Chef des EU-Militärausschusses fordert Stationierung von EU-Soldaten in Grönland. Die USA wollen sich die Insel einverleiben, um geostrategisch in der Arktis in die Offensive zu gehen – gegen Russland und China.
Der Vorsitzende des EU-Militärausschusses spricht sich für die Stationierung von Truppen aus EU-Mitgliedstaaten in Grönland aus. Eine solche Maßnahme „wäre ein starkes Signal“, erklärte der österreichische General Robert Brieger am Wochenende in Reaktion auf die Bestrebungen der Trump-Administration, sich die Kontrolle über die zu Dänemark gehörende Insel zu sichern. Trump hatte zuvor erstmals einen US-Eroberungskrieg gegen den EU-Staat Dänemark ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Der Konflikt um Grönland ist eine Folge der schnell steigenden Bedeutung der Arktis, die wiederum aus dem Klimawandel und dem Abschmelzen der polaren Eiskappen resultiert. Letzteres führt dazu, dass strategisch wichtige Seewege, die bislang noch von Eis bedeckt sind, befahrbar werden und sich der Zugriff auf Ressourcen unter arktischem Boden öffnet. Grönland etwa verfügt über riesige Lagerstätten an Seltenen Erden, auf die es sowohl die EU als auch die Vereinigten Staaten abgesehen haben, um ihrer heutigen Abhängigkeit vom Bezug der Rohstoffe aus China zu entkommen. Geostrategisch besitzt Grönland ebenfalls Bedeutung – nicht zuletzt im Machtkampf gegen Beijing.
Eisschmelze in der Arktis
Die Arktis insgesamt ist vom Klimawandel längst in besonderem Maße betroffen. Die Temperaturen steigen dort erheblich schneller als in anderen Teilen der Welt; einige Studien beziffern die Erwärmung in der Region auf das Vierfache des globalen Durchschnitts.[1] Das führt dazu, dass wachsende Teile des Arktischen Ozeans zeitweise eisfrei sind; laut aktuellen Analysen könnte der erste Tag, an dem das gesamte Gewässer von gefrorenem Meereis frei ist, noch vor dem Jahr 2030 eintreten.[2] Der Klimawandel wirkt sich dabei auch auf Grönland immer stärker aus. In der Hauptstadt Nuuk wurden in den vergangenen Jahren stets neue Höchsttemperaturen für die Monate März und April gemessen – 13,2 Grad Celsius im Jahr 2016, 14,6 Grad Celsius im Jahr 2019 und 15,2 Grad Celsius im Jahr 2023. Für den Norden der Insel stellten Computeranalysen einen Anstieg um 17 bis 28 Grad über den gewohnten Mittelwert fest.[3] Laut einer aktuellen Analyse der University of Maine führten Rekordtemperaturen im Herbst 2022 dazu, dass heftige Niederschläge als Regen anstatt als Schnee fielen und Metalle sowie andere Elemente aus erstmals aufgetauten Permafrostböden in grönländische Seen spülten. Gut 7.500 Seen überschritten dadurch einen Kipppunkt; die Wasserqualität ist seitdem beeinträchtigt. Die Seen nehmen nun nicht mehr, wie zuvor, Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf, sondern geben es ab.[4]
Seltene Erden
Die Tatsache, dass das Eis auch auf Grönland in raschem Tempo schmilzt, führt dazu, dass dort – ganz wie andernorts in der Arktis – umfangreiche Rohstoffvorräte freigesetzt oder der Zugriff auf sie erleichtert werden. Herausragende Bedeutung wird zur Zeit den gewaltigen Vorräten an Seltenen Erden beigemessen, die vor allem in der Nähe der Ortschaft Narsaq im Süden der Insel liegen. Von der Lagerstätte Kringlerne heißt es, dort ließen sich rund 3.000 Tonnen Seltene Erden pro Jahr fördern; das entspreche rund 60 Prozent des Jahresbedarfs in Europa.[5] Noch größere Ausbeute verspricht die zweite nahe Narsaq gelegene Lagerstätte Kvanefjeld; dort ist von einer „jährlichen Produktion von 3 Millionen Tonnen im offenen Tagebau“ die Rede. Diverse Versuche chinesischer Unternehmen, in die Rohstoffförderung und den Bau von Infrastruktur in Grönland zu investieren, sind in den vergangenen Jahren, wie aktuelle Berichte bestätigen, von Dänemark und den USA „verhindert“ worden.[6] Seit einiger Zeit ist die EU bemüht, in den Abbau der Ressourcen einzusteigen. Im November 2023 hat sie eine Rohstoffpartnerschaft mit Grönland initiiert; zum Bau der notwendigen – und teuren – Infrastruktur soll die Global Gateway-Initiative genutzt werden, die eigentlich als Konkurrenzprojekt zu Chinas Neuer Seidenstraße gestartet wurde.[7]
„Dominanz in der Verarbeitung“
Die Konkretisierung der EU-Pläne allerdings verzögert sich noch. Insbesondere im Fall der Lagerstätte Kvanefjeld steht ihr im Weg, dass dort auch große Mengen an Uran nachgewiesen sind, weshalb bei einem Abbau im großen Stil wohl ernste Umweltschäden drohen; aus der Bevölkerung werden deshalb Proteste laut. Es kommt hinzu, dass nun auch die USA Interesse am Zugriff auf Grönlands Seltene Erden anmelden. Allerdings weisen Experten darauf hin, dass selbst eine umfassende Ausbeutung der grönländischen Ressourcen die EU und die USA nicht aus ihrer Abhängigkeit von China lösen würde. Große Lagerstätten an Seltenen Erden gebe es beispielsweise in Australien, Kanada, Brasilien, Indien, ja selbst in den USA, heißt es etwa in einer im Oktober publizierten Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[8] Dass die NATO-Staaten gegenwärtig in Sachen Seltene Erden auf Lieferungen aus China angewiesen seien, liege nicht an einem „Mangel an Fundstätten“, sondern vielmehr an der chinesischen „Dominanz in der Verarbeitung“. Westliche Konzerne mieden „die teure und umweltbelastende Verarbeitung“ bis heute und lieferten die Rohstoffe „nach China zur Aufbereitung“, konstatiert die SWP. Beijings Einfluss auf die Versorgung mit Seltenen Erden beruhe „auf der Kontrolle über Technologien, Produktionskapazitäten, Wertschöpfungsketten, Exportquoten und Preise“.
Strategisch wichtige Seewege
Abgesehen von Rohstofffragen ist die arktische Eisschmelze von erheblicher geostrategischer Bedeutung, da sie neue Seewege freilegt, die seit je zugefroren und daher unpassierbar waren. Dies gilt in Zukunft wohl für die Nordwestpassage aus dem Atlantik westlich an Grönland und nördlich an Kanada vorbei durch die Beringstraße in den Pazifik und für die Seewege quer durch den Arktischen Ozean. Schon heute zumindest zeitweise befahren wird die Nordostpassage, die aus dem Pazifik durch die Beringstraße nördlich an Russland vorbei ins Europäische Nordmeer und in den Atlantik führt. In den strategischen Planungen Chinas wird die Nordostpassage als polare Seidenstraße bezeichnet. Sie ist nicht nur kürzer als die maritime Seidenstraße, die durch das Südchinesische Meer und den Indischen Ozean bis ins Mittelmeer führt, sondern kann – anders als diese – insbesondere in der Straße von Malakka [9] – nur schwer von den Vereinigten Staaten blockiert werden. Aufgrund ihrer Bedeutung haben Moskau und Beijing im April 2023 eine Zusammenarbeit zwischen dem russischen Grenzschutz und der chinesischen Küstenwache entlang der Route im Norden Russlands vereinbart.[10] Grönland spielt für die Kontrolle der Mündung all dieser Seewege in den Nordatlantik eine große Rolle. Dies gilt ganz besonders für die sogenannte GIUK-Lücke (Greenland, Iceland, United Kingdom), die Kriegsschiffe der russischen Nordflotte passieren müssen, sollen sie in den Atlantik einfahren.[11]
„EU-Soldaten stationieren“
Mit Blick auf die zunehmende geostrategische Bedeutung der Arktis riet die SWP schon im Oktober vergangenen Jahres dazu, die Bundeswehr, die bereits jetzt an „Übungen im hohen Norden“ teilnehme – genannt wurden Großmanöver wie etwa Trident Juncture, Nordic Response und Rapid Viking [12] –, solle „ihr Ambitionsniveau auf die Arktis erweitern“ [13]. Auf nationaler Ebene habe sie dies bereits im August 2020 mit einer Übung getan, in deren Rahmen 400 Marinesoldaten „an Bord von sieben Minenjagdbooten von Kiel über den Polarkreis hinaus nach Narvik an der Küste Norwegens“ gefahren seien. Deutschland solle, so hieß es weiter bei der SWP, „sich gemeinsam mit alliierten Marinen stärker im arktischen Raum“ betätigen; „Präsenz und Übungen sollten verstetigt und erweitert werden“. Dafür spricht sich jetzt auch der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, aus. Dem österreichischen General zufolge sei es „durchaus sinnvoll“, in Grönland „eine Stationierung von EU-Soldaten in Erwägung zu ziehen“: „Das wäre ein starkes Signal und könnte zur Stabilität in der Region beitragen“, behauptete Brieger.[14]
US-Pläne
Brieger bezieht sich dabei ausdrücklich auf die aktuellen Pläne der Trump-Administration, Grönland auf die eine oder andere Weise unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Bestrebungen knüpfen an frühere US-Versuche an, sich die Insel einzuverleiben, die weit in die Geschichte der langjährigen dänischen Kolonie zurückreichen. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
[1] Arctic Sea Ice Dynamics and Climate Change. nature.com.
[2] Céline Heuzé, Alexandra Jahn: The first ice-free day in the Arctic Ocean could occur before 2030. nature.com 03.12.2024.
[3] Ian Livingston, Kasha Patel: Greenland temperatures surge up to 50 degrees above normal, setting records. washingtonpost.com 08.03.2023.
[4] Extreme climate pushed thousands of lakes in West Greenland ‘across a tipping point,’ study finds. umaine.edu 21.01.2025.
[5] Michael Paul: Grönlands arktische Wege zur Unabhängigkeit. SWP-Studie 2024/S 22. Berlin, 02.10.2024.
[6] Majid Sattar, Friedrich Schmidt, Julian Staib, Jochen Stahnke: Der Kampf um die Arktis. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.01.2025.
[7], [8] Michael Paul: Grönlands arktische Wege zur Unabhängigkeit. SWP-Studie 2024/S 22. Berlin, 02.10.2024.
[9] S. dazu Die Pax Pacifica (III).
[10] Michael Paul: Grönlands arktische Wege zur Unabhängigkeit. SWP-Studie 2024/S 22. Berlin, 02.10.2024.
[11] S. dazu Als erste im Krieg.
[12] S. dazu Eiskalte Geopolitik (II), Die Zeit der Großmanöver, „Die Dominanz in der Arktis“ und Als erste im Krieg.
[13] Michael Paul: Grönlands arktische Wege zur Unabhängigkeit. SWP-Studie 2024/S 22. Berlin, 02.10.2024.
[14] EU-Militärchef für Stationierung von Soldaten auf Grönland. rnd.de 26.01.2025.