Im Interview mit Otmar Steinbicker, dem Redaktionsleiter des Aachener Friedensmagazins, ein Projekt, das Journalismus und Friedensarbeit miteinander verbindet, habe ich mich über die Ziele, das sozio-politische Engagement und die wichtigsten Projekte der Initiative unterhalten.
Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptzielsetzungen des Aachener Friedensmagazins?
Otmar Steinbicker: Für das Aachener Friedensmagazin ist Friedensbewegung mehr als eine reine Antikriegsbewegung. Aus dieser Sicht heraus soll Friedensbewegung nicht erst dann tätig werden, wenn ein Konflikt zu einem Krieg eskaliert oder zu eskalieren droht, sondern möglichst lange zuvor. Damit Friedensbewegung in einem solchen Sinne prophylaktisch aktiv werden kann, benötigt sie differenzierte Informationen über die jeweiligen Konflikte, aber auch über die Debatten in der Friedens- und Konfliktforschung und auch über unterschiedliche Aktionsformen, mit denen Friedensbewegung aktiv eingreifen kann.
Was bedeutet für Sie Frieden und Journalismus für den Frieden?
Frieden sollte nicht als Abwesenheit von Konflikten definiert werden. Konflikte zwischen Menschen, Organisationen und auch Staaten wird es aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen immer wieder geben. Solche Konflikte können unterschiedlich bearbeitet und auch gelöst werden. Politische Konflikte zwischen großen gesellschaftlichen Gruppen und zwischen Staaten und Staatengruppen müssen politisch gelöst werden. Sie können – und das zeigt die Geschichte bis hin zur jüngsten Geschichte deutscher Auslandseinsätze –militärisch nicht gelöst werden. Daher ist eine zivile Konfliktbearbeitung nötig, die die unterschiedlichen Interessen, die den jeweiligen Konflikten zugrunde liegen, benennt und auf einen friedlichen Interessenausgleich zielt.
Journalismus für den Frieden kann und soll dazu beitragen, in diesem Sinne Konflikte möglichst frühzeitig analysieren zu helfen und nach jeweils geeigneten Methoden ziviler Konfliktbearbeitung Ausschau zu halten. Dazu bedarf es einer differenzierten Information und der Anregung zu kritischer Diskussion. Insofern will das Aachener Friedensmagazin auch nicht Verlautbarungsorgan einer Organisation sein, sondern die journalistischen Freiheiten der Information und Kommentierung nutzen, auch dadurch, dass gegebenenfalls unterschiedliche Autoren unterschiedliche Akzente setzen und zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen. Voraussetzung ist dabei allerdings das gemeinsame Ziel einer zivilen Bearbeitung des jeweiligen Konflikts.
Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
In der technischen Durchführung ist das Aachener Friedensmagazin aixpaix.de ein Ein-Personen-Unternehmen. Inhaltlich bietet es kompetenten Autoren aus der bundesweiten und internationalen Friedensbewegung Möglichkeiten zur Mitarbeit. Im „Münchhausen-Projekt“ einem der Projekte des Magazins gibt es eine spezielle Redaktion, die gemeinsam über die Planung des Projektes und die Veröffentlichung der einzelnen Beiträge entscheidet. Da wird es auch in Zukunft unterschiedliche Möglichkeiten der Mitarbeit und Beteiligung geben.
Welche sind die inhaltlichen Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Die inhaltlichen Schwerpunkte ergeben sich zum einen aus den verschiedenen Konflikten in dieser Welt, aktuellen wie strukturellen, zum anderen aus den konkreten Angeboten von Autorinnen und Autoren zu diesen Konfliktthemen zu arbeiten und zu veröffentlichen. Da ist sicherlich noch viel Spielraum für weitere Themen und weitere Autoren.
Was haben Sie bereits erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
In mittlerweile sieben Jahren hat das Aachener Friedensmagazin sich einen stabilen Leserkreis und einen beachteten Platz in der deutschen Friedensbewegung gesichert. Das ist ein Erfolg, aber auch kein Anlass auszuruhen. Gerade die Verunsicherung in Teilen der Friedensbewegung über die Ursachen aktueller Konflikte und über verlässliche Quellen zur Beurteilung dieser Konflikte zeigt, wie dringend erforderlich eine solche Aufklärungsarbeit ist. Dazu müsste wenn eben möglich die Arbeit noch verstärkt, ja vervielfacht werden.
Eine besondere Erfahrung bestand in den Jahren 2009/2010 darin, dass das Aachener Friedensmagazin aixpaix.de in einen Prozess einer politischen Lösungssuche für den Afghanistankonflikt eingebunden war, in dessen Zusammenhang auch diskrete Gespräche zwischen den Führungen der ISAF-Truppen und der Taliban stattfanden. Dieser widersprüchliche, zeitweise aber auch hoffnungsvolle Prozess ermöglichte sehr praktische Erfahrungen von Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer zivilen Konfliktbearbeitung.
Berichten Sie uns von Ping-Pong-Dialog.
Der „Ping-Pong-Dialog“ war eine Idee von Andreas Buro. Der leider im Januar verstorbene Friedensforscher und -aktivist war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Friedensbewegung und ein begeisterter aixpaix-Autor. Mit diesem „Ping-Pong-Dialog“ versuchten wir ab Frühjahr 2015 im gemeinsamen Dialog tagesaktuelle friedenspolitische Fragen zu diskutieren. Da ging es zum Beispiel um die Frage, wie realistisch und akut ist eine Atomkriegsgefahr in Europa oder auch um die Chancen für eine Beilegung zumindest aber eine Deeskalation des Ukraine-Krieges. Mit unserem Dialog – jeder von uns hatte trotz sehr vieler Gemeinsamkeiten auch seinen eigenen Blick für Akzente, seine eigenen Erfahrungen – wollten wir dazu beitragen, gezielter Panikmache entgegenzutreten und den Blick für realistische Analysen zu öffnen. Als Andreas Buros Kräfte nachließen, mussten wir leider das Projekt beenden. Vielleicht lohnt es sich, einmal mit einem anderen Gesprächspartner ein solches Projekt neu aufzunehmen.
Welche Hauptziele verfolgt das Projekt Münchhausen und wie entstand es?
Auch das „Münchhausen-Projekt“ war eine Idee von Andreas Buro. Es lag ihm sehr daran, dass die Friedensbewegung in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit, dieses Projekt als gemeinsame Aufgabe betrachtet. Der Name „Münchhausen“ wurde gewählt wegen der Lügengeschichten, die in Vergangenheit und Gegenwart als Begründung für Kriege oder gigantische Rüstungsprojekte erzählt wurden und werden. Zu unserer Freude haben sich namhafte Autoren beteiligt und Entstehung, Zielsetzung und Wirkung solcher Kriegslügen analysiert. Dieses Projekt, das über eine eigene Redaktion verfügt, soll auf jeden Fall weiterbestehen, auch wenn viele bekannte historische Kriegslügen wie die Emser Depesche oder die Dolchstoßlegende bereits bearbeitet sind und bei aktuellen Erzählungen die Beweisführung als „Lügengeschichte“ schwieriger ist als bei einem abgeschlossenen historischen Vorgang mit offen zugänglichen Archiven.
Wenn bei den Leserinnen und Lesern historischer „Lügengeschichten“ des „Münchhausen-Projekts“ eine kritische Einstellung gegenüber aktuellen Kriegs- und Rüstungsbegründungen geweckt wird, ist allerdings im Sinne von Andreas Buro schon viel gewonnen.