Eine Gruppe von Menschen aus Syrien hilft, nach der Hochwasser-Katastrophe in Niederösterreich aufzuräumen. Vor Kurzem noch als “Flüchtlinge” bezeichnet, werden sie jetzt “Helfer” genannt. Wie werden sie empfangen? Eine Reportage von vor Ort.
von Yasmin Maatouk
Als ich in Kritzendorf ankomme, ziehe ich mir meine Gummistiefel an und schaue mich verlegen um. Mir wird klar, dass ich die Einzige bin, die welche trägt. Plötzlich ertönt ein Alarm. Für einen Moment schreckt mich das. Doch die Männer um mich bleiben ruhig. „Keine Sorge“, sagt einer von ihnen, „es ist nur ein Probealarm.“
Abdul, ein Syrer, erklärt mir, dass ihm solche Sirenen vertraut sind – schon viel länger. Er spricht vom Krieg. „Wir haben alles verloren“, sagt er. Seine Stimme ist dabei ruhig, aber doch merkbar voller Schmerz. „Unsere Heimat liegt in Trümmern, und uns blieb nur der Schutt.“
Es ist eine andere Art von Zerstörung, von der er spricht, als die hier in Kritzendorf. Das Hochwasser im September hat die Keller, Gärten, Häuser und Felder hier in Niederösterreich überschwemmt. Swimming Pools sind voller Schlamm. Böden sind unter der dicken Schicht kaum noch zu erkennen. Überall laufen die Bagger, Menschen schaufeln, um ihre Grundstücke wieder freizulegen. Der Schlamm klebt zäh an allem, was ihm im Weg stand.
@moment_magazin Vor kurzem noch als „Flüchtlinge“ bezeichnet, werden sie jetzt vor Ort „Helfer“ genannt. Sie wollen nach ihrer Flucht nach Österreich ihre Dankbarkeit zeigen. Aber nicht alle meinen es gut mit ihnen. Warum sie dann trotzdem hunderte organisieren und mitanpacken? Das erfahrst du in der Reportage von @Yasmin Maatouk. Link in Bio! #geflüchtete #hochwasser #katastrophengebiet #reportage #diskriminierung #reclaimtiktok
Die syrischen Helfer:innen wissen, wie es ist, alles zu verlieren
Abdul und die anderen aus seiner Gruppe wohnen hier nicht. Sie sind seit der Katastrophe an vielen Tagen ausgerückt, um beim Aufräumen mitzuhelfen. Während er das gerade tut, erzählt er mir vom Mittelmeer. Zu fünfundvierzigst saßen sie bei der Flucht nach Europa eng zusammengedrängt in einem Schlauchboot, die Beine taub, die Gesichter angespannt. Sie alle wollten dasselbe: In Frieden leben, frei von Angst und Verfolgung.
Doch der Weg in den erhofften Frieden war auch erst einmal furchterregend. Sie wussten, dass dieser Traum am Meer einen hohen Preis fordern konnte – den höchsten. Und das tat er. Die Wellen wurden stärker. Trotz aller Anstrengungen kippte das Schlauchboot um. Abdul musste mit ansehen, wie es unterging, zusammen mit vierzig Menschen, die bis zuletzt gekämpft hatten – nicht nur ums Überleben, sondern um die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Während um ihn herum Menschen im Wasser verschwanden, schwamm Abdul mit letzter Kraft zwei Kilometer zur Küste Griechenlands – getrieben von purer Verzweiflung, aber auch vom unbändigen Willen zu überleben. Es ist Jahre her. Aber die Bilder dieses Tages verfolgen ihn. „Ich würde das nie wieder machen … Aber wenn man keine Möglichkeit hat … Es war ein Versuch, aber ein verrückter Versuch.“
Nun aber steht Abdul hier, Seite an Seite mit anderen syrischen Helfer:innen, die sich nach der Hochwasserkatastrophe organisierten, um beim Aufräumen zu helfen. Besonders gut ausgerüstet sind sie nicht dafür. Sie tragen keine Gummistiefel – nur teilweise haben sie Handschuhe, viele arbeiten mit bloßen Händen. Ihre Warnwesten scheinen ein Zeichen der Sicherheit zu sein. Ich frage mich, ob sie auch dazu dienen, als “Ausländer” weniger bedrohlich wahrgenommen zu werden. Abdul wirklich danach zu fragen, ist mir aber ehrlicherweise zu unangenehm.
Wie reagieren die Anrainer:innen?
Ich will wissen, wie die Menschen hier über die Hilfe denken. In einem Garten treffe ich eine alte Frau, die ruhig und konzentriert dabei ist, das Chaos um sie herum zu ordnen. Es sei nicht das erste Hochwasser, das sie miterlebt hat. Aber es ist das erste, bei dem so viele „Helfer“ gekommen sind. „Früher haben wir das allein gemacht“, erklärt sie. Man spürt ihre Dankbarkeit, doch als sie sich kurz umblickt, schwingt auch etwas anderes mit.
Bei der Frage, ob sie je Kontakt zu Geflüchteten gehabt hat, schüttelt sie den Kopf. Aber ohne groß zu zögern, beginnt sie ihre Ansichten zu schildern. Sie sagt dabei nicht, woher sie diese hat. Aber wer österreichische Medien und politische Kampagnen in den vergangenen Monaten verfolgt hat, kann es vermuten. „Die meisten Ausländer nutzen unseren Sozialstaat aus“, sagt sie, während einige davon gerade im Nachbargarten freiräumen. Viele junge Geflüchtete, die herkommen, würden hier ja nicht arbeiten, sagt sie. Dass die Menschen hier helfen, findet sie aber super. Alleine würde sie es nicht schaffen, gesteht sie. Aber trotzdem: „Die sollten ihr Land nicht verlassen. Wir sind ja auch während des Krieges in Österreich geblieben.“
An einer anderen Stelle des Gesprächs, verrät sie, dass sie für sich eine Entscheidung getroffen habe. „Ich kann nicht mehr“, sagt sie leise. „Dieses Mal war es zu viel. Ich werde das Dorf verlassen. Ein weiteres Hochwasser schaffe ich nicht.“ Ihre Worte über „Ausländer“ überraschen mich nicht. Die Diskrepanz zwischen ihrer Dankbarkeit für die Helfer und den tief sitzenden Vorurteilen ist spürbar, aber nicht ungewöhnlich. Alte Denkmuster sind hartnäckig – sogar wenn sich vor den eigenen Augen gerade ein Widerspruch abspielt. Ich nicke höflich und verabschiede mich.
Nicht alle sehen es so. Eine andere Frau arbeitet in ihrem Garten mit der Schaufel. Wie sie es findet, dass gerade die Menschen mit anpacken, gegen die so oft gehetzt wird? Sie lächelt bitter. “Es ist bezeichnend”, beginnt sie. “Natürlich ist es doch egal ob Österreicher, Syrer oder Türken oder Chinesen. Du kannst doch nicht ein ganzes Volk, nicht eine ganze Kultur generalisieren. Hier ist es natürlich doppelt und dreifach rührend. Diese Menschen wollen sich dafür bedanken, dass wir sie aufgenommen haben in Österreich. Und wenn ich daran denke, was sie sich von gewissen Politikern manchmal anhören müssen, finde ich es ein großes Stück, dass sie heute da waren. Ich weiß nicht, ob ich mich so verhalten würde, wenn ich hierher geflüchtet wäre, nur um mit Hass überschüttet zu werden.“
Das Gefühl, sich beweisen zu müssen
Wieder zurück bei den Helfern frage ich, ob sie das Gefühl haben, dass sie mehr leisten müssen, um wirklich akzeptiert zu werden. Sie schauen mich ruhig an, nicken fast gleichzeitig und sagen im Grunde alle dasselbe: „Es ist wichtig, sich zu integrieren. Wir wollen zeigen, dass wir dankbar sind, hier zu sein.“
Ihre Antwort wirkt, als hätten sie diese Worte schon oft gesagt. Es ist nicht nur ein Wunsch nach Integration, sondern auch der tief verinnerlichte Druck, sich ständig beweisen zu müssen, um einigermaßen akzeptiert zu werden. Während meist der eigene Name nicht einmal richtig geschrieben und ausgesprochen wird, hat man zu gefallen, und wird einen Generalverdacht als “fauler Ausländer” doch nie ganz los. Nicht einmal hier, wo sie so viel leisten – und helfen, wo sie können. Nicht einmal hier verschwindet er.
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