Als Antwort auf die Vorgänge in der Türkei haben türkischstämmige Journalisten, Akademiker, Unternehmer, Autoren und Künstler und deren Freunde am 2. August 2016 die Initiative Türkei-unzensiert gegründet.

Bislang ist diese im wesentlichen in Deutschland vertreten. Auf die Frage, was die Initiative sich erhofft von Europäischen Politikern als Mittel des Protestes gegen die Verhaftungen und andere Massnahmen der Erdogan Regierung, antwortet Jürgen Roth, der Sprecher von Türkei-unzensiert: „Wir wünschen uns ständige Beobachter bei den Prozessen und Untersuchungen der Situation in den Gefängnissen, insbesondere aber auch in den kurdischen Regionen der Türkei.“ Was sie selbst machen können, fährt Roth fort, sei Druck auf die europäischen Politiker zu machen und jene zu unterstützen, die materielle Hilfe benötigen. Auf die Frage, ob er erklären könne, warum die Erdogan-Regierung so viele Unterstützer im In- und Ausland habe, ist er auch etwas ratlos und führt es auf die enge Bindung der türkischen Migranten an die Türkei zurück und auch die fehlende Integration in Deutschland. Was er denjenigen raten würde, die sich angesichts der Entwicklungen hilflos fühlen? „Die hier lebenden Türken und insbesondere die Kurden fühlen sich nicht erst jetzt hilflos. Seit dem zivilen Putsch herrscht leider ein Klima der Angst. Und wir können nur helfen aufzuklären und ihnen – was wenig ist – unsere Solidarität beweisen. Veränderungen können nur in der Türkei geschehen – und da sieht es derzeit wenig optimistisch aus.“

Text der Initiative:

An die Öffentlichkeit 02.08.2016 – Frankfurt am Main

Wir haben am 1.8.2016 die Initiative „TÜRKEI – UNZENSIERT!“ gegründet.

Wir sind Journalisten, Autoren, Künstler, Unternehmer, Akademiker und Parlamentarier, die aus der Türkei stammen, bzw. mit den großartigen Menschen in der Türkei schon sehr lange befreundet sind und dieses einzigartig schöne Land sehr lieben und schätzen.

Wir sind erschüttert von dem Putschversuch einiger Offiziere am 15. Juli 2016 und zollen unseren Respekt denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die aus Angst vor einer Militärdiktatur diesen Putsch verhinderten.

Wir haben aber große Sorgen, dass der daraufhin verhängte Ausnahmezustand, initiiert von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, nicht zur notwendigen Demokratisierung der türkischen Gesellschaft führen wird, sondern ein anderes Ziel hat: die autoritäre Herrschaft einer islamistischen Diktatur.

Wir stellen fest, dass zehntausende Akademiker, Lehrer, Juristen und Journalisten entweder aus ihren Berufen für alle Zeiten suspendiert, in Polizeigewahrsam genommen wurden und deshalb unter großen Teilen der Bevölkerung, insbesondere bei Angehörigen von Minderheiten, ein bedrohliches Klima der Angst herrscht. Auch die Folter gehört anscheinend wieder zum türkischen Alltag in den Polizeistationen und Gefängnissen.

Wir erfahren täglich von unseren Freunden und Kollegen aus der Türkei, dass die Presse zensiert und missliebige Journalisten ebenso wie kritische Juristen, Bürger und Wissenschaftler verfolgt und inhaftiert werden. Viele Kolleginnen und Kollegen aus der Türkei versorgen uns schon jetzt mit Nachrichten, die sie in türkischen Medien nicht veröffentlichen dürfen.

Wir werden versuchen, die türkische, sowie die europäische Öffentlichkeit mit unzensierten Nachrichten zu informieren. Wir werden täglich mit traurigen Schicksalen konfrontiert: von höchst verunsicherten und schutzlosen Menschen auf der Flucht nach Europa, von mittellos gewordenen Akademikern und arbeitslosen Journalisten in der Türkei, die auf unsere finanzielle und moralische Unterstützung, auf unsere Solidarität angewiesen sind.

Wir sind keine politische Partei oder Organisation mit vordefinierter weltanschaulicher Ausrichtung. Wir sind nicht das Trennende, sondern das Verbindende für eine demokratische, rechtsstaatliche und pluralistische Türkei, für eine freie Presse, für die Einhaltung der menschenrechtlichen Garantien und für die Unterstützung der demokratischen Kräfte in der Türkei.

Erstunterzeichner:

  1. Jean Ziegler, UN-Menschenrechtsrat
  2. Mehmet Kılıç, Rechtsanwalt, ehemal. Mitglied des deutschen Bundestages
  3. Inge Bell, Menschenrechtsaktivistin, Medienunternehmerin
  4. Peter Pilz, österreichischer Nationalratsabgeordneter
  5. Andrea Ypsilanti, Mitglied des Landtages Hessen
  6. Wolfgang Dudda, Mitglied des Landtages Schleswig-Holstein
  7. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D, Leipzig/Düsseldorf
  8. Reinhard Marx, Rechtsanwalt, Ehem.-Vorsitzender Amnesty International Deutschland
  9. Britta Eder, Rechtsanwältin
  10. Christoph Nix, Intendant, Konstanz
  11. Ali Ertan Toprak, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland und Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland
  12. İsmail Çoban, Maler, Grafiker, Bildhauer
  13. Tilman Zülch, Präsident der Gesellschaft für Bedrohte Völker International
  14. Sevim Dağdelen, Mitglied des Deutschen Bundestages
  15. Kamil Taylan, Journalist
  16. Jürgen Roth, Journalist