Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. Das Berlin-Institut erstellt Studien, Diskussions- und Hintergrundpapiere, bereitet wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf und betreibt ein Online-Handbuch zum Thema Bevölkerung. Was für ProMosaik vor allem wichtig ist, ist der Zusammenhang zwischen Demografie und Migration als Chance für den Aufbau einer multikulturellen und „diversen“, bunten Gesellschaft. Und zu einer multikulturellen, friedlichen Gesellschaft gehört als Voraussetzung der Kampf gegen jegliches rechtsradikale Gedankengut innerhalb der deutschen Gesellschaft.
MR: Welche sind die Hauptziele von Berlin Institut?
BI: Die Stiftung Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung setzt sich dafür ein, dass die Öffentlichkeit die weltweiten demografischen Veränderungen bewusster und informierter wahrnimmt. Das Schrumpfen und die Alterung der Bevölkerung sowie die Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen stellen die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Arbeit des Berlin-Instituts soll helfen, die Folgen des demografischen Wandels im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen und die innerhalb Deutschlands und Europas sowie weltweit sehr unterschiedlichen Probleme zu lösen.
Wie hängen Demographie und Migration zusammen und welche sind die wichtigsten Dinge, die man in diesem Bereich oft ignoriert?
Migration ist so alt wie die Menschheit. Schon immer haben Menschen auf der Suche nach anderen oder besseren Lebensbedingungen ihren Wohnort gewechselt. Migration wird damit zu einem der drei Faktoren, welche die demografische Entwicklung bestimmen. Die anderen sind die Geburten und die Sterbefälle. Wenn, wie in Deutschland seit dem Jahr 1972, die Zahl der Verstorbenen jene der Geburten übersteigt, kann nur Zuwanderung für eine stabile oder gar wachsende Bevölkerung sorgen. Leben an dem Zuzugsort von Migranten bereits andere Menschen, kann dies zu Konflikten führen – aber auch zu Entwicklungsschüben. Ein kultureller Austausch durch die Vermischung der Völker war stets auch eine Basis für Innovationen.
Auf welche Hauptthemen fokussieren die AutorInnen von Berlin Institut in den Publikationen des Instituts?
Wir verfolgen zum einen die demografische Entwicklung in Deutschland. Unser Land gehört neben Japan zu den Pionieren des demografischen Wandels. Nirgendwo auf der Welt sind die Kinderzahlen so früh, so nachhaltig gesunken wie in Deutschland. Deshalb sind wir auch bei der Alterung der Gesellschaft Vorreiter. Wir müssen Konzepte für einen konstruktiven Umgang mit dem Wandel entwickeln – verhindern können wir ihn nicht. Also: Wir brauchen eine organisierte Zuwanderung und eine gute Integration der Migranten. Wir brauchen darüber hinaus mehr Bildungsinvestitionen in die kleiner werdenden Nachwuchsjahrgänge sowie mehr gesundheitliche Prävention um bei einer steigenden Lebenserwartung fit zu bleiben. Zum demografischen Wandel gehören auch die Entleerung entlegener ländlicher Räume und der Drang der Menschen, in die urbanen Zentren zu ziehen, wo tendenziell die Arbeitsplätze in der Wissensgesellschaft entstehen. Wir forschen daran, wie sich das Leben in den ländlichen Gebieten auch unter Schrumpfbedingungen gut organisieren lässt.
Wir beobachten zum anderen die Entwicklung in den Ländern der EU, in Asien, Amerika und Afrika. Die meisten von ihnen sind prinzipiell auf dem gleichen Pfad wir Deutschland, nur noch nicht so weit fortgeschritten. Vor allem interessiert uns, wie die heute armen Länder, die noch ein sehr hohes Bevölkerungswachstum verzeichnen, auf einen positiven Entwicklungsweg gebracht werden können. Dazu sind drei Faktoren elementar: Gesundheit, Bildung und Jobs. Gelingt es nicht diese zu schaffen, dann wachsen die Einwohnerzahlen dieser Länder weiter stark und die Lösung der brennenden Probleme werden immer schwieriger. Frustration und Chaos breiten sich aus und viele Menschen machen sich auf die Flucht. Die demografische Entwicklung in Westasien, dem Nahem Osten und Afrika betrifft uns in Europa also ganz direkt.
Bildung ist der Schlüssel jeglicher Entwicklung. Warum und in welchem Sinne ist das so?
Bildung ermöglicht uns ein erfolgreiches Berufsleben, trägt zu einer besseren Gesundheit bei, befähigt uns, den eigenen Horizont zu erweitern und Normen zu hinterfragen. Bildung ermöglicht überhaupt erst eine unabhängige, selbstbestimmte Existenz. Sie steht im Zentrum des Erfolges ganzer Nationen und ist die Grundvoraussetzung für die komplexe Organisation moderner Gesellschaften. Sie dient übergeordneten Zielen wie Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Deshalb ist Bildung nicht nur für Eliten wichtig, sondern möglichst für alle Kreise der Gesellschaft. Gesellschaften mit einem Bildungszugang für alle Bevölkerungsschichten sind die erfolgreichsten, die wir kennen.
Wie kann man durch Wissen zu Themen wie Migration, Demographie, Flüchtlingskrise rechtsradikale Positionen in der deutschen Gesellschaft bekämpfen?
Wenn man die Zusammenhänge versteht, ist man besser in der Lage über Lösungen für die zweifellos bestehenden Fragen und Herausforderungen nachzudenken. Die Antworten sind komplex und politisch nicht immer einfach zu vermitteln. Bildung hilft auch hier, sowohl bei jenen, welche die Antworten geben müssen, wie auch bei jenen, die sie erhalten. Schafft es die Politik nicht, in diesen konstruktiven Diskurs mit der Bevölkerung einzutreten, schlägt die Stunde der populistischen und radikalen Parteien, die mit simplen Antworten daherkommen. Wenn man sich deren Antworten genau anschaut, sieht man aber schnell, dass sie keine Lösungen darstellen, sondern die Lage noch verschlimmern. Das müssen die Menschen durchschauen lernen. Deshalb betreiben wir mit unseren Studien eine sachliche, unabhängige und von keiner Partei getriebene Aufklärungsarbeit.
Was hat das Berlin Institut in seiner Geschichte bereits erreicht und was wünscht es sich für die Zukunft?
Um die Diskussion zu den erwähnten Themen zu befördern, verfassen wir unsere Studien so klar und lesbar wie möglich, denn wir wollen über die Medien eine breite Öffentlichkeit erreichen. Auf diesem Weg werden Unternehmen, Verbände, die Kirchen, die Zivilgesellschaft und letztlich auch die Politik aufmerksam. So haben wir haben einige Themen überhaupt erst in die öffentliche Debatte gebracht. Etwa 2003 mit einer großen Studie zu den regionalen Unterschieden der demografischen Entwicklung, 2007 mit dem Phänomen der Abwanderung junger Frau aus Ostdeutschland, 2009 mit den Integrationsproblemen spezieller Zuwanderungsgruppen oder 2011 mit den demografischen Herausforderungen Afrikas. Künftig beschäftigen wir uns vor allem mit Migration und Flucht, globalen Entwicklungsunterschieden und dem Umgang mit dem Schrumpfen, das für immer mehr Länder zu einem Thema wird. Die Welt hat Jahrhunderte des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums erlebt. Aber für eine wachsende Zahl von Ländern wird die Frage des 21. Jahrhunderts lauten: „Was tun wir eigentlich, wenn das Wachstum endet?“