Mit mehr als drei Millionen Flüchtlingen im Land ist die Türkei massiv überfordert. Die Rückschaffungen von Asylsuchenden aus der EU sind daher illegal und gehen auf Kosten der Schutzsuchenden.
Die Türkei ist kein sicheres Drittland, wie der am 3. Juni erschienene Bericht «No safe refuge: Asylum-seekers and refugees denied effective protection in Turkey» von Amnesty International zeigt. Flüchtlinge erhalten nur unzureichend Schutz in der Türkei; das Asylsystem ist komplett überfordert. Somit sind Rückschaffungen gemäss dem Abkommen vom 18. März zwischen der EU und der Türkei illegal und gehen rücksichtslos auf Kosten der Flüchtlinge und Asylsuchenden. Aus diesem Grund fordert Amnesty International, dass die EU geplante Rückschaffungen von Asylsuchenden in die Türkei sofort stoppt.
«Die EU hat die Lage in der Türkei absichtlich falsch dargestellt, um die irreguläre Einreise von Asylsuchenden und Flüchtlingen nach Europa zu verhindern. Es war aber zu erwarten, dass ein neues Asylsystem in dem Land, das bereits am meisten Flüchtlinge weltweit aufgenommen hat, nicht zufriedenstellend funktioniert», sagt John Dalhuisen, Direktor für Europa und Zentralasien bei Amnesty International. «Es ist sinnvoll, die Türkei bei der Entwicklung eines funktionsfähigen Asylsystems zu unterstützen, doch kann die EU nicht so tun, als würde ein solches schon existieren.»
Jahrelanges Warten auf Entscheid
Die Türkei hat nicht genügend Kapazitäten, um die Asylgesuche von über drei Millionen Flüchtlingen zu bearbeiten. Dadurch befinden sich Hunderttausende über Jahre in rechtlicher Ungewissheit. Die türkischen Behörden weigerten sich, Amnesty International Einblick in ihre Asylstatistik zu gewähren. Die veröffentlichten Zahlen vom April zeigen jedoch, dass die Türkei erst 4000 Fälle bearbeitet hat, das sind 1,5 Prozent der 266’000 Gesuche, die vom UNHCR in 2015 registriert wurden.
Keine dauerhafte Lösung
Flüchtlinge müssen entweder im Land integriert, in ein anderes Land umgesiedelt oder, falls ihr Herkunftsland sicher ist, in dieses zurückgeführt werden. Die Türkei verweigert jedoch allen nichteuropäischen Flüchtlingen den vollen Flüchtlingsstatus und somit die Integration, während die internationale Gemeinschaft nicht annähernd genügend Aufnahmeplätze zur Verfügung stellt. Somit können Flüchtlinge in der Türkei weder ein neues Leben aufbauen, noch auf einen Aufnahmeplatz in einem anderen sicheren Land hoffen.
Fehlende Unterstützung für den Lebensunterhalt
Die grosse Mehrheit der Flüchtlinge in der Türkei muss ohne die Unterstützung der türkischen Regierung auskommen. So gibt es beispielsweise nur für zehn Prozent der syrischen Flüchtlinge Platz in Flüchtlingslagern, die anderen 2,5 syrischen Millionen Asylsuchenden und Flüchtlinge müssen selber eine Unterkunft organisieren. Amnesty International interviewte 57 Flüchtlinge in der Türkei zwischen März und Mai 2016. Alle berichteten von grossen Schwierigkeiten, praktisch ohne finanzielle Hilfe der Regierung ihr Überleben zu sichern. Die meisten von ihnen sind von Familienangehörigen, anderen Asylsuchenden oder religiösen Gemeinschaften abhängig. Sie erzählten Amnesty, dass sie in Moscheen, Parks oder Metrostationen schlafen, weil sie die Miete für ein Zimmer nicht aufbringen können. Zwei afghanische Familien schliefen unter einer Brücke in Istanbul, nachdem drei ihrer Kinder bei einer missglückten Meeresüberquerung ertrunken waren. Viele Familien müssen zudem ihre Kinder zur Arbeit schicken, um die nötigsten Bedürfnisse decken zu können.
Verantwortung übernehmen, nicht abschieben
Die EU muss ein ambitiöses Wiederansiedlungs-Programm starten, anstatt der Türkei die ganze Verantwortung für die Flüchtlinge aufzubürden. Während die Türkei mehr als drei Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende beherbergt, haben die EU-Staaten 2015 insgesamt nur 8’155 Flüchtlinge aus der ganzen Welt definitiv aufgenommen und innerhalb der EU angesiedelt.
«Die europäische Union hat auf eine der grössten humanitären Katastrophen unserer Zeit mit Zäunen reagiert, mit Grenzwächtern und mit eigennützigen Abkommen mit Nachbarländern – nur um die Flüchtlinge draussen zu behalten. Das Ergebnis sind Not und Leid – und weitere Tote auf dem Mittelmeer», sagt John Dalhuisen.