Das Europaparlament attackiert eine UN-Resolution, die Chinas UN-Mitgliedschaft regelt. Ziel ist die Aufnahme Taiwans in UN-Organisationen. Damit attackiert das Europaparlament zugleich eine rote Linie Beijings.

Auf Initiative deutscher Politiker setzt sich das Europaparlament für die Aufnahme Taiwans in UN-Organisationen ein und heizt mit der aktuellen Reise einer Parlamentarierdelegation nach Taipei die Spannungen um die Insel an. Taiwan müsse in UN-Sonderorganisationen wie die WHO aufgenommen werden, heißt es in einer Resolution, die das Europaparlament in der vergangenen Woche beschlossen hat. Die Resolution richtet sich faktisch auch gegen die UN-Resolution 2758 aus dem Jahr 1971, die Repräsentanten Taiwans von den Vereinten Nationen und ihren Organisationen ausschließt. Damit attackiert sie zugleich frontal das Ein-China-Prinzip, das in Beijing als rote Linie gilt, deren Missachtung harte Reaktionen zur Folge hätte – bis hin zum Krieg. Die Resolution wurde von Mitgliedern der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC) initiiert – einer in drei Dutzend Staaten aktiven Lobbyorganisation, die das erklärte Ziel verfolgt, dem Aufstieg der Volksrepublik China entgegenzutreten. Die IPAC hat ähnliche Resolutionen schon in anderen Parlamenten angestoßen. Ein deutsches IPAC-Mitglied führt zur Zeit die Reise einer Delegation des Europaparlaments nach Taiwan an.

„Schlüsselpartner“ der EU

Bereits in der vergangenen Woche hat das Europaparlament mit großer Mehrheit – 432 Ja- bei 60 Nein-Stimmen und 71 Enthaltungen – eine Resolution angenommen, die sich im Konflikt um Taiwan scharf gegen China positioniert und Maßnahmen fordert, die geeignet sind, die Abspaltung der Insel vom Festland zu unterstützen. So heißt es, Taiwan sei ein „Schlüsselpartner“ der EU, mit dem man in Zukunft enger kooperieren müsse. Es gelte etwa, nicht nur Parlamentarierdelegationen nach Taipei zu entsenden, sondern einen intensiveren Austausch „auf allen Ebenen“ zu pflegen, besonders auch auf politischer Ebene.[1] Das solle ergänzt werden um eine breite Zusammenarbeit in Wissenschaft, Bildung, Kultur und Sport, um neue Städte- und Regionalpartnerschaften wie auch um eine „strukturelle technische Kooperation“ mit der taiwanischen Feuerwehr und Polizei; zudem solle die EU-Kommission „umgehend“ Verhandlungen über ein bilaterales Investitionsabkommen initiieren. Vor allem aber gelte es, sich für eine Aufnahme Taiwans in internationale Organisationen stark zu machen, zum Beispiel in Sonderorganisationen der Vereinten Nationen wie die WHO und in zwischenstaatliche Zusammenschlüsse wie Interpol. In die UN-Klimarahmenkonvention müsse Taiwan ebenfalls eingebunden werden.

Die UN-Resolution 2758

Um die Forderung nach Taiwans Aufnahme in multinationale Organisationen zu begründen, bezieht sich das Europaparlament auf die UN-Resolution 2758 vom 25. Oktober 1971. Bis zu jenem Tag hatte Taiwan unter der Bezeichnung „Republik China“ den Platz Chinas bei den Vereinten Nationen innegehabt, den Platz im UN-Sicherheitsrat inklusive. Mit der Resolution 2758 änderte die UN-Generalversammlung dies; sie erklärte darin, sie werde von nun an die Vertreter der Volksrepublik als „die einzigen rechtmäßigen Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen anerkennen“ und entsprechend die Vertreter der „Republik China“ ausschließen.[2] Um den Übergang zur Nichtanerkennung der „Republik China“ deutlich zu machen, war in der UN-Resolution 2758 nur noch von den „Vertretern Chiang Kai-sheks“ die Rede, des damaligen Machthabers in Taipei. Entsprechend hat Taiwan seit dem 25. Oktober 1971 nicht mehr Anspruch auf Repräsentanz bei den Vereinten Nationen und in ihren Organisationen. Das Europaparlament behauptet nun wahrheitswidrig – offenbar darauf abzielend, dass in der Resolution 2758 das Wort „Taiwan“ nicht verwendet wird –, die UN-Generalversammlung habe keinerlei Aussage über den Status der Insel bei den UN getroffen. Indem Beijing sich auf die Resolution beziehe, suche es „die Geschichte und internationale Regeln zu verfälschen“.[3]

Lobbyorganisation gegen China

Den Plan, mit wahrheitswidrigen Behauptungen einen umfassenden Angriff auf die UN-Resolution 2758 zu initiieren, hat bereits im vergangenen Jahr das US-Repräsentantenhaus verfolgt. Damals verabschiedete es einen Taiwan International Solidarity Act, in dem es – ganz wie jetzt in der Resolution des Europaparlaments – hieß, in der UN-Resolution 2758 werde keinerlei Aussage über die Vertretung Taiwans bei den Vereinten Nationen und ihren Organisationen getroffen. Ähnliche Entschließungen verabschiedeten am 21. August 2024 der Senat Australiens sowie am 12. September 2024 die Zweite Kammer des Parlaments der Niederlande. Mit weiteren derartigen Parlamentsbeschlüssen ist zu rechnen, denn im Sommer 2024 hat sich die Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC) des Themas angenommen. Die IPAC ist im Juni 2020 auf Initiative unter anderem des deutschen Grünen-Politikers Reinhard Bütikofer gegründet worden; zu ihren erklärten Zielen zählt es, dem Aufstieg der Volksrepublik China entgegenzutreten.[4] Sie versammelt rund 250 Abgeordnete aus etwa 40 Parlamenten, die sich regelmäßig über neue antichinesische Maßnahmen abstimmen. Das ermöglicht es, Resolutionen gegen Beijing in diversen Parlamenten parallel verabschieden zu lassen und damit den Eindruck zu erwecken, es gebe international breiten Unmut über die Volksrepublik.

Die IPAC-„Modellresolution“

Die IPAC hat Ende Juli auf einem Treffen in Taipei eine „Modellresolution“ verabschiedet, in der sie die UN-Resolution 2758 dahingehend umzuinterpretieren sucht, sie stehe einer Mitgliedschaft Taiwans „in internationalen Organisationen“, darunter auch Organisationen der Vereinten Nationen, nicht entgegen.[5] Sie plädiert zudem dafür, „Taiwans gerechtfertigte Ansprüche auf tiefergreifende Teilnahme an UN-Agenturen und darüber hinaus“ nach Kräften zu unterstützen. Wie die IPAC erklärt, geht die Verabschiedung der erwähnten Entschließung des australischen Senats auf zwei IPAC-Mitglieder zurück – auf Senator David Fawcett von den konservativen Liberals und auf Senatorin Deborah O’Neill von der Labor Party.[6] Die Entschließung der Zweiten Parlamentskammer der Niederlande wiederum gehe, heißt es weiter, auf das Parlaments- und IPAC-Mitglied Jan Paternotte (Democraten 66) zurück. Entsprechendes gilt demnach auch für die Resolution des Europaparlaments, an deren Entstehung der IPAC zufolge auch deutsche IPAC-Mitglieder führend beteiligt waren – vor allem Engin Eroglu, der für die Freien Wähler im Europaparlament sitzt, sowie der CDU-Abgeordnete Michael Gahler. In der Resolution des Europaparlaments sind zentrale Elemente der IPAC-„Modellresolution“ leicht zu identifizieren.

„Kooperationsmöglichkeiten erkunden“

IPAC-Mitglied Gahler führt aktuell eine Delegation des Europaparlaments, die am Sonntag zu einem sechstägigen Besuch auf Taiwan eingetroffen ist. Ihr gehört unter anderem auch der Abgeordnete Bernard Guetta an, der für die Macron-Partei Renaissance ins Europaparlament gewählt wurde. Auf dem Besuchsprogramm der Delegation standen bzw. stehen Gespräche mit Vizepräsidentin Hsiao Bi-khim sowie mit dem stellvertretenden Außenminister François Wu, zudem ein Abstecher ins taiwanische Parlament. Ziel ist es, einen weiteren Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Taiwan sowie „die geopolitische Lage“ zu diskutieren und „Möglichkeiten für eine künftige Kooperation zu erkunden“.[7]

Rote Linien

Indem das Europaparlament die Aufnahme Taiwans in UN-Organisationen zum Ziel erklärt und gleichzeitig mit seiner Attacke auf die UN-Resolution 2758 am Status der Insel zu rütteln beginnt, nimmt es eine allseits bekannte rote Linie der Volksrepublik China aufs Korn. Was geschehen kann, wenn man die roten Linien eines Staates missachtet, weiß man seit dem 24. Februar 2022. Dass man Krieg vermeiden kann, wenn man rote Linien achtet, ist allgemein seit Ende Oktober 1962 bekannt; damals erklärte sich die Sowjetunion bereit, auf eine von ihr ursprünglich angestrebte Stationierung von Raketen in Kuba zu verzichten, um den Frieden zu wahren. Mit Blick auf Chinas rote Linien in Sachen Taiwan werden die westlichen Staaten entscheiden müssen, welchen Weg sie wählen. Beides zu tun – rote Linien zu überschreiten und zugleich einen Krieg zu verhindern –, ist nach Lage der Dinge nicht möglich.

 

[1] Joint Motion for a resolution on the misinterpretation of UN resolution 2758 by the People’s Republic of China and its continuous military provocations around Taiwan. europaparl.europa.eu 23.10.2024.

[2] Restoration of the lawful rights of the People’s Republic of China in the United Nations. UN Resolution 2758. 25.10.1971.

[3] Joint Motion for a resolution on the misinterpretation of UN resolution 2758 by the People’s Republic of China and its continuous military provocations around Taiwan. europaparl.europa.eu 23.10.2024.

[4] S. dazu Der grüne Kalte Krieg.

[5] Initiative 2758. ipac.global.

[6] European Parliament Passes Motion on UN Resolution 2758. ipac.global 24.10.2024.

[7] European Parliament lawmakers arrive in Taiwan for visit. taipeitimes.com 28.10.2024.

Der Originalartikel kann hier besucht werden