Am 23. Januar 2016 besuchte eine Gruppe von 15 Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten, die Ende 2015 nach Deutschland kamen, das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin. Der Mitarbeiter des DHM, Geschichtswissenschaftler Jörn Dassow, führte die Syrer, Palästinenser und Afghanen in englischer Sprache durch das Museum und betonte den deutschen Widerstand gegen den Versailler Friedensvertrag von 1919, die Hyperinflation von 1923, die NSDAP-Bewegung während der Weltwirtschaftskrise sowie ihre anschließende Gewaltherrschaft, die NS-Verfolgung von Minderheiten, den „Volkssturm“ von 1945, die deutsche Teilung nach 1945 und die sog. „Wiedervereinigung“ (bzw. der Anschluss der DDR) von 1989/1990.

Der Geschichtsdoktorand Tobias Baumann (Université Paris 7 Diderot) beantwortete in der anschließenden Diskussion mit den in Wedding wohnenden Geflüchteten zahlreiche Fragen wie etwa jene nach der föderal-republikanischen Verfassung von Weimar oder nach der Staatsangehörigkeit Hitlers (der ehemalige Österreicher erwarb die Braunschweiger Staatsangehörigkeit, Voraussetzung für seine spätere Kanzlerschaft, erst durch einen Regierungstrick des Freitstaats Braunschweig 1932, wo die NSDAP seit 1930 in der Landesregierung vertreten war) und kontextualisierte im Anschluss einige Aspekte wie den im DHM hervorstechenden Mythos des deutschen „Wirtschaftswunders“.Dieses beruhte tatsächlich vielmehr auf der Londoner Schuldenkonferenz von 1963, wo der Großteil der Schulden der Bundesrepublik Deutschland, Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, erlassen wurden und die Restschulden auch nur je nach wirtschaftlicher Konjunktur, das heißt sehr langfristig und zwanglos, bedient werden mussten – ein eklatanter Widerspruch zur derzeitigen Austeritätshärte, mit welcher Griechenland seit Jahren zum Zahlen von Schulden gezwungen wird, was nachweislich zu Menschenrechtsverletzungen führt (vgl. Gutachten des Jura-Professors Fischer-Lescano).

Im Gegensatz zur BRD nach dem Zweiten Weltkrieg muss Athen diese Schulden, die außerdem illegitim und teils illegal im Rahmen der neoliberalen Euroarchitektur zustande gekommen sind (vgl. die Ergebnisse der u.a. von Éric Toussaint geleiteten Schuldenkommission Griechenlands), unabhängig von seiner ökonomischen Konjunktur zahlen. Dies ist umso perfider als das Pariser Reparationsabkommen von 1946 noch 7,1 Milliarden US-Dollar für Athen vorsah, was heute mit Zinseszins „90 Milliarden Euro“ entspräche (vgl. VER.DI Publik 6/2015, S. 9, „Griechenlands Recht auf Reparationen“ von Werner Rügemer), wovon nur ein nichtiger Symbolbetrag im Rahmen einer deutschen Einmalzahlung nach Griechenland floss. Gleichzeitig kaufen deutsche Großunternehmen griechisches Eigentum sowie griechische Firmen im Rahmen des Privatisierungszwangs vergünstigt auf; eine Situation, die faktisch an die 1940er Jahre erinnert, nur dass diesmal statt deutscher Militärs die illegitimen Bürokraten des umstrittenen Europäischen Stabilitärsmechanismus (ESM) sowie insbesondere mächtige Eurokraten über Athens Politik befinden…

Frau Dr. Rocío Vera Santos, Soziologin aus Ecuador, die in Berlin mit Flüchtlingen arbeitet, organisierte diesen Museumsbesuch.
Der an der Führung teilnehmende Palästinenser übersetzte für die syrischen Refugees aus dem Englischen ins Arabische und einer der Afghanen dolmetschte simultan ins Persische (Farsi) für seine Landsmänner.

Für Geflüchtete ist der Eintritt in Museen kostenlos, hob Frau Dr. Vera Santos hervor. „Es sollten viele Flüchtlinge solche Möglichkeiten zum Kennenlernen der Geschichte dieses Landes nutzen, was konkret von der Initiative der mit ihnen arbeitenden Menschen abhängt; denn genuine Integration beginnt mit dem Verstehen der jeweiligen Kultur sowie ihres Entstehens aus Brüchen und Kontinuitäten,“ hob Tobias Baumann hervor.

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Jörg Dassow und Tobias Baumann führten 15 Geflüchtete durch das Deutsche Historische Museum unter den Linden.