Wenn Donald Trump nun die zweite Chance bekommt, seine Amtseinführung als „Biggest Crowd Ever“ zu verkaufen, werden in den USA die Erinnerungen an den 6. Januar 2021, den Sturm eines von Trump ermutigten Mobs auf das Capitol, wieder präsenter. Auch, weil das Geschehene vier Jahre danach noch nicht vollständig aufgearbeitet wurde – inklusive der Rolle, die der alte und neue US-Präsident dabei spielte.

In Brasilien, wo sich zwei Jahre nach dem Kapitolsturm fast auf den Tag genau am 8. Januar 2023 in der Hauptstadt Brasília eine ähnliche Tragödie ereignete, scheint man aber schon weiter zu sein. Zwar ist auch dort die juristische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen, aber die Kreise der Ermittlungen ziehen sich immer enger um Ex-Präsident Jair Bolsonaro und weitere Personen. Und auch ihre Motive treten immer klarer hervor: Offenbar wollten sie tatsächlich einen Staatsstreich herbeiführen.

Der 8. Januar 2023 ging als der Tag in die brasilianische Geschichte ein, an dem die brasilianische Demokratie in die Schranken gewiesen wurde. Aus Unzufriedenheit über die Amtseinführung von Präsident Lula am 1. Januar drangen Demonstranten in die Büros der drei Staatsorgane ein.

Als erstes wurde der Nationalkongress verwüstet. Dann der Oberste Gerichtshof. Und schließlich der Planalto-Palast, der Amtssitz des Präsidenten. Die Randalierer hinterließen eine Spur der Verwüstung, wo immer sie hinkamen – scheiterten lediglich an der Tür zu Präsident Lulas Arbeitszimmer. Die Institutionen reagierten sofort auf den Angriff. Es folgten Ermittlungen, Verhaftungen, Prozesse und Verurteilungen. Im Kongress wurde sogar eine CPMI, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, eingerichtet, um die Verantwortlichen zu ermitteln.

Bislang hat der Oberste Gerichtshof (STF) mehr als 800 Fälle von Angreifern vom Praça dos Três Poderes untersucht, 371 von ihnen endeten mit Urteilen. Weitere 500 Inhaftierte haben sich dafür entschieden, eine Vereinbarung mit der Generalstaatsanwaltschaft (PGR) zu unterzeichnen, um einem Prozess zu entgehen. Die Bilanz des Gerichts zeigt, dass 2.172 Personen auf frischer Tat festgenommen wurden, von denen 1.397 in Untersuchungshaft genommen wurden. Insgesamt wurden bislang mehr als 1.600 Klagen eingereicht.

Am 21. November 2024, also knapp zwei Jahre nach dem Kongress-Sturm, erhob die Bundespolizei Anklage gegen Bolsonaro und 36 weitere Personen wegen des dringenden Verdachts, einen Staatsstreich herbeiführen zu wollen, ebenso wie die gewaltsame Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates und die Bildung krimineller Vereinigung.

Offenbar soll auch ein Attentat auf Präsident Lula geplant gewesen sein. Hinweise darauf enthielt Material, das bei General Mario Fernandes, dem ehemaligen Berater von Jair Bolsonaro (PL) im Amt des Präsidenten der Republik, sichergestellt wurde.

Nach Angaben der Bundespolizei war der General für die Planung von „geheimen Operationen“ und die Hinrichtung von Lula verantwortlich, die am 15. Dezember 2022, drei Tage nach seiner Vereidigung durch das Oberste Wahlgericht (TSE), stattfinden sollte. Unter dem Codenamen „Jeca“ sollte Lula durch Vergiftung mit Chemikalien oder Medikamenten getötet werden, die einen „organischen Kollaps“ herbeiführen sollten. Auch Vizepräsident Geraldo Alckmin hätte dem Material nach ermordet werden sollen. https://www.cnnbrasil.com.br/politica/entenda-o-documento-com-plano-para-matar-lula/#goog_rewarded

Für den rechtsextremen Ex-Hauptmann Jair Bolsonaro ist es bereits das dritte juristische Verfahren gegen ihn, seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt. In einem anderen soll geklärt werden, ob er unerlaubterweise Staatsgeschenke für sich behalten hat.

Davor, im Juni 2020, hatte ihm das Oberste Wahlgericht (TSE) bereits das passive Wahlrecht für acht Jahre bis 2030 aberkannt. „Der TSE stellte fest, dass der ehemalige Chef der Exekutive seine politische Macht missbraucht und die Medien missbraucht hat, um Desinformationen über das elektronische Wahlsystem zu verbreiten und das Gericht anzugreifen, um Wahlgewinne zu erzielen“, hieß es in der Urteilsbegründung. https://direito.usp.br/noticia/adca6eb6f1d2-tribunal-superior-eleitoral-declara-ex-presidente-jair-bolsonaro-inelegivel-por-oito-anos-

Nun finden sich unter den Angeklagten weitere ehemalige Kabinettsmitglieder Bolsonaros und ehemalige Generäle des Militärs. So beispielsweise der frühere Generalstabschef Walter Braga Netto, der sogar einige Tage nach Einreichung der Anklage wegen des Verdachts der Behinderung der Ermittlungen verhaftet wurde.

Die Bundespolizei (PF) sieht auch ausreichend Belege für Straftaten im Verhalten von General Augusto Heleno, dem Leiter des Büros für institutionelle Sicherheit (GSI) der früheren Regierung Bolsonaros.

Weitere hochrangige Mitglieder der Streitkräfte (FA) wurden angeklagt: die Reservegeneräle Estevam Theophilo de Oliveira und Laércio Vergílio, der General im aktiven Dienst Nilton Diniz Rodrigues und der Reserveadmiral Almir Garnier Santos, der die Marine befehligte.

Weiterhin ungeklärt bleibt bislang, weshalb der Putschversuch sich am 8. Januar ereignete – eine Woche nach der Vereidigung Lulas für seine dritte Amtszeit als Präsident. Der Wahlprozess war längst abgeschlossen, das Ergebnis bestätigt. Ex-Präsident Bolsonaro war außer Landes. Er war am 30. Dezember 2022 fluchtartig nach Miami entschwunden. Der Zeitpunkt und die Durchführung erscheinen undurchdacht bis stümperhaft.

Am Schaden, den die Demokratie durch den Kongress-Sturm erlitten hat, laboriert das größte Land Südamerikas noch heute, zumal die Anhänger Bolsonaros keine Ruhe geben. Erst im November 2024 sprengte sich fast an derselben Stelle ein Selbstmordattentäter in die Luft. Ermittlungen ergaben, dass er in derselben politischen Partei wie Bolsonaro aktiv gewesen war – bis er sich radikalisierte.

Der Schaden war aber auch materiell. Möbel, Zimmer, Kunstwerke, eine Uhr aus dem 17. Jahrhundert, ein Geschenk des französischen Hofes an Dom João VI, Gemälde von Künstlern wie Di Cavalcanti, Keramikvasen wurden zerstört… Ein Teil dieses Materials kehrte am 8. Januar dieses Jahres in den Planalto-Palast zurück, nachdem es restauriert wurde. Ein Symbol für den Kampf um die Demokratie.