Wahlen sind ein Hochfest der Demokratie. Es geht schrill, laut und bunt zu. Phrasen und Propaganda in Dauerbeschallung. In wenigen Wochen – am 23. Februar – hat das -Volk, der Souverän, entschieden – und die Demokratie muss damit klarkommen
Von Helmut Ortner
Wenn es für hohlen Patmos einen Preis gäbe, es herrschte gerade großer Andrang. Wir leben in Wahlkampf-Zeiten. Und wir, «die lieben Mitbürgerinnen- und Mitbürger« – werden schmeichelnd umgarnt und umworben im schrill-lauten Propaganda-Wirbel. Die Parteien versprechen wie gewohnt das Blaue vom Himmel – Mehrausgaben, Steuersenkungen, mehr Wohlstand und Wachstum – auch die Lösung des Flüchtlings-Problems, des Facharbeiten-Mangels und der maroden Infrastruktur – und klar, auch die Bahn wird wieder pünktlich fahren. Von Aufbruch, Zukunft und Zuversicht ist viel die Rede – wo doch es doch vor allem um die Gunst der Alten im Land geht, um die Bewahrung von Besitzständen. Die Hauptleidtragenden sind – wieder einmal – die kommenden Generationen. Nichts Neues also. Vertröstungen und Versprechungen gehören zum Grundrauschen jeder Wahl. Selten aber – dass dürfen wir festhalten – hat die Politik dem Souverän so wenig Ehrlichkeit zugemutet.
Die Propaganda-Maschine läuft auf Hoch-Touren. Ob auf Plakatwänden oder auf TikTok, ob in den Städten oder auf dem Land: allerorten lächelnde Partei-Gesichter, smarte Claims, schrille Slogans. Die Republik im Würgegriff der Parteien. Es gibt kein Entkommen. Alle wollen nur das eine: unsere Stimme. Werfen wir hier einmal einen kurzen Blick auf die bunten Plakate, die – und das ist beinahe tröstlich – auch in der digitalen Welt als verlässliches Medium im parteilichen Sprücheklopfer-Wettbewerb unentbehrlich sind.
Mit dem Slogan „Wieder nach vorne“ wirbt die CDU auf türkis-farbigen Plakaten um Wählerstimmen. Was uns dort »vorne« erwartet, wird aus Platzmangel nicht mitgeteilt. Die Schwesterpartei CSU verkündet selbstbewusst »Wir sind bereit«. Wozu? Wofür? Wir dürfen mutmaßen, dass es ums Regieren geht. Das will die SPD gerne verhindern und macht uns im vertraulich-genossenschaftlichen »DU«-Ton eine Offerte: »Mehr für Dich – Besser für Deutschland.«. Olaf solls noch einmal richten.
Nahbar gefühlig will auch der Poster-Sound der Grünen klingen: »Ein Mensch. Ein Wort.« steht auf grünen Habeck-Plakaten. Ausgedacht hat sich den Slogan übrigens die Agentur Jung von Matt, die im Bundestagswahlkampf vor sieben Jahren noch für Angela Merkel zuständig war. Vor den Grünen liegt in den Umfragen deutlich die AfD. Ihr Claim: »Zeit für Deutschland« – und wer dies nun beliebig oder dröge findet, dem kann man zurufen: genau so soll es offenbar sein. Die Rechtsaußenpartei, bekannt für ihre krawalligen Sprüche, Russlandnähe und Abschiebefantasien, versucht vor allem den rechten, deutschen Patrioten-Michel einzulullen, beispielsweise mit dem Plakat-Slogan »Deutschland, aber normal«!
Die zuletzt stark gebeutelte FDP hat bei der Wahl mal wieder ein Problem: sie muss die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Deshalb hängt besonders viel von der Kampagne ab. Sie ist diesmal knall-gelb. Die Farbe ist absichtlich greller als in früheren Wahlkämpfen – nicht zuletzt, weil dieser Winterwahlkampf für so dunkel ist. Der Plakatspruch setzt vollends auf das Prinzip Hoffnung: «Alles lässt sich ändern.«. Auch Sahra Wagenknechts-BSW präsentiert sich als Hoffnungsträger und fordert auf Plakaten, auf denen ausschließlich sie selbst zu sehen ist, »Unser Land verdient mehr«. DIE LINKE will hier nicht nachstehen und empfiehlt, das Kreuz auf dem Stimmzettel diesmal bei ihnen zu machen, »Damit sich wirklich was ändert«. Ob liberal oder konservativ, ob sozialdemokratisch oder ökologisch, ob ganz rechts oder ganz links – alle Parteien inszenieren sich im Wahlkampf-Scharmützel als selbstlose patriotische Bewahrer und Erneuerer – zugegeben ziemlich wortgleich und redundant.
Insgesamt 41 Parteien treten, von der Bundeswahlleitung zugelassen, diesmal an. Ein Beleg der Vielfalt. Die Auswahl ist groß. Nicht nur der Markt setzt auf »special interest«, auch der politische Wettbewerb. So hofft die »Partei für Verjüngungsforschung« ebenso auf Wählerstimmen wie der »Canabis Social Club« oder eine junge Partei, die unter verheißungsvollem Namen »Die Liebe« dafür eintritt, das Zusammenleben für die Menschen im Land versöhnlicher zu gestalten. Weitere Mit-Bewerber sollen hier noch kurz genannt werden, wie etwa die Partei »Menschliche Welt«, die »Gartenpartei« oder die Partei »Die Sonstigen«, die bislang allesamt eher durch marginale Aktivitäten etwas unscheinbar agierten. Freilich sollten wir den Mut und Elan all der chancenlosen Kleinst-Parteien nicht belächeln, sondern als Beleg einer vitalen Demokratie würdigen. Denn: Demokratie lebt von Vielfalt – und von der Hoffnung, dass alles immer etwas besser werden kann. Besser also die Qual der Wahl, als eine Wahl ohne Wahlkampf.
Am 23. Februar wird abgerechnet. Es wird wie immer Sieger und Verlierer, Begeisterte und Besorgte, Verbitterte und Verärgerte geben. Die einen werden euphorisch jubeln, andere den Niedergang des Abendlandes bejammern, wieder andere über ihre politische Restlaufzeit brüten. Fest steht: das Volk, der Souverän, hat dann entschieden – und die Demokratie muss damit klarkommen.