Der Erwerb von ukrainischen Agrarflächen durch ausländische Investoren ist ein echtes Problem. Denn die Ukraine verliert dadurch Ressourcen, die primär ihrer eigenen Bevölkerung zugutekommen sollten.
Von Alex Männer
Die Ukraine befindet sich angesichts der nahenden Katastrophe an der Front nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich in einer ausweglosen Lage. Das Land verlor in den vergangenen Jahren einen beträchtlichen Teil seiner Wirtschaftskraft und ist heute fast ausschließlich auf Finanzhilfen aus dem Ausland angewiesen.
Diese Finanzierung stützt sich größtenteils auf Kredite des internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank sowie die Subventionen der westlichen Staaten, die ihre Gelder jedoch an bestimmte Bedingungen knüpfen und damit auf die ukrainische Politik maßgeblich Einfluss nehmen. Zu den Bedingungen gehört unter anderem der Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen der Ukraine an Investoren aus dem Ausland. Dies erfolgt im Rahmen der sogenannten Privatisierung im ukrainischen Agrarsektor, die bereits seit dem „Euromaidan“ 2014 von der Führung in Kiew forciert wird.
Weil der Verkauf dieser Ressourcen davor gesetzlich verboten war, setzte man in der Ukraine 2020 eine sehr umstrittene Landreform durch, die im Übrigen eine Voraussetzung für noch mehr Zahlungen aus dem Westen war. Diese Reform hob das bestehende Moratorium gegen Landkäufe auf und legalisierte so zunächst die Privatisierung von Ackerflächen für ukrainische Privatpersonen. Dadurch haben auch die ausländischen Investoren – Dank ihrer Verbindungen zu ukrainischen Oligarchen sowie anderen Vertretern der ukrainischen Elite – indirekt die Möglichkeit erhalten, an riesige Agrarflächen zu kommen.
Ende 2023 wurde die Privatisierung nach einer zweiten Etappe der Landreform erneut liberalisiert: Seit dem 1. Januar 2024 dürfen auch Unternehmen, deren Eigentümer Staatsbürger der Ukraine sind, Land kaufen. Zudem wurde die Obergrenze für den Erwerb von Agrarflächen pro Person oder Unternehmen von 100 Hektar auf 10.000 Hektar erhöht.
Kritiker mahnen allerdings, dass diese Freigabe des Bodenhandels keinesfalls den Interessen der Bevölkerung der Ukraine entspreche und dass die Situation sich im gesamten Agrarsektor des Landes so erheblich verschlechtere. Als Hauptgrund das sogenannte „Land Grabbing“ angeführt – eine illegale Aneignung von Agrarland durch internationales Großkapital, wie etwa multinationale Konzerne, Investmentfonds sowie andere ausländische (in der Regel westliche) Finanzstrukturen. Diesbezüglich wird eine deutliche Zunahme des Land Grabbings in der Ukraine in den vergangenen Jahren konstatiert.
Problem des Land Grabbing
Laut dem im Jahr 2023 veröffentlichten Bericht des US-amerikanischen Oakland Institute „War and Theft: The Takeover of Ukraine’s Agricultural Land“ (Krieg und Diebstahl: Die Übernahme des Agrarlandes der Ukraine), in dem unter anderem die finanziellen Interessen und andere treibende Kräfte der Privatisierung näher beleuchtet werden, sollen ukrainische Oligarchen und internationale Großkonzerne zu dem Zeitpunkt bereits mehr als neun Millionen Hektar beziehungsweise mehr als 28 Prozent des ukrainischen Ackerlandes kontrolliert haben. Demnach seien hauptsächlich europäische und nordamerikanische Interessen im Spiel.
Der Policy Director des Oakland Institute und Mitautor des Berichts Frédéric Mousseau bringt die dramatische Entwicklung im ukrainischen Agrarsektor wie folgt auf den Punkt: „Dies ist eine Lose-Lose-Situation für die Ukrainer. Während sie sterben, um ihr Land zu verteidigen, unterstützen Finanzinstitute heimtückisch die Konsolidierung des Ackerlandes durch Oligarchen und westliche Finanzinteressen. In einer Zeit, in der das Land mit den Schrecken des Krieges konfrontiert ist, müssen die Regierung und die westlichen Institutionen auf die Forderungen der ukrainischen Zivilgesellschaft, der Akademiker und der Landwirte hören und die Landreform sowie den derzeitigen Verkauf von Agrarflächen aussetzen.“ Denn es gehe darum, so Mousseau, ein Agrarmodell zu schaffen, „das nicht mehr von Oligarchie und Korruption dominiert wird“, sondern das dazu verhilft, dass das „Land und die Ressourcen von allen Ukrainern kontrolliert werden und ihnen zugutekommen“.
Andere Kritiker dieses „Ausverkaufs“ weisen außerdem darauf hin, dass einzelne Landwirte sowie kleine und mittlere Agrarbetriebe in der Ukraine durch die Landreform ruiniert werden. Auf diese Produzenten kommen bis zu 60 Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, während die Großunternehmen nur ein Viertel der Produktion ausmachen. Dies könnte sich aber ändern, falls die ausländischen Akteure noch mehr Anbauflächen übernehmen sollten. So eine Entwicklung würde das Ende der mittelständischen Produzenten bedeuten, die ohnehin schon seit Jahren mit logistischen Schwierigkeiten und niedrigen Getreidepreisen konfrontiert sind und finanzielle Verluste verzeichnen.