Die Olympischen Spiele in Rio stehen unmittelbar bevor und die Welt beobachtet das Geschehen mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Entsetzen. Rio macht den Eindruck, als hätte es sich an der Last Olympia kräftig verhoben und als wolle es nun mit übermenschlicher Kraftanstrengung – unter anderem 85.000 Sicherheitskräften – die von den meisten erwartete Katastrophe vermeiden.

Wie nur konnte man die Spiele nach Rio geben? Diese Frage ist oft zu hören. Doch dieser Frage schließen sich weitere an. Wie verantwortlich war es, der Stadt die Ausrichtung zu überlassen? Und: Hat man die Stadt aus politischen Gründen vielleicht in ein offenes Messer laufen lassen? Hatte Rio überhaupt eine faire Chance?

Gewiss: Als 2009 Rio den Janeiro den Zuschlag erhielt, sah die Welt am Zuckerhut noch ganz anders aus. Brasilien, das ewige Land der Zukunft, schien endlich den entscheidenden Schritt machen zu können. Die Wirtschaft lief gut, politische Programme zur Armutsbekämpfung zeigten Wirkung und selbst die große Finanzkrise, die 2008/09 Europa und die USA erschütterte, zeigte hier vergleichsweise geringe Wirkung.

Zur Zeit der Bewerbung, war Brasilien eine Macht

Brasilien, mit dem früheren Gewerkschaftsführer Luiz Inácio Lula da Silva als Präsident war der neue Star unter den Schwellenländern. Und es sah sogar so aus, als würde es erst einmal so weitergehen können. Die derzeit heftigste Wirtschaftskrise seit fast 100 Jahren war nicht zu erahnen. Für diese Erfolgsgeschichte war die Vergabe der Olympischen Spiele auch eine Art Belohnung und Adelsschlag: Herzlich Willkommen im Kreis der Großen.

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Umgestaltet für Olympia: Praca Mauá im Stadtzentrum.

Rio de Janeiro ist nicht nur die erste Stadt in Südamerika, die Ausrichter der Spiele sein wird. Rio ist zugleich auch die erste Stadt, die nicht dort liegt, was man früher einmal erste Welt nannte (Europa, Nordamerika, Australien, Japan, Südkorea). Zudem ist Brasilien kein autokratischer Staat, die Kritik an Menschenrechtsverletzungen oder Unterdrückung von Minderheiten – obwohl gerade bei den Indigenen durchaus vorhanden – würde längst nicht so laut sein, wie 2008 in China oder 2014 im russischen Sotschi.

Es schien, als hätte das IOC alles richtig gemacht. Zumal ein Kernpunkt der Bewerbung die Behebung eines der größten Probleme der Stadt versprach: Die Reinigung der versifften und verklappten Guanabara-Bucht. Denn das Abwassermanagement der 7,3-Millionen-Metropole war zu jenem Zeitpunkt noch ziemlich Dritte Welt: Sämtliche Abwässer werden in dicken Rohren ungefiltert drei Kilometer vor der Küste im Atlantik verklappt: 10.000 Liter pro Sekunde. Hinzu kommen monatlich rund 340 Tonnen normaler Müll.

Hat Rio wirklich versagt?

Daran hat sich jedoch bis wenige Tage vor den Spielen grundlegend nichts geändert. Kritiker werfen Rio nun Versagen vor, oder vielmehr eine große Chance zur nachhaltigen Verbesserungen versäumt zu haben. Die Chance bestand. Nicht nur wegen der Spiele, sondern einer ganzen Reihe von Megaevents. Den Beginn machten die Panamerica Games 2007. Es folgte der 20+-Gipfel 2012, der Weltjugendtag 2013, die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Alles Veranstaltungen, die vorausschauender und kluger Planung bedürfen. Und der größte Vorwurf, den man Rio machen kann ist der, diese Abfolge an Großveranstaltungen jeweils einzeln betrachtet zu haben, anstatt einen großen Masterplan zu verfolgen, der sich über die gesamte Spanne erstreckt.

Aber vermutlich hätte selbst das nicht gereicht, alle Probleme der Stadt zu lösen und sie binnen zehn Jahre auf europäisches Niveau zu hieven.

2012 analysierte das Öko-Insitut gemeinsam mit Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel „Green Rio“ die nachhaltigen Veränderungen, die sich mit Blick auf die Großveranstaltungen eingestellt hatten (pdf zum herunterladen). Ergebnis: Es gibt durchaus einige Lichtblicke, hier Leuchtturmprojekte genannt, jedoch fehlt es an den Möglichkeiten, diese Ansätze in die Breite auszubauen. Eine Stadt mit gut 7 Millionen Einwohnern kann man nicht mal eben umkrempeln.

IOC kaum an Nachhaltigkeit und Umwelt interessiert

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) nahm sich in den 90er-Jahren selbst in die Pflicht. 1994 wurde der Aspekt Umweltschutz als dritte Grundfeste des Olympismus in die Olympische Charta aufgenommen, neben dem Sport und der Kultur. Seit 1995 hat das IOC eine eigene Sport- und Umweltkommission. Hätte dieser Kommission nicht schon im Vorfeld auffallen müssen, dass einer der Kernpunkte, die Reinigung der Bucht, nicht zu schaffen sein würde? Umweltorganisationen kritisieren immer wieder, dass die Prüfungen der Kommission nicht weitreichend genug seien.

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Eines der Infrastrukturprojekte.

Die Kommission darf zwar Vorschläge unterbreiten, bindend sind sie für die Gastgeberstädte jedoch nicht.

Zumindest machte Rios Bürgermeister Eduardo Paes keinen Hehl daraus. Bereits 2014 räumte er ein, dass dieses Ziel, warum auch immer, kaum noch zu schaffen sein würde. Wenn man seitens des IOC gewollt hätte, hätte man spätestens zu diesem Zeitpunkt doch die Zügel anziehen können.

Zudem gibt es die so genannte Agenda 2020. Diese besagt unter anderem, dass kommende Olympische Spiele auch den Zweck haben sollen, dauerhaft regelmäßiges Sporttreiben der Bevölkerung zu fördern oder den Zugang zu Sportaktivitäten für die Bevölkerung zu verbessern. Wissenschaftliche Untersuchungen, belegen das jedoch nicht, wie die Mediziner um Vagner Rosa Bizarro in dem Aufsatz „Health, Physical Activity and the Rio de Janeiro 2016 Olympic Games: Legacy or Fallacy?“ zeigt. Weder in Rio, noch in London (2012) oder Peking (2008) war dies der Fall.

Spiele in Rio nicht übertrieben teuer

Bezüglich der Legacy, des Erbes, von Olympischen Spielen wirft dies grundsätzliche Fragen auf. Etwa die des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Rio wird am Ende irgendwo zwischen 12 und 15 Mrd. Euro gekostet haben. Damit werden die Spiele im Vergleich zum Vorgänger in London nicht wesentlich teurer gewesen sein, als die offiziell angegebenen 11 Mrd. Euro. Es gibt auch Schätzungen, die von gut 28 Mrd. ausgehen.

Maskottchen.

Maskottchen.

Im Vergleich zu den Winterspielen im russischen Sotschi, die mit 50,8 Mrd. Euro Kosten so teuer waren, wie alle davor dagewesenen Winterspiele zusammen, ist Rio also kostenmäßig nicht über Gebühr aus dem Ruder gelaufen. Aber Kritiker merken immer wieder an, dass dieses besser in das Gesundheitswesen, Bildung und Armutsbekämpfung gesteckt worden wäre, also Kritik an der Schwerpunktsetzung.

Eduardo Paes wird freilich nicht müde, die Errungenschaften für Rio hervorzuheben. Besonders der Ausbau der Metrolinie in Richtung Barra de Tijuca darf da durchaus als Referenz gelten. Die oberirdische VLT-Bahn wird dagegen von den Carioca, den Einwohnern Rios, eher belächelt. Sie gilt als Prestigeprojekt.

Zwangsumsiedlungen im Zuge von Olympia 2016 sind ebenfalls Kritikpunkt von Hilfsorganisationen, durchaus zu Recht. Aber sie sind kein Rio-spezifisches Problem. Zwangsumsiedlungen gab es auch für die Spiele in Montreal (1976), Los Angeles (1984) oder Athen (2004).

Nachhaltigkeit bislang nie erreicht

Der Wunsch nach Nachhaltigkeit solcher Großveranstaltungen ist nachvollziehbar, aber bislang im Grunde noch nie erreicht worden. Sydney, Gastgeber der Spiele 2000, galt in dieser Hinsicht als Vorzeigeobjekt. Doch auch dort stand das Olympiastadion als „White Elephants“ (zu große und zu teure Anlagen, die hinterher leerstehen) nach den Spielen leer, die Betreiberfirma ging pleite. Andererseits wurde viele richtig gemacht. Auch in Athen (2004) stehen seither etliche Sportstätten leer und verfallen ungenutzt.

In Peking änderte sich zwar nichts an Menschenrechtsverletzungen oder anderen gesellschaftlichen Missständen, die Bevölkerung profitierte aber wenigsten nachhaltig von einer gut ausgebauten medizinischen Infrastruktur. London (2012) und Barcelona (1992) nutzten die Spiele, um heruntergekommene Stadtviertel aufzumöbeln. Aber auch dort wurde Kritik laut, es wurde Gentrifizierung und Verdrängung beklagt.

Städte wollen Olympia nicht um jeden Preis

Zu beobachten ist seit Kurzem ein neuer Trend. Städte, die sich um die Austragung der Spiele bemühen, tun dies nicht mehr um jeden Preis. In Hamburg wurde die Bewerbung für die Spiele 2014 von den Bürgern gekippt, weil sie den Nutzen bezweifelten. Gleiches tat man im amerikanischen Boston. Für die Winterspiele 2022 zogen Graubünden, München, Krakau, Oslo und Stockholm ihre Bewerbung zurück, übrig blieben Almaty und Peking. Und schon 2018 werden die Spiele in Südkorea stattfinden, in Pyeong Chang.

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Bis zum Schluss wird in rio gebaut.

Die Rückzüge werfen die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit auf, Olympische Spiele alle vier Jahre an einem anderen Ort stattfinden zu lassen, wo dann zunächst teure Infrastruktur geschaffen werden muss, die Städte überlasten kann. Ein fest installierter Austragungsort, beispielsweise Athen wegen der Nähe zum antiken Ursprung, hätten einen gewissen Charme. Die Sportstätten wären besser genutzt, anderswo müsste man nicht immer alles neu aus dem Boden stampfen. In Zeiten der wirtschaftlichen Bedeutung (Marketing, Tourismus, Sponsoring) dürfte das jedoch schwierig sein.

Dann zumindest stärker bestehende Infrastrukturen nutzen, statt neu bauen? In London schien dies der Fall gewesen zu sein. Wembleystadion, Wimbledon, Millennium-Dome und einige andere Stätten waren bereits vorhanden. Kostenlos waren die Spiele deshalb aber nicht.

Fazit:

Man kann Rio sicher den Vorwurf machen, nicht im großen Wurf gedacht zu haben, doch die Strukturen nun, kurz vor Beginn grundsätzlich zu kritisieren, ist unredlich. Zumal Rio de Janeiro als Stadt unter den bisherigen Gastgeberstädten durch einige Besonderheiten heraussticht.

Würde das IOC den Nachhaltigkeits- und Umweltaspekt ernst nehmen, wären Instrumente vorhanden, diesen auch geltend zu machen. Doch Umwelt und Nachhaltigkeit spielen beim IOC noch eine untergeordnete Rolle, Vorschläge sind nicht bindend.

Andreas Nöthen schreibt regelmässig über Rio auf seinem Blog HALLO RIO!