Zum Thema des Referendums zur Asylgesetzrevision in der Schweiz an diesem Sonntag, den 5. Juni 2015, haben wir mit Julia Salome Richter, der Kampagnenkoordinatorin bei Schweizerische Flüchtlingshilfe gesprochen. Möchte mich nochmal herzlichst bei Frau Richter für ihre Erörterungen bedanken. ProMosaik ist der Meinung, dass der Austausch von Ideen zwischen Organisationen und Ländern im Bereich der Flüchtlingshilfe sehr wichtig ist, um etwas dazuzulernen und kreative Lösungen zu erarbeiten. Näheres über Julia Salome Richter erfahren Sie hier.
Milena Rampoldi: Wie wichtig ist, dass am 5. Juni in der Schweiz das JA gewinnt?
Julia Salome Richter: Die Asylgesetzrevision bringt für die Asylsuchenden in verschiedener Hinsicht wesentliche Verbesserungen: der unentgeltliche Rechtsschutz während des ganzen erstinstanzlichen Verfahrens trägt zu einer erhöhten Qualität der Asylverfahren bei. Die Rechtsvertretenden sind an allen Verfahrensschritten beteiligt und besitzen vertiefte Kenntnisse über die Lebensgeschichte und die Flucht der Gesuchstellenden. Dadurch können die Sachverhalte vollständig und korrekt erfasst werden. Auch die in der Asylgesetzrevision vorgesehene umfassende Verfahrensberatung ist für die Asylsuchenden wichtig: sie führt dazu, dass Asylsuchende von Anfang an über den Ablauf des Verfahrens und über ihre Rechte und Pflichten informiert sind. Zudem sieht die Asylgesetzrevision einen besonderen Schutz von Kindern und verletzlichen Personen vor. Diese Punkte zeigen: ein JA zur Asylgesetzrevision am 5. Juni 2016 bringt Vorteile für alle Beteiligten.
Was bedeutet für Sie Integration und wie kann die Asylgesetzrevision dazu beitragen?
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe misst der Integration einen sehr hohen Stellenwert zu: sie ist wichtig, damit sich Schutzbedürftige schnelle in der Schweiz zurechtfinden und ein menschenwürdiges Leben führen können. Die in der Asylgesetzrevision vorgesehenen schnelleren Verfahren können dazu beitragen, dass Schutzbedürftige nicht mehr jahrelang mit der Unsicherheit über den Ausgang ihres Verfahrens leben müssen. Dadurch können sie sich schneller in die Schweizer Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integrieren.
Wie wichtig sind Pilotprojekte mit Flüchtlingen und warum?
Pilotprojekte wie etwa das Gastfamilienprojekt der SFH führen dazu, dass neue Instrumente in das noch mangelhafte Integrationssystem der Schweiz eingeführt werden. So haben nach den vier Pilotkantonen des SFH-Projektes mehrere andere Kantone mit dem Aufbau eigener Gastfamilienprojekte nach dem Muster der SFH begonnen. So wird das Gastfamilien-Konzept zu einem wichtigen Instrument im Integrationssystem.
Sie sagen Vielfalt schafft Stärke. Wie erklären wir das den Feinden einer bunten und toleranten Gesellschaft?
Eine Gesellschaft, in der verschiedene kulturelle Hintergründe, Erfahrungen und Fähigkeiten Platz haben, gewinnt an Vitalität – interkulturelle Begegnungen sind horizonterweiternd und bereichernd. Zudem zielt Polemik gegen Multikulturalismus an der Realität vorbei. Statt an der Wirklichkeit vorbei zu argumentieren, sollte der Fokus auf den Potentialen liegen, die sich durch die kulturelle Vielfalt in einer Gesellschaft ergeben.
Es gibt keine Flüchtlinge nur Schutzsuchende Menschen. Was denken Sie darüber?
So ist es. Die Gründe zur Flucht sind heute wesentlich vielfältiger als sie in der aus den 50er Jahren geschaffenen Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen waren. Zum Beispiel Klimaflüchtlinge – sie existieren nicht in der Genfer Konvention.
Was haben Sie bereits erreicht und welche sind Ihre Ziele in der Flüchtlingsarbeit in Zukunft?
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe setzt sich seit 80 Jahren dafür ein, dass die Fairness von Asylverfahren gewährleistet ist und dass Schutzbedürftige am wirtschaftlichen und sozialen Zusammenleben in der Schweiz teilnehmen können. Konkret arbeitet die Schweizerische Flüchtlingshilfe mit Sensibilisierungskampagnen, erstellt Analysen der Herkunftsländer, bietet Rechtsberatung für Asylsuchende und verfolgt die Asylrechtpraxis der Schweiz kritisch aber konstruktiv.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe wird auch weiterhin in den oben genannten Gebieten tätig sein. Insbesondere ist der SFH daran gelegen, dass Schutzbedürftige rasch in die Schweizer Gesellschaft integriert werden können und dass die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention auch im gegenwärtig schwierigen politischen Klima eingehalten werden.
Was kann die Schweiz ihren Nachbarn im Umgang mit Schutzsuchenden zeigen und was kann sie von den Nachbarn lernen?
Die Schweiz ist Teil des Dublin-Schengen-Systems und hat sich demnach an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten. Bis jetzt ist es so, dass die Schweiz vom Dublin-Schengen-System am meisten profitiert hat, weil unser Land die meisten Schutzsuchenden an Dublin-Staaten zurück gesandt hat, insbesondere nach Italien. Im übrigen ist es nicht an der Schweiz, anderen Lektionen zu erteilen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unsere oft zitierte humanitäre Tradition ernst nehmen und mit Inhalten füllen.