Marion Nawroth, vierfache Mutter und Großmutter, trat am 17. November in den Hungerstreik, um ein Zeichen für Frieden und gegen Aufrüstung, Militarisierung und Waffenlieferungen zu setzen. Ihr Protest endete vorzeitig am 5. Dezember mit der Räumung des Friedenscamps am Berliner Dom. Von Regierung, Parlament und Politik weitgehend ignoriert, richtet sie nun einen offenen Brief an den Bundeskanzler und die Abgeordneten des Bundestags.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Sehr geehrte Bundestagsabgeordnete,

mein Name ist Marion Nawroth (68). Ich bin vierfache Mutter und Großmutter von vier Enkeln. Ich bin aus Anlass des für unser Volk so symbolträchtigen Volkstrauertag von Bautzen nach Berlin gekommen, um mittels Hungerstreik ein deutliches Zeichen zu setzen gegen die allgegenwärtigen und medial gepuschten Forderungen nach Aufrüstung, großzügigen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, den unreflektierten und unbedachten Ruf nach Taurus und nach einem „Siegfrieden“, dem es egal ist, wie groß der Kollateralschaden an Menschen und verbrannter sowie uranverseuchter Heimat ist.

Mein Hungerstreik sollte bis in die Adventszeit reichen, um die christliche Botschaft „Frieden und Nächstenliebe“ wieder mehr in den Mittelpunkt Ihrer Überlegungen und vor allem bei so existenziellen, politischen Entscheidungen wie Krieg und Frieden zu rücken. Das Glück und die Sicherheit unseres deutschen Volkes, der Schutz unserer Heimat, aber zugleich auch das Glück und die Sicherheit aller Menschen, unabhängig von Nation, Kultur und Sprache, sollte Ihnen innere Verpflichtung sein. Denn wir sind alle Gottes Geschöpfe!

Gestern, am 05. Dezember, musste ich meinen Hungerstreik vorzeitig abbrechen, weil die Berliner Polizei das nun schon mehrjährige Friedenscamp am Berliner Dom unter haltloser Begründung überraschend geräumt hat, obwohl es bis 31.12.24 genehmigt war und weitergeführt werden sollte. Für mich passt dieses Vorgehen ganz genau in die aktuelle Kriegspolitik. Mitten auf der Museumsinsel und den Touristenströmen, die abends am Friedenscamp vorbei dem Weihnachtsmarkt am Berliner Schloss entgegenströmen, um sich besinnlich auf Weihnachten einzustimmen, passt dieses Protestcamp nicht in die politisch gewünschte Kriegsbereitschaft? Aber gerade Berlin als Hauptstadt und als ein internationaler Begegnungsort sollte sich so viel Meinungsfreiheit leisten können und vor allem den Ruf nach Frieden in der Welt unterstützen!

Ich frage Sie: Sind wir Deutschen schon wieder soweit am Abgrund angekommen? Haben wir so gar nichts aus unserer Geschichte gelernt?

Und ist die EU nicht als ein Friedensprojekt gerade wegen des grässlichen 2. Weltkrieges mit all den Schicksalen und Traumata, die bis heute noch in den Familien präsent sind, gegründet worden? Und ganz nebenbei: Noch niemals in der Geschichte ist Russland besiegt worden!

Solche Sätze wie: „Wir dürfen nicht kriegsmüde werden“ oder „Deutschland müsse ‚kriegstüchtig‘ sein“, passen nicht in die Friedensagenda nach dem 2. Weltkrieg für Europa und vor allem nicht für Deutschland! Im 2+4 Vertrag hat sich Deutschland dazu „verpflichtet“, Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen, für den Aufbau einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa! Wo ist dieser Grundsatz, dieser Schwur „Nie wieder Krieg!“ geblieben? Ich prangere hier deutliche Vertragsverletzung an!

Vor mehr als 2 Jahren, nur 6 Wochen nach Kriegsbeginn in der Ukraine, im März 2022, waren wir einem einvernehmlichen Frieden in der Ukraine schon so nah. Damals wurde in Ankara eine sehr gute Vorlage für einen Friedensvertrag zwischen Putin und Selenskyj erarbeitet.

Jedoch bekam Selenskyj überraschend Anfang April Besuch von Boris Johnson, der umfangreiche wirtschaftliche und militärische Unterstützung zusagte, etwa um amerikanische Interessen durchzusetzen?

Ich frage Sie: Mit welchem Ziel kam Johnson in die Ukraine – um Frieden zu bringen und das Sterben junger Menschen auf dem Schlachtfeld, die Zerstörung der ukrainischen Heimat und das Leid betroffener Familien zu beenden oder doch eigene geostrategische Ziele zu verfolgen? Der Frieden war doch schon einvernehmlich beschlossen!

„Wer nicht versteht, dass es sich im Ukrainekrieg um einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO handelt, der hat es nicht verdient, ein politisches Amt zu führen“, sagt Harald Kujat, General a.D.

Durch deutsche Waffenlieferungen von über 10 Mrd. € haben Sie, jeder Einzelne, der „dafür“ gestimmt hat, ganz persönliche Mitverantwortung an diesen 2 weiteren sinnlosen Jahren Zerstörung ukrainischer Heimat mit über 1 Million Toten auf beiden Seiten der Front. Fahren Sie an die Front und helfen Sie mit, die einzelnen Leichenteile der Gefallenen aufzusammeln und diese zu den Familien zu bringen, damit sie ihre Angehörigen betrauern und beerdigen können. Es wird sehr heilsam sein und Sie können die schmutzige Seite des Krieges erfahren!

Ich bin mit meinen 68 Jahren reich an Lebenserfahrungen, ergänzt durch Erlebnisse und Weisheiten meiner Eltern, Großeltern und der Generationen davor. Denn das ist unser wahrer Reichtum, das Wissen um ein gutes Zusammenleben, einander zu verstehen und zuzuhören, in schwierigen Situationen zu helfen und zu unterstützen, damit ein jeder sein persönliches Glück finden möge. Wünscht sich das nicht jeder Mensch auf der ganzen Welt, in Deutschland, in der Ukraine, in Russland, Israel, Palästina?

Ich habe 4 Söhnen das Leben geschenkt und sie bei voller Berufstätigkeit, wie es im Osten üblich war, mit bestem Wissen und Gewissen zu tollen, intelligenten Erwachsenen mit einem starken Charakter und eigenem politischen Standpunkt erzogen. Wobei unsere Standpunkte durchaus differieren, was mitunter zu einigen Diskussionen führt. Da habe ich doch alles richtig gemacht!

Meine Söhne sind wiederum Väter geworden und haben wieder 4 Söhnen das Leben geschenkt. Das ist der natürliche Lauf des Lebens. Und ebenso natürlich und in allen Familien ist es derselbe Wunsch, dass vor allem unsere Kinder und Kindeskinder ein noch besseres Leben haben als wir, dass sie in Frieden und Sicherheit aufwachsen, alle Möglichkeiten haben, sich frei und mannigfaltig zu entwickeln – dass sie glücklich werden!

Das ist doch unser aller Wunsch. Oder nicht?

Sie, meine verehrten Politikerinnen und Politiker sind gerade dabei, unser aller Familienglück, unsere schöne deutsche Heimat in unglaubliche Gefahr zu bringen, all das aufs Spiel zu setzen, wofür vorangegangene Generationen fleißig gearbeitet haben. Wollen Sie wirklich einen 3. Weltkrieg auslösen, weil Sie nur Sieg oder Niederlage kennen, an gegenseitige Kompromisse, Verstehen und Verständigung mit dem Feind nicht glauben können?

Sehr viele von Ihnen befürworten in erschreckender Weise den Einsatz von Taurus-Raketen. Das Europäische Parlament hat sich mit großer Mehrheit für den Einsatz von Taurus in der Ukraine entschieden. Wenn Sie ebenfalls mehrheitlich mit JA stimmen, dann wird die Welt nicht mehr so sein wie früher. Mit Taurus steigen wir vom Fahrrad in den Porsche. Alle Möglichkeiten für Verhandlungen, die wir JETZT noch haben, werden damit zunichte gemacht. Und die größte Katastrophe des 21. Jahrhunderts, wie man dann später in der Geschichtsschreibung lesen wird, nimmt ihren Lauf.

80 Jahre Frieden haben Sie und viele andere zu selbstsicher, unkritisch und unbedacht werden lassen. Die meisten von Ihnen kennen den Krieg nur aus Erzählungen, aus dem Fernsehen, haben das Elend und Leid nicht selbst erfahren. Und DAS sehe ich persönlich als den wichtigsten Grund für Ihr persönliches politisches Versagen im Ukrainekrieg.

Meine Mutter, 91, erzählt immer wieder, wie sie als 8-jährige in Hamburg ausgebombt, als Älteste von 5 Geschwistern, ihre kleinen Geschwister, darunter 2-jährige Zwillinge, allein nachts anziehen und in den Bunker bringen musste, weil ihre Mutter alleinerziehend in 5 Arbeitsstellen tätig war, um die Familie durch die Kriegszeiten zu bringen. Ihr Vater ist 1942 mit gerade mal 34 Jahren „für Volk und Vaterland“ gefallen. Meine Mutter vermisst bis heute ihren Vater schmerzlich, den sie nie richtig kennengelernt hat. Sie waren Flüchtlinge wie so viele in Richtung Osten nach Mecklenburg zu Fuß mit Leiterwagen, auf dem das Nötigste für die kleine Familie zusammengeschnürt war. Millionenfach solcher Schicksale, Traumata bis in die 3. Generation, leben bis heute in deutschen Familien weiter. Und Sie wollen tatsächlich neues Leid über Deutschland bringen?

Ich bin wie viele andere Mütter und Frauen äußerst besorgt über die allgegenwärtigen Kriegsvorbereitungen. Es ist ein schleichender, für die meisten Menschen kaum wahrnehmbarer Prozess. Aufkommende Kriegshysterie, wieder der Ruf nach einem starken Kanzler, nach einer Wunderwaffe, die den Aggressor Putin, die größte Atommacht der Welt, in die Knie zwingt. Haben Sie wirklich vergessen, wie der ganze Bundestag 2001 Putin beklatscht und bejubelt hat, als er den 1.Schritt bewusst auf Deutschland zugemacht und seine lange Rede sogar in Deutsch gehalten hat? Und dann sein Schritt auf Europa zu, als Putin sogar die Mitgliedschaft in der NATO wollte. 85 % der Russen leben geographisch in Europa. Ich frage mich, warum man einem so mächtigen und wirtschaftlich interessant und gut aufgestellten Land, ganz im Gegensatz zu anderen Ländern, welche die EU in den letzten Jahren aufgenommen hat, diesen Anschluss nicht ermöglicht? Anstatt wir endlich begreifen, dass es allen zum gegenseitigen Vorteil gereicht, wenn wir statt Konkurrenz endlich zu kooperativer Zusammenarbeit übergehen, auch mit Russland gute wirtschaftliche Beziehungen und eine friedliche Nachbarschaft pflegen, anstatt Putin zum alleinigen, aggressiven Feind zu erklären.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Sehr geehrte Damen und Herren des Deutschen Bundestages!

Stimmen Sie gegen Taurus, denn die Ukraine ist technisch nicht in der Lage, diese Waffe einzusetzen – nur mit deutscher! Planung, Organisation, Software und deutschem!

Fachpersonal. Die Bundesrepublik Deutschland wird dadurch zum direkten Kriegsgegner Russlands und zum ersten Angriffsziel.

Sie persönlich haben es JETZT in der Hand, dieses Unheil von Deutschland abzuwenden! Dafür wurden Sie gewählt, dafür wurde Ihnen das Vertrauen ausgesprochen.

Einst waren wir deutsche und russische Brüder, noch mehr nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus. 24 Mio. Russen verloren durch den deutschen Angriffskrieg ihr Leben, darunter 10 Mio. russische Soldaten, die uns mit dem Einsatz ihres Lebens vom deutschen Faschismus befreit haben.

Gerade wir Deutschen müssen uns doch für den Frieden einsetzen, d.h. aktiv diplomatische Anstrengungen für sofortige Friedensverhandlungen noch vor Weihnachten unternehmen, anstatt alle Kraft und Steuergeld in einen Krieg zu investieren, der nicht im Interesse des deutschen Volkes sein kann, da er in Konsequenz all das, was vergangene Generationen nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut haben, in ernste Gefahr bringt!

Wir Frauen, Mütter und Großmütter sagen: NEIN zum Krieg! JA zu einem Waffenstillstand noch vor Weihnachten!!!

Eingedenk unserer deutschen Geschichte, unserer Schuld, sollte der Bundestag einstimmig den Einsatz von Taurus Raketen ablehnen.

Bisher habe ich vergeblich versucht, mit den Bundestagsfraktionen in Kontakt zu kommen. Selbst mein Hungerstreik hat Sie nicht beeindrucken können. So habe ich mich für den Offenen Brief entschieden. Ich gebe nun den Staffelstab des Friedens, die persönliche Verantwortung für Deutschland und Europa an Sie weiter. Ihre Kinder und Kindeskinder werden Sie später fragen, was Sie für das Ende dieses unnötigen Krieges getan haben. Seien Sie sich Ihrer Verantwortung für das Glück Ihrer Familien, der nachfolgenden Generationen, für das deutsche Volk bewusst und folgen Sie Ihrem Herzen, ein jeder nach seinem Gewissen!

Ich hoffe und zähle auf Sie, für unser aller Wohl, für unser Volk, für unsere schöne Heimat und für ein stolzes friedliches Europa, welches tief in der christlichen Tradition der Nächstenliebe verwurzelt ist. Dieser Auftrag ist unser aller Bestimmung, unsere tiefste Sehnsucht!

Hochachtungsvoll,
Marion Nawroth

Großmutter kämpft mit Hungerstreik im Berliner Lustgarten für Frieden