Wenn die G20-Staaten ihr Klimaengagement weiter schleifen lassen, wird uns sehr bald sehr heiß werden.

Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOSperber

Bisherige Klimaschutzpläne werden nicht ausreichen, um den globalen Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen, warnen die Vereinten Nationen im Jahresbericht des UN-Umweltprogramms (UNEP).

Auch nicht auf 2 Grad. Selbst wenn alle zugesagten Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt würden, steuern wir auf 3 Grad Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit zu, analysiert der jüngste UN-Emissions Gap Report.

«Emission Gap» wie «Emissionslücke», also die Menge Treibhausgase, die uns von noch einigermaßen verträglichen Erdtemperaturen bei 1,5 Grad Erhitzung trennt. Diese Marke hat die Erde laut dem Klimadienst Copernicus bereits kurzfristig erreicht, 2024 werden wir die Schwelle wohl erstmals dauerhaft überschreiten.

3,1 Grad mit «Weiter so», 2,6 Grad bei Pflichterfüllung

Bisher zugesagte Klimamaßnahmen der Länder für 2030 werden nach derzeitigem Stand bis dahin nicht ausgeführt. Selbst wenn alle Zusagen doch noch einhalten würden, bewegen wir uns auf eine Erderhitzung von 2,6 bis 2,8 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu.

Ein «Weiter so» würde einen globalen Temperaturanstieg von bis zu 3,1 Grad bedeuten, schlimmstenfalls von 3,6 Grad. Für Wirtschaft, Ökologie und Gesundheit wäre das eine einschneidende – um nicht zu sagen: katastrophale – Veränderung.

Wir wissen mittlerweile, was das bedeutet: schmelzende Gletscher, steigender Meeresspiegel, saure Ozeane, kaputte Böden, weniger Süßwasser, dafür mehr Wüsten, mehr und stärkere Unwetter und weniger Nahrung. Der Temperaturanstieg wird sehr wahrscheinlich auch mehrere Kipppunkte auslösen wie das Abschmelzen großer Eiskappen, eine Veränderung der globalen Meeresströmungen, die Austrocknung des Amazonasregenwalds oder den Tod der meisten Korallen.

Voraussichtliche Erderhitzung bis Ende des Jahrhunderts, wenn die Welt so weitermacht wie bisher, wenn sie wenigstens einige Klimamaßnahmen ergreift oder die Staaten zusätzliche Maßnahmen beschließen. [Conditional NDC (Nationally determined contribution): bedingte nationale Anstrengungen; Unconditional NDC: zugesagte nationale Anstrengungen]. © Emissions Gap Report 2024

1,9 Grad bei zusätzlichen Klimamaßnahmen

Würden die Länder der Erde zusätzliche Klimamaßnahmen beschließen und rasch umsetzen, könnte die Erwärmung auf 1,9 Grad begrenzt werden. Die Wahrscheinlichkeit sei jedoch gering, fasst das UN-Umweltprogramm in einer Pressemitteilung zusammen.

In der Pflicht stehen vor allem die G20-Staaten. Auf die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer entfallen mehr als drei Viertel (77 Prozent) der weltweiten Treibhausgasemissionen.

1,5 Grad? Theoretisch noch erreichbar

Technisch sei es noch immer möglich, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Und zwar dann, wenn alle G20-Staaten sofort handeln, beschreibt der Report mit dem bezeichnenden Untertitel «No more hot air … please!» (Keine heisse Luft mehr … bitte!).

Die globalen Treibhausgasemissionen müssten dafür bis 2030 um 42 Prozent und bis 2035 um 57 Prozent sinken. Sonst hätten wir die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens in wenigen Jahren überschritten.

Die größten Einsparmöglichkeiten sieht der Report bei der Energieerzeugung, gefolgt vom Agrarbereich, der Industrie sowie dem Transportwesen und dem Gebäudebestand.

«Ich finde es geradezu lächerlich, dass sich die Weltpolitik immer noch an dem 1,5-Grad-Ziel festhält. Das ist de facto doch längst gerissen.» Klimawissenschaftler Mojib Latif, (Spiegel Online)

Der Kieler Klimawissenschaftler Mojib Latif bezeichnet das Festhalten am 1,5-Grad-Ziel gegenüber dem «Spiegel» vor Kurzem als «lächerlich» und als «Realitätsverweigerung»: «Ich finde es geradezu lächerlich, dass sich die Weltpolitik immer noch an dem 1,5-Grad-Ziel festhält. Das ist de facto doch längst gerissen.» Auch andere Beobachter sparten nicht mit direkten Worten.

Erneut. «Bei der Klimakrise gibt es keine Pause-Taste», hatte etwa Inger Andersen, Leiterin des UN-Umweltprogramms UNEP, bereits vor einem Jahr zur deutschen «Tagesschau» gesagt. «Wir müssen wirklich etwas unternehmen», sagte sie dieses Jahr zu «Sky».

Guterres warnt vor «Monster-Hurrikans und biblischen Fluten»

Bei der COP28 in Dubai gelte der «Superlativ der Dringlichkeit», sagte Viviane Raddatz, Klimachefin von WWF Deutschland 2023. UN-Generalsekretär Guterres forderte ein «radikales Umsteuern». Dieses Jahr sagte er: «Wir balancieren auf einem Drahtseil» zum COP29.

Es bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen steigenden Emissionen und häufigeren, intensiveren Katastrophen (Video). Die Zukunft halte «Monster-Hurricans, Rekordhitze und biblische Fluten» bereit, wenn die Menschheit nicht reagiere.

Der Originalartikel kann hier besucht werden