Gespräch mit den beiden Zen-Peacemaker-Roshis, Barbara Salaam Wegmüller Roshi (Bern) und Cornelius von Collande Roshi (Würzburg), über das bevorstehende Auschwitz-Retreat im November 2024 vor dem Hintergrund des aktuellen Kriegs im Nahen Osten. Es wurde im Mai 2024 geführt, deshalb wird hier nur der Krieg in Gaza und nicht im Libanon angesprochen.

Liebe Barbara, lieber Cornelius, über die wichtigste Veranstaltung der Zen-Peacemaker, das jährliche Auschwitz-Retreat, ist schon viel geschrieben und gesprochen worden. Ich möchte dieses Gespräch nun nicht rückblickend, sondern im Hier-und-Jetzt beginnen.
Daher meine erste Frage an Euch: Was konkret bedeutet das Zazen-Sitzen auf der Selektionsrampe, das Rezitieren der unzähligen Namen der im KZ Birkenau ermordeten Kinder, Frauen und Männer … heute und hier in der Schweiz und Deutschland für Euch?

Barbara: Es bedeutet für mich heute, immer tiefer hinzuschauen, hinzuspüren, was geschieht, wenn Menschen sich einander abwerten, das Recht auf Leben absprechen, mit Hass und Trennung reagieren … zu was sie dann fähig sind. Und das geschieht ja immer und überall nach ähnlichen Mustern.

Also kann man sagen, ohne die historisch einzigartige Dimension von Auschwitz anzuzweifeln, ist dennoch das Grundmuster, das auch hinter dieser Unmenschlichkeit steht, auf dieser Welt ständig präsent?

Barbara: Ja, es ist ständig da und meine einzige Antwort, die ich bis jetzt nach all den Jahren dort sitzen habe, ist einfach: NIE WIEDER – FÜR ALLE!

Was bedeutet es im Jahr 2024 für Dich, Cornelius?

Cornelius: Ich erfahre mich während des Auschwitz-Retreats als Teil einer Bewegung, die immer wieder aufs Neue versucht MIT GRÖSSTER OFFENHEIT eine Haltung des INTIMEN BEGREIFENS einzunehmen und aus dieser Haltung dann zu tun, was zu tun ist – ohne daraus ein „DING“ zu machen. Das ist, etwas technisch ausgedrückt, „Prozessorientiert“, also immer wieder am Hier und Jetzt orientiert und nicht an einem starren Ziel. Es geht also um ein HANDELN aus größtmöglicher Offenheit und Verbundenheit. Und das immer wieder, im Großen wie im Kleinen.

„Nie wieder – für alle!“

Cornelius (2. von re.) im Gespräch auf dem KZ-Gelände.

Ich habe mit meiner Frau Blandina eine Art Spiel daraus gemacht, indem wir – wenn wir uns beim „Meckern“ über Andere erwischen – immer wieder sagen: „So wie wir“. So waren wir an einem wunderbaren Ort auf La Palma und plötzlich hielt dort ein Bus voller Touristen und „verdarben“ uns den Genuss. Wir sahen uns an und sagten lachend: „So wie wir“.

Bernie Glassman Roshi, der Begründer des Zen-Peacemaker-Ordens und Euer beider Lehrer, hat gemeinsam mit Jishu Holmes, Eve Marko und Andrezej Krajewski 1996 das Auschwitz-Retreat ins Leben gerufen. In seinem Buch „Zeugnis ablegen – Buddhismus als engagiertes Leben“ schreibt er über seine Vision des Retreats an einem Ort, der zum Sinnbild für die Ausrottung aller Unterschiedlichkeit geworden war: „Ich war mir sicher, dass eine solche Begegnung heilend wirken würde. In welcher Form das geschehen würde, war mir nicht klar.“
Wie habt Ihr beide Euer erstes Auschwitz-Retreat erlebt? Was hat Euch am stärksten beeindruckt?

Cornelius: Das war für mich 2011. Ich hatte meine Vorstellungen über einen Ort des Schreckens, aber was ich fand war ein „heiliger“ Ort. Ein Ort, an dem Trauer und Freude, Verzweiflung und Hoffnung, Hass und Liebe, Weinen und Lachen auf unfassbare Weise miteinander verwoben sind. Ein Ort, der ständig dein Sein in Frage stellt, ein Ort, der dich nicht auslässt, der dich nicht zur Tagesordnung übergehen lässt. Ein Ort, der Frieden stiftet.

Barbara: Bei mir war das 1999 und ich wusste viel über die Geschichte von Auschwitz, weil in unserer Familie, schon als ich noch ein Kind war, viel darüber gesprochen wurde. Meine Eltern waren auch tief bewegt davon und da habe ich schon ganz früh, etwa mit sieben Jahren, mal in einer Zeitung ein Bild gesehen und ich habe gesehen, wie meine Mama davon tief erschüttert war… ich hab sie dann gefragt, was das ist und sie hat mir dann gesagt:

„Diese Mama und die Kinder werden in den Tod geschickt.“ Und in diesem Moment wusste ich irgendwie, dass die Welt kein sicherer Ort ist. Das war für mich etwas Erschütterndes und ich habe dann auch jedes Jahr dieses Bild in Auschwitz wieder gesehen und bin eigentlich da auch immer wieder innerlich zusammengebrochen … und in meinem ersten Auschwitz- Retreat habe ich ganz viel geweint. Es hat mich so traurig gemacht, was ich da gesehen hab, dass so etwas Menschen möglich ist. Ich war total erschüttert.

„Nie wieder – für alle!“

Barbara leitet die Zeremonie in der Kinderbaracke

Barbara leitet die Zeremonie in der Kinderbaracke

Und ich glaube auch, dass es ein Teil der Heilung ist, dass man sich dem Leid zuwendet. Und das wirklich auch spürt und erlebt und dadurch auch immer klarer sieht. Dieses KLAR SEHEN ist ein wichtiger Teil einer Heilung, die nicht einfach ist, aber die uns GANZER macht, weil wir Menschen eben Teil solcher Geschichte sind.

Also „klar sehen“ im Sinne, dass ich deutlich sehe, was Menschen anderen Menschen alles antun können?

Barbara: Genau. Und natürlich dann im Laufe der Jahre auch, immer subtiler auch meinen eigenen Täterteil zu sehen. Auch wenn ich nur die Blattläuse auf meinen Rosen eliminiere, ist das ja schon eine Form von Selektion. Dieses immer subtiler zu sehen, wie wir trennen … und dann Entscheidungen fällen – im Großen und im Kleineren. Und dies immer klarer IN SICH zu sehen, auch in Begegnungen mit Menschen, wo ich dann lerne – das habe ich vor allem in den Straßen-Retreats gelernt – was ich mir so denke, z.B. bevor ich jemanden anbettle.

Das ist dann eben auch in Auschwitz so, wenn wir den verschiedenen Stimmen zuhören, den Kindern und Enkelkindern von Tätern, von Kindern und Enkelkindern von Menschen, die da in einem Genozid gestorben sind. Da kommen wir diesem generellen Leiden viel näher und das macht uns auch mitfühlender für das Ganze.

Wirkte und wirkt denn diese Begegnung für Euch tatsächlich heilend – in welchem Sinne von Heilung – und dies auch heute noch?

Barbara: Ich glaube, für eine Heilung ist es sehr wichtig, dass wir eine Woche lang da bleiben… Weil nur so ein kurzer Besuch, wo man diesem Schrecken begegnet und dann gleich wieder weggeht, ist sicher ganz anders, als wenn man mit einer Gruppe völlig unterschiedlicher Menschen über eine längere Zeit da ist und sich über mehrere Tage immer wieder miteinander austauscht, miteinander die Namen der Opfer liest, miteinander auf dem Platz friert oder schwitzt, … das ist einfach schon eine ganz besondere Erfahrung.

Cornelius: Es gibt in Israel und Palästina Organisationen, in denen sich Israeli und Palästinenser zusammensetzen, um GEMEINSAM ihre – von der jeweils anderen Seite – getöteten Kinder betrauern. Sie erkennen also, dass sie etwas gemeinsam haben, was bedeutender ist als ihre Unterschiede.

In diesem Sinne BEZEUGEN wir in Auschwitz – GEMEINSAM – das unendliche Leid, das Menschen Menschen antun. Wir kommen nach Auschwitz mit Menschen verschiedenster Hintergründe: Juden, Christen, Muslime, Israeli, Palästinenser, Nachkommen von Opfern, Nachkommen von Tätern, etc. Ich erlebe dort immer wieder, dass Menschen, die am Anfang nicht einmal die Sprache des Anderen ertragen können, sich am Ende des Retreat in den Armen liegen. Das ist echte Friedensarbeit!

Wir leben in einer Zeit, in der Kriege und damit verbunden die Tötung unzähliger unschuldiger Kinder, Frauen und Männer Tag für Tag stattfindet. Einer dieser Kriege findet seit Oktober 2023 im Nahen Osten zwischen der israelischen Regierung und dessen Militär und der palästinensischen Terrororganisation Hamas statt – mit inzwischen Tausenden Opfern der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten.
Beeinflusst dies irgendwie Eure Vorbereitung auf und Erwartungen an das vom 17.-23. November bevorstehende Auschwitz-Retreat? Wird es im Vergleich zu den Vorjahren deshalb Veränderungen geben?

Cornelius: Das unendliche Leid, das die Menschen im Nahen Osten gerade erfahren beeinflusst natürlich das ganze Retreat. Und gerade deshalb wird das diesjährige Retreat wichtiger denn je sein. Wir versuchen allerdings nicht schon im Voraus Veränderungen zu beschließen, sondern werden, wie in allen Jahren, das Retreat achtsam begleiten und alles Nötige zu bewirken, wenn es dran ist.

Barbara: Es ist sicher alles nochmals schwerer in meinem Herzen, ich bin auch sehr mit den Palästinensern verbunden. Wir, d.h. die schweizerische Peacemaker-Gemeinschaft, hat auch mehrere Jahre immer palästinensische Freunde mit zum Retreat nach Auschwitz eingeladen… und das hat auch schon manchmal zu Turbulenzen mit anderen Teilnehmern geführt – ein Rabbi hat etwa gemeint, das ginge überhaupt nicht, dass Palästinenser an diesem Platz sein dürfen – und ich stelle mich deshalb schon mal auf heftige Diskussionen ein.

„Nie wieder – für alle!“

Barbara mit dem Friedensaktivisten Sami Awad, Gründer der Organisation Holy Land Trust (West Bank), ihr Ehemann Roland, Ovido Waldemar, Psychiater aus Brasilien, in Bethlehem (v.l.n.r.).

Der Schmerz ist immens. Ich mache ja seit längerem auf der Peacemaker-Homepage ein Gaza-Council, weil ich von Beginn dieses Krieges an gesagt habe: „Wir können nicht immer nur ein Zeugnis-ablegen-Retreat machen, wenn das Drama schon vorbei ist – es läuft jetzt, in diesem Moment, und da müssen wir auch jetzt Zeugnis ablegen!“ Und das wird sicher auch Thema beim nächsten Auschwitz-Retreat sein. Und es muss es auch sein, weil die Geschichten miteinander verwoben sind … auch wenn jede einzelne Geschichte ihre eigenen dramatischen Konsequenzen hat, ist das, was gerade geschieht, ja auch eine Folge des israelischen Staates in Verbindung mit der aktuellen israelischen Regierung. Mit dieser rechtsextremen Regierung habe ich das kommen sehen, es war zu erwarten, dass es eskalieren wird. Und was jetzt passiert, ist natürlich furchtbar, und ich finde es sehr belastend und traurig.

Werden denn zu diesem Retreat auch Palästinenser kommen?

Barbara: Wir wollen uns bemühen, dass es möglich wird, auch dieses Jahr jemand aus der West Bank beim Retreat zu haben. Ob es uns gelingen wird, ist natürlich nicht sicher. Es wäre allerdings sehr wichtig. Ich glaube aber, das was seit Oktober dort geschieht, zu heilen, wird eine sehr lange Zeit brauchen – einige Generationen.

Wir leben hier in Deutschland auch in einer Gesellschaft, die sich allem Anschein nach zunehmend spaltet und auch spürbar radikalisiert. Egoismus, Intoleranz und sogar Gewalt gegen Menschen mit anderer Meinung, anderen Werten, sind hier leider fast schon an der Tagesordnung. Bernie Glassman hat seinerzeit als ersten Grundsatz der Zen-Peacemaker das „Not-Knowing“, das „Nichtwissen“ formuliert. Mein vermeintliches „Wissen“ nicht als absolut zu setzen und alle anderen Überzeugungen demgegenüber als „falsch“ abzulehnen und zu bekämpfen … Geht das im Blick auf das Leiden im Nahen Osten überhaupt?

Cornelius: „Nichtwissen“ im Sinne der Zen-Peacemakers verstehe ich nicht im Sinne von „Keine Ahnung“. Für mich bedeutet es vielmehr GRÖSSTMÖGLICHE OFFENHEIT auf der Basis eines reflektierten Wissens. Es macht einen Unterschied, ob ein Kind nichts weiß, oder ein Erwachsener für einen Moment still sein gesamtes Wissen zurückstellt und erst einmal die Situation bewusst wirken lässt.

In diesem Sinne ermöglicht „Nichtwissen“ eine angemessene Antwort (und keine bloße Reaktion!) auf die Umstände. Eine Antwort, die gerade durch die Haltung von Nichtwissen sehr klar sein kann. Ein klares „Ja“, ein klares „Nein“. Klare Grenzen, und auch klare Öffnung.

Cornelius beim Retreat im Benediktushof.

Barbara: Für mich ist es auch wichtig, den Raum möglichst weit aufzumachen und alle Seiten wahrzunehmen und hinzuschauen. Was es sicher nicht sein darf, ist, dass es eine spirituelle Umgehung ist, deshalb haben wir daneben ja auch das „Zeugnis ablegen“ – da braucht es Stimmen und eine Meinung einzunehmen und auch klare Botschaften auszusprechen. Dann ist es hilfreich, denke ich. Wenn es uns nicht in einen leeren Raum bringt, wo wir dann stumm bleiben. Das kann ja nicht das Ziel sein. Das ist auch eine Gefahr, denn manchmal wird „Nichtwissen“ auch falsch verstanden …

Wie können wir Eurer Meinung nach in einer Informationsgesellschaft und zunehmenden „fake news“ diese Haltung des „Not-Knowing“, eines grundsätzlichen selbstkritischen Infrage-Stellens von festen Überzeugungen, leben? Können wir als Peacemaker mit unserer Grundhaltung hier vielleicht sogar „pädagogisch“ wirken?

Barbara: Im Buddhismus ist ja gerade Weisheit ein ganz wichtiger Aspekt. Und dazu gehört für mich auch die Information auf verschiedenen Seiten, Offenheit und auch echtes Interesse, sich von verschiedenen Seiten informieren zu lassen … und natürlich auch den gesunden Menschenverstand nicht zu vergessen. Und dabei immer im Hinterkopf zu haben, dass es alles nur Meinungen, verschiedene Sichtweisen, sind.

Die beiden anderen Grundsätze, „Bearing Witness“, Zeugnis abzulegen, und das aus dem Nicht-Wissen und Zeugnis-Ablegen entstehende Handeln stehen angesichts der aktuellen Kriegs- und Krisensituationen auch ständig unter „kritischer Bewertung“. In Wort und Tat Partei für unschuldige Opfer zu ergreifen, wird zunehmend öffentlich diskreditiert. Im Handumdrehen ist man nach einer entsprechenden kritischen Aussage oder Teilnahme an einer Veranstaltung „Antisemit“ oder „naiver Friedensapostel“ …

Barbara: Ich kenne das schon seit Jahren, dass, wenn man danach fragt, wie es den Palästinensern geht … allein schon, wenn man daran denkt, was hinter den Mauern dort passiert, man sehr oft schon als Antwort bekommt, das ist antisemitisch. Das habe ich selbst immer wieder erlebt. Andererseits ist es genau das, was ich in Auschwitz gelernt habe, dass gerade die schweigende Mehrheit ein großer Teil des Verbrechens, der Taten, war. Und da habe ich mir selbst versprochen, trotz der Anschuldigungen davon zu sprechen. Natürlich ist es sehr schwierig.

Ich verfolge auch die Diskussionen an der UNO und da ist schon diese unglaubliche Arroganz, die da von den Vertretern der israelischen Regierung daherkommt und immer diesen Vorwurf von Antisemitismus … Und ich muss schon sagen, ich finde es äußerst schwierig, damit umzugehen und auch äußerst schwierig, wie von vielen Regierungen – auch von unserer Schweizer Regierung – wie damit Zurückhaltung und Angst umgegangen und geschwiegen wird – aus Angst vor diesem Vorwurf. Ich denke, für Euch Deutsche ist es nochmal viel schwieriger, aber von unserer Regierung würde ich mir schon sehr viel mehr eine Meinung und ein sich Einsetzen für humanitäre Rechte und für das Völkerrecht wünschen. Dass die Verletzung dieses Völkerrechts viel klarer ausgesprochen würde und auch Folgen haben sollte – so dass man klar sagen sollte: „SO NICHT!“. Denn das Töten von so vielen Kindern und Zivilisten ist für mich inakzeptabel.

Worin seht Ihr gerade jetzt die fundamentale Bedeutung dieser drei Grundsätze der Zen- Peacemaker und – um den Bogen wieder zurück zum Beginn unseres Gesprächs zu schlagen – was kann für Euch ganz konkret das Auschwitz-Retreat dazu beitragen?

Cornelius: Meiner Ansicht nach ist es im Nahen Osten wichtig, die Politik eines Landes, einer Partei von den einzelnen Menschen zu unterscheiden. In diesem Sinne erlaube ich mir, Politik klar zu verurteilen und das Leiden der Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität, zu bezeugen. … Wenn es also in Auschwitz – anhand des dort entstandenen Leidens – um das Erkennen und Bezeugen geht, dass unsere Gemeinsamkeiten bedeutender als unsere Unterschiede sind, so kann uns das zu wahrem Mitgefühl und zu mitfühlendem Handeln mit den Leidenden bewegen.

Barbara: Das Auschwitz-Retreat ist immer etwas auf Messers Schneide. Wir müssen ganz genau hinschauen, dass wir nicht vereinnahmt werden – mit einem politischen Missbrauch des Traumas von Auschwitz.

Es ist wirklich nur hilfreich, wenn man es als tiefe spirituelle Praxis ansieht, die Frage zu stellen: „Was tun wir uns als Menschen gegenseitig an?“ – und dass wir daraus lernen. Aber sobald es dann heißt: „Nie mehr – nur für uns!“ … dann wird’s gefährlich. Und das sollte man immer ganz deutlich aussprechen, das finde ich ganz wichtig.

Wenn wir zurückkommen auf den 7. Oktober, das war ganz furchtbar. Diese Terrorakte beinhalteten auch ganz viel sexualisierte Gewalt gegen Frauen vor allem – ganz schlimm, was den Menschen da angetan wurde und trotzdem kann man da nicht einfach eine ganze Zivilbevölkerung töten, verhungern lassen, verletzen … Und das finde ich eben ganz wichtig, dass wir genau hinschauen auf die einzelnen Geschichten und das Leid anerkennen und eine Meinung dazu haben und diese auch äußern. Dass wir aber trotzdem da sind, um Leiden überall zu vermindern! Und, wenn möglich, mehr Weisheit und mehr Mitgefühl in diese unglaublich schlimmen Ereignisse reinzubringen.

Das ist viel Seelenarbeit und braucht ganz viel Kraft.

Ist Leiden denn quantifizierbar? Wenn ein Kind von einem Bombensplitter getroffen wird oder verhungern muss, ist das weniger dramatisch, als wenn ein ganzes Dorf oder eine Stadt ausgelöscht wird?

Barbara: Das denke ich eben nicht. Jedes Leiden ist einfach Leiden. Und jede Familie, die davon betroffen ist, muss mit diesem Leiden auf eine bestimmte Art umgehen.

Mögen wir fähig werden, mehr Weisheit und mehr Mitgefühl zu kultivieren, vor allem auch im Hinblick auf die vielen Toten, die da sind. Denen sind wir etwas schuldig und das heißt für mich, dem Leben zu dienen und das Leben zu fördern. Und auch auszusprechen, wenn wir sehen, dass dies nicht geschieht.

Vielen Dank Euch beiden für das Gespräch!

Das Gespräch führte Michael Hock, Zen-Peacemaker-Praktizierender seit 2022 (Wellen- und Raben-Sangha) und M.A. phil Philosophie / Psychologie. Das Interview erschien in verkürzter Form in Buddhismus Aktuell 4/2024 und ist jetzt in voller Länge auf Raben-Sangha.de zu lesen.

Anmeldungen zu dem Retreat sind noch möglich unter https://zenpeacemakers.org/programs/auschwitz-birkenau-bearing-witness.

Der Originalartikel kann hier besucht werden