Viviana Ponce (nicht ihr richtiger Name) ist 38 Jahre alt und verkaufte Essen in den Straßen von La Lima, einer Gemeinde im Departement Cortés im Nordwesten von Honduras. Täglich zog sie mit ihrer Schubkarre los, um Burritos und Baleadas zu verkaufen und ihre Familie zu unterstützen.
Zusammen mit ihren drei Kindern im Alter von vier, sieben und 18 Jahren lebte sie in einem Haus, das sie vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Vater und ihren Geschwistern gebaut hatte. Mit viel Mühe hatten sie es in ein Zuhause verwandelt. Im Hof hielten sie Hunde, Enten und Legehennen, deren Eier sie auf dem lokalen Markt verkaufte.
Katastrophe durch Hurrikan Eta
Am 4. November 2020 beobachtete Viviana gegen 17 Uhr gemeinsam mit ihren Nachbar*innen, wie der Fluss Chamelecón unkontrolliert anstieg. Eine Stunde später brach der Damm unter dem Druck des starken Windes, der Fluss trat über die Ufer und verursachte massive Überschwemmungen in der gesamten Gemeinde. Innerhalb einer Nacht veränderte sich das Leben Tausender Honduraner*innen. Noch am selben Tag rief die lokale Regierung den Notstand aus und verhängte die landesweite Alarmstufe Rot.
Der Hurrikan Eta, ein Wirbelsturm der Kategorie 5 mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 260 km/h, hinterließ eine Spur der Verwüstung, insbesondere in ärmeren Gemeinden wie der von Viviana. Zwei Wochen später traf Hurrikan Iota auf die Region. Laut Amnesty International forderten beide Stürme mindestens 94 Menschenleben und beeinträchtigten das Leben von fast vier Millionen Menschen in Honduras. Auch die Nachbarländer Guatemala und Nicaragua waren betroffen, doch Honduras, wo bereits vor der Katastrophe 60 % der Bevölkerung in Armut lebten, wurde am schwersten getroffen.
Nach Angaben des honduranischen Sozialforums für Auslandsschulden und Entwicklung (FODESH) warf die Katastrophe das Land im Vergleich zu seinen Nachbarländern um Jahre zurück.
Chaos und Verzweiflung
Nach den Überschwemmungen herrschten Chaos und Verzweiflung. Viviana, die nicht glauben konnte, was geschehen war, watete mit ihren Kindern durch knietiefes Wasser. Noch heute erinnert sie sich an diesen Moment: „Das Wasser riss Tore, Betten, Fenster, Bäume mit sich.“ Straßen, Brücken, Ernten, Fabriken, Stromleitungen und Häuser wurden zerstört. Die Gemeinde war von der Außenwelt abgeschnitten, und Viviana verlor alles, was sie sich über die Jahre erarbeitet hatte.
„Wir hatten ein gutes, glückliches Leben, auch wenn es bescheiden war. Jetzt haben wir nichts mehr und müssen wieder von vorne anfangen“, erzählt sie.
Sie und ihre Familie fanden vorübergehend in einer weit entfernten Schule Zuflucht, die als Notunterkunft diente. Dort verbrachten sie fast zwei Monate. „In den ersten Tagen hatten wir nichts zu essen, weil die Schule fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten war“, berichtet Viviana.
Klimaflucht: Ein wachsendes Phänomen
Heute gehört Viviana zu den Tausenden von Menschen, die aufgrund des Klimawandels gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Laut internationalem Recht werden diese Menschen als Klimaflüchtlinge bezeichnet.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) gibt an, dass jedes Jahr mehr als 20 Millionen Menschen aufgrund extremer Wetterereignisse ihre Heimat verlassen müssen. Über die Hälfte der 2023 gemeldeten neuen Vertreibungen waren klimabedingt: 26,4 Millionen Menschen mussten fliehen.
Honduras gehört zu den am stärksten betroffenen Ländern im globalen Süden. Die Landwirtschaft, eine der wichtigsten Einkommensquellen, leidet unter Überschwemmungen und Dürren, die regelmäßig Ernten und Arbeitsplätze zerstören. Ein Bericht von Greenpeace weist darauf hin, dass sechs von zehn klimabedingten Vertreibungen durch Überschwemmungen verursacht werden, gefolgt von Stürmen, Dürren, Erdrutschen und extremen Temperaturen.
„Wir stören das Gleichgewicht der Natur, und das hat direkte Konsequenzen, weil wir tagtäglich von ihr abhängig sind“, erklärt der Biologe Vicente Serrano.
Klimamigration und soziale Ungleichheit
Die Auswirkungen des Klimawandels treffen alle, doch die ärmsten Länder leiden am meisten. Biologe Vicente Serrano bezeichnet dies als das „Klimaparadoxon“: Diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, sind am stärksten betroffen.
Viele der Betroffenen bleiben innerhalb ihres Landes, da sie nicht die finanziellen Mittel haben, international zu migrieren. Viviana sagt: „Ich wollte das Land verlassen, aber ohne Arbeit, Geld und mit einem kranken Vater und kleinen Kindern war das unmöglich.“
Der Anthropologe Alessandro Forina betont: „Bei Naturkatastrophen zeigt sich der Zusammenhang zwischen sozialer Klasse und den Möglichkeiten, sich zu schützen. Wer über Ressourcen verfügt, kann widerstandsfähigere Häuser bauen oder migrieren – die anderen bleiben zurück.“
In Honduras und El Salvador gibt es derzeit mehr als 318.000 Binnenvertriebene (IDPs).
Frauen als besonders gefährdete Gruppe
Wenn wir über Vertreibung durch die ökologische Krise sprechen, müssen wir die Perspektive von Frauen berücksichtigen. Geschlechterungleichheit macht Frauen – besonders jene mit geringen Ressourcen – anfälliger für Katastrophen. Ihre Möglichkeiten, Risiken zu minimieren, sind eingeschränkt, und Migration bringt für sie oft zusätzliche Gefahren wie sexuellen Missbrauch oder Menschenhandel mit sich, warnt Forina.
Während der Transitzeit und in den Aufnahmegemeinden fehlt es häufig an grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Betreuung. Nach Hurrikan Eta berichtete die BBC von sexueller Belästigung und Diskriminierung in Notunterkünften in Honduras. Frauen erzählten, wie sie beim Waschen ausgespäht wurden, es an Menstruationshygiene fehlte und sie sexualisierte Bemerkungen ertragen mussten. Übergriffe geschehen oft während des Schlafens, Waschens oder Umziehens in Unterkünften und Zelten.
Die verlassenen oder militarisierten Transitrouten und die fehlende staatliche Präsenz machen Frauen und Mädchen anfällig für Menschenhandel. Laut UNHCR wird sexuelle Gewalt oft als Machtdemonstration eingesetzt, manchmal auch zur Einschüchterung anderer Migrant*innen. Zudem werden Aufnahmen sexueller Gewalt zur weiteren Stigmatisierung verbreitet.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) stellt fest, dass Geschlechterungleichheit das Risiko und die Verwundbarkeit von Frauen gegenüber extremen Wetterereignissen erhöht. Während der Migration kommt es häufig zu ungewollten Schwangerschaften, die in Bewegung schwer zu bewältigen sind. Viele Frauen verzichten auf medizinische Hilfe aus Angst, ihre Reise abbrechen zu müssen.
Um sexuelle Gewalt zu vermeiden, nehmen manche Frauen Medikamente, um eine Menstruation vorzutäuschen, oder Antibabypillen, um Schwangerschaften zu verhindern, wie Viviana berichtet. Trotz der Risiken sind laut UNEP etwa 80 % der durch den Klimawandel Vertriebenen Frauen. Forina spricht von einer „Feminisierung“ der Migration: Immer mehr Frauen migrieren allein, oft mit Kindern, da sie meist für die Betreuung der Familie verantwortlich sind.
Claudia Hernández, 36, Mutter von drei Kindern aus La Lima, musste nach den Überschwemmungen nach Bosques de Jucutuma fliehen. Einen Monat später wurde ihr Sohn mit einer akuten Blinddarmentzündung operiert – in einer provisorischen Notunterkunft. „Meine größte Sorge war, keinen Platz für meinen frisch operierten Sohn zu haben“, berichtet sie.
Zusätzlich zur Angst vor dem Verlust des Zuhauses und Hunger belastete sie die alleinige Verantwortung für ihre Kinder. Claudia verlor durch die Katastrophe auch ihre Lebensgrundlage als Straßenverkäuferin. Drei Tage war sie mit ihren Kindern eingeschlossen, bis ein Freund ihres Mannes sie mit einem Boot rettete.
Solidarität als Schlüssel zur Resilienz
Nach der Katastrophe und mehreren Monaten außerhalb ihrer Gemeinde kehrten die meisten Bewohner*innen von La Lima in ihre Stadt zurück, um ihr Leben von Grund auf neu aufzubauen. Die Regierung hatte zwar finanzielle Hilfe versprochen, doch diese blieb aus. Viele betroffene Gemeinden wurden von den lokalen und staatlichen Institutionen ihrem Schicksal überlassen: „Wir verstehen immer noch nicht, warum der Staat einigen Gemeinden hilft und anderen, die wie unsere zu den ärmsten gehören, nicht“, beklagt eine Betroffene.
Trotz der schwierigen Umstände hebt sie die herausragende Bedeutung der Solidarität innerhalb ihrer Gemeinschaft hervor: „Es war eine Zeit großer gegenseitiger Hilfe – was die eine nicht hatte, stellte die Nachbarin zur Verfügung.“ Die kollektiven Netzwerke der Unterstützung, die vor allem von Frauen organisiert wurden, kompensierten das Fehlen staatlicher Hilfe. Sie waren entscheidend, um die Bewohner*innen der am stärksten betroffenen, überfluteten Regionen zu unterstützen. Zusätzlich trugen Verbände, Nichtregierungsorganisationen und Aktivist*innen maßgeblich dazu bei, den Menschen in den schwierigsten Momenten der Katastrophe beizustehen. Besonders die Initiative Operación Eta, ein Zusammenschluss von über 25 Organisationen junger Honduraner*innen, leistete wichtige humanitäre Hilfe.