolgung das BAMF immer weniger interessieren. In Entscheidungen finden sich stattdessen immer mehr beschönigende Ausführungen zur Sicherheitslage.