Berlin bereitet Investitionen in seine militärische Infrastruktur in zweistelliger Milliardenhöhe vor. Die geplanten Baumaßnahmen sind eine Konsequenz der 2014 eingeleiteten Orientierung auf einen etwaigen Krieg gegen Russland.
(Eigener Bericht) – Die Bundesregierung und die Bundesländer erarbeiten auf Initiative des Bundesverteidigungsministeriums ein beschleunigtes gemeinsames Vorgehen bei militärischen Bauvorhaben und bekennen sich zur Stärkung der deutschen Streitkräfte. Mehr als 60 Milliarden Euro sollen innerhalb der nächsten Jahre in den Erhalt und den Ausbau der Liegenschaften der Bundeswehr in Deutschland fließen. Unter anderem sollen neue Unterkünfte für Soldaten entstehen; diese sind nicht zuletzt notwendig, um die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht umzusetzen. Aber auch die Anschaffung neuer Waffensysteme erfordert zum Teil neue Spezialgebäude zu deren Lagerung und Wartung. Das Bundesland Bayern hat mit dem Gesetz zur Förderung der Bundeswehr mehrere Ausnahmeklauseln für militärische Bauvorhaben verabschiedet – und nebenbei die Zivilklausel ausgehebelt, mit der sich manche Hochschulen der Forschung für militärische Zwecke verweigern. Der Ausbau der militärischen Infrastruktur steht im Kontext der Neuausrichtung der Bundeswehr auf einen Krieg gegen Russland, die Berlin bereits im Jahr 2014 eingeleitet hat.
Enormer Bedarf
Auf Initiative des Verteidigungsministeriums ebnen Bundesregierung und Bundesländer den bürokratischen Weg für umfassende Investitionen in Deutschlands militärische Infrastruktur. Dabei sollen bestehende Unterkünfte für Soldaten in den Kasernen renoviert und zusätzlich neue gebaut werden. Außerdem plant das Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben Baumaßnahmen an Ausbildungs- und Führungseinrichtungen, Flugplätzen, Hafenanlagen und insgesamt 16 Munitionslagern sowie an Krankenhäusern und „Wirtschaftsgebäuden“.[1] Für die „kommenden Jahre“ habe man „über 24 Milliarden Euro veranschlagt – für insgesamt 7.000 Bauvorhaben“, hatte das Ministerium noch im Februar bekanntgegeben.[2] Ein gutes halbes Jahr später ist bereits die Rede von „über 60 Milliarden Euro“ bis in „die 2040er-Jahre“. Nach Einschätzung des BMVg gibt es einen „enormen“, gar „gewaltigen“ Bedarf an „Erneuerung und Ausbau“ der Liegenschaften der Bundeswehr. Es sei Zeit, die „Ärmel aufzukrempeln“, erklärt Verteidigungsminister Boris Pistorius.[3]
„Aufbruchstimmung“
Um den geplanten Ausbau der militärischen Infrastruktur in der „notwendigen Geschwindigkeit“ umsetzen zu können, ist das Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben auf eine „enge Zusammenarbeit“ mit den „Ländern sowie deren Bauverwaltungen“ angewiesen. Um die Kapazitäten der Länder für seine Vorhaben zu mobilisieren, richtete das Ministerium Anfang dieses Jahres eine erste „Fachkonferenz Infrastruktur“ aus. Eine „Bund-Länder-Projektgruppe“ hat nun im September auf einer zweiten Fachkonferenz 38 Maßnahmen „zur Stärkung der militärischen Infrastruktur“ vorgestellt. Die Maßnahmen zielen vor allem auf die „Beschleunigung von Prozessen“ und die „Vereinfachung von Verfahren“ – mit dem Ziel, die „Kapazitäten“ für militärische Bauvorhaben „deutlich auszuweiten“.[4] Es gehe darum, in einem „gemeinsamen Kraftakt“ das militärische Potenzial der Bundesrepublik „schnellstmöglich zu steigern“, heißt es.[5] Im Rahmen der zweiten Fachkonferenz unterzeichneten das Verteidigungsministerium, alle Bundesländer sowie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben eine gemeinsame Erklärung, in der sie sich zu einer „föderalen Kooperation zum Zwecke der Stärkung der Bundeswehr“ bekennen. Von einer „Aufbruchstimmung bei allen Beteiligten“ ist die Rede.
Rückenwind aus Bayern
Besonders energisch treibt das Bundesland Bayern den „Aufbruch“ zum Ausbau der militärischen Infrastruktur voran und hat dazu im Juli das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ verabschiedet. Um Hemmnisse bei Baumaßnahmen an bayrischen Bundeswehrstandorten abzubauen, nimmt das Bundesland mit dem Gesetz Änderungen am Denkmalschutz- und am Landesplanungsgesetz sowie an der Bauordnung vor. Neue Ausnahmeregelungen sollen die Umsetzung militärischer Bauvorhaben erleichtern und beschleunigen. Darüber hinaus erklärt das Gesetz die Zivilklausel, mit der manche Hochschulen sich Forschungsvorhaben für militärische Zwecke verweigern, für „unzulässig“ und gibt dem Münchner Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst das Recht, Hochschulen „auf Antrag der Bundeswehr“ zu militärischer Forschung zu verpflichten. Zudem schreibt Bayern in dem neuen Gesetz die Zusammenarbeit der Schulen mit Rekrutierungspersonal der Bundeswehr fest und weitet die Zugriffsmöglichkeiten der Armee auf Schüler aus: Neben den Jugendoffizieren dürfen nun auch ausdrücklich „Karriereberater“ der Bundeswehr „im Rahmen schulischer Veranstaltungen“ Nachwuchs rekrutieren.[6]
Der „Kernauftrag“ der Bundeswehr
Wie Verteidigungsminister Pistorius erklärt, sei die militärische Infrastruktur eine „wesentliche Voraussetzung für die Schlagkraft und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte“.[7] Neben dem Material – insbesondere den Waffen – und dem Personal müssten auch die Liegenschaften der Bundeswehr an den veränderten „Kernauftrag“ der Armee angepasst werden.[8] Pistorius bezieht sich in diesem Kontext regelmäßig auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 ausgerufene Zeitenwende. Tatsächlich hat Berlin bereits im Jahr 2014 damit begonnen, den „Kernauftrag“ der Bundeswehr zu verändern und die Truppe für eine militärische Konfrontation mit Russland um- und aufzurüsten. Bis dahin hatten Interventionskriege und Aufstandsbekämpfung vor allem in Asien und in Afrika im Fokus der Aktivitäten der Bundeswehr gestanden. Ein möglicher Krieg gegen die Industrie- und Atommacht Russland stellt nun aber andere Anforderungen an die deutschen Streitkräfte als Kriege gegen schwache Staaten oder nichtstaatliche Kräfte etwa in Afghanistan oder in Mali. Zusätzlich zu Bewaffnung und Truppenstruktur will Berlin nun mit den geplanten baulichen Maßnahmen auch die Bundeswehrliegenschaften anpassen.
„Zentrale Säule“
Auch die Wiederaktivierung der Wehrpflicht, die die Bundesregierung gegenwärtig auf den Weg bringt und die einen Teil der bevorstehenden Maßnahmen zum Ausbau der militärischen Infrastruktur erforderlich macht, steht im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf eine etwaige militärische Konfrontation mit Russland. Eine aggressivere deutsche Außenpolitik, die nicht nur „Gestaltungswillen“ und Führungsbereitschaft zeige, sondern auch zu „mehr militärischem Einsatz“ bereit sei, wird schon seit mehr als zehn Jahren gefordert.[9] Die Forderung treibt die Aufrüstung wie auch den Militärhaushalt seitdem in die Höhe. Pistorius ergänzt dies inzwischen um den Anspruch, Deutschland solle die „zentrale Säule“ der konventionellen Kriegsführung in Europa werden.[10]
[1] Pistorius verkündet 38 Maßnahmen zur Stärkung der militärischen Infrastruktur. bmvg.de 24.09.2024.
[2] Zeitenwende auf dem Bau: Pistorius will Infrastrukturprojekte rascher umsetzen. bmvg.de 27.02.2024.
[3], [4] Pistorius verkündet 38 Maßnahmen zur Stärkung der militärischen Infrastruktur. bmvg.de 24.09.2024.
[5] Zeitenwende auf dem Bau: Pistorius will Infrastrukturprojekte rascher umsetzen, bmvg.de, 27.02.2024.
[6] Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 14/2024
[7] Pistorius verkündet 38 Maßnahmen zur Stärkung der militärischen Infrastruktur. bmvg.de 24.09.2024.
[8] Zeitenwende auf dem Bau: Pistorius will Infrastrukturprojekte rascher umsetzen. bmvg.de 27.02.2024.
[9] Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF). Berlin/Washington, Oktober 2013. S. auch Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
[10] Defence Minister Pistorius speaks in the Lithuanian Parliament. bmvg.de 01.10.2024. S. auch Weit gekommen.