Die traditionelle Friedensbewegung zeigt, dass sie nach wie vor eine kraftvolle Stimme in gesellschaftlichen Debatten ist und in der heutigen Zeit sogar neue Impulse erhält. Reiner Braun, Mitglied des Organisationsteams, sprach sogar von einer „Revitalisierung“ der Bewegung.

Mehr als 40.000 Menschen nahmen an einem Sternmarsch teil, der von drei verschiedenen Sammelpunkten zur Siegessäule in Berlin führte. Die Atmosphäre war friedlich, aber dennoch von einer kraftvollen Dringlichkeit geprägt. Hier versammelten sich Frauen und Männer, Jung und Alt, die wussten, worum es geht und was auf dem Spiel steht.

Hinter der bundesweiten Mobilisierung für diese Friedensdemonstration am Tag der Deutschen Einheit stand ein großer Kraftakt, insbesondere in dieser politisch polarisierten Zeit. Die Organisator*innen haben es geschafft, eine Brücke über die politischen Lager hinweg zu schlagen. Bei der Abschlusskundgebung sprachen prominente Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Parteien, darunter Gesine Lötzsch (MdB, Die Linke), Ralf Stegner (MdB, SPD), Peter Gauweiler (CSU) und Sahra Wagenknecht (MdB, BSW). Die zentrale Botschaft war klar: Um Frieden zu schaffen oder zumindest das Schlimmste zu verhindern, müssen besonnene Stimmen aus allen politischen Lagern zusammenkommen.

Allein schon dafür, dass die Organisator*innen diese schwierige Aufgabe gemeistert haben, muss man ihnen ein Kränzchen winden. Ob die politische Breite der Bewegung letztlich zur Mobilisierung beigetragen hat oder hinderlich war – angesichts der heutigen Tendenz, sich reflexartig abzugrenzen und Andersdenkende auszugrenzen – bleibt offen und sollte auch nicht das entscheidende Kriterium sein.

Die Friedensbewegung hat das Maximale herausgeholt, was in der heutigen Zeit an friedensbewegten Menschen auf die Straße zu mobilisieren ist. Dennoch können die Friedensbefürworter*innen sicher sein, dass sie breite Unterstützung in der Bevölkerung haben. Dass sich dies nicht in größerer Präsenz auf der Straße zeigt, hat viele Gründe.

In zwei zentralen Punkten herrschte unter allen Rednerinnen und Rednern Einigkeit: Die Ablehnung der Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland sowie die dringende Forderung nach Verhandlungen zur sofortigen Beendigung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten.

Mit Ausnahme des Sozialdemokraten Ralf Stegner, der offensichtlich einen Balanceakt zwischen der Unterstützung für eine Friedenspolitik und der Loyalität zu Bundeskanzler Olaf Scholz zu vollziehen versuchte, was ihm gründlich misslang. Gleich zu Beginn seiner Rede stellte er klar, dass es richtig sei, die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung zu unterstützen, und rechtfertigte damit die Waffenlieferungen. Diese Aussage wurde jedoch lautstark mit Buhrufen quittiert. Als er später wiederholte, dass Deutschland alles tun müsse, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten, half auch der Appell der Moderatorin Wiebke Diehl nicht mehr, dass man sich trotz unterschiedlicher Meinungen zuhören müsse. Die Versammelten hatten schlicht keine Geduld mehr, dieselben Argumente zu hören, die täglich von den Mainstreammedien verbreitet werden.

Lob erhielt Stegner hingegen von CSU-Urgestein Peter Gauweiler, der anmerkte, dass Stegner es in dieser Situation deutlich schwerer habe als er selbst, und ihm Respekt zollte. „Wir bräuchten mehr Stimmen im Bundestag, die sich in diese Richtung äußern“, fügte Gauweiler hinzu.

Gauweiler sorgte mit seiner Rede für Erstaunen und Begeisterung im Publikum. „Wir sind seit einiger Zeit dabei, ein Versprechen zu brechen, das man als das Gründungsversprechen der Bundeswehr bezeichnen kann: Streitkräfte nur zur Landesverteidigung aufzustellen,“ betonte er. „Wenn die Bundeswehr den ersten Schuss abgibt, hat sie ihren Auftrag verfehlt,“ zitierte Gauweiler den früheren Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß anlässlich dessen 70. Geburtstags zur Rolle der Bundeswehr.

Gauweiler erinnerte daran, dass die Regierung Kohl sich geweigert hatte, auch nur einen einzigen Bundeswehrsoldaten – selbst unter UN-Blauhelmen – nach Jugoslawien zu schicken. Seit den 1990er Jahren, so Gauweiler weiter, führe Deutschland jedoch Kriege außerhalb der Landesverteidigung, angeblich „für unsere Werte“. Die Bilanz dieser Einsätze sei verheerend: Die Nutzlosigkeit dieser Kriege stehe in einem umgekehrten Verhältnis zu den hohen Opferzahlen. In den westlichen Kriegen seit 1999 seien über eine Million Menschen ums Leben gekommen.

Mit der Aussage „Richter wissen, dass man auch mit der Wahrheit lügen kann. Das gilt auch für die Europäische Union. Sie war als Fundament für ganz Europa gedacht und nicht als Bodenteiler einer neuen Spaltung und Brüssel weiß am besten, dass es nicht richtig ist, die Schuld an der Vorgeschichte dieses Konflikts nur einer Seite anzulasten, weil dies nicht den Tatsachen entspricht.“, brachte er die Doppelmoral für viele Anwesende auf den Punkt.

Auch Sahra Wagenknecht sprach Stegner ihren Respekt aus, hier gesprochen zu haben, fügte jedoch hinzu, dass die SPD unter Scholz und Pistorius sicherlich nicht Teil der Friedensbewegung sei. „Ich bin jedoch froh über jede Stimme in der SPD, die sich für einen anderen Weg ausspricht. Wir brauchen diese Stimmen, damit die Linie von Scholz, Pistorius und anderen, die blind das tun, was ihnen in Washington vorgegeben wird, nicht fortgeführt wird.“

Wagenknecht ging zudem auf den Tag der Wiedervereinigung ein, an dem die Demonstration stattfand, und dankte Michail Gorbatschow, der die Wiedervereinigung und den Umbruch in ganz Osteuropa ermöglicht hatte. „Die Sowjetunion zog ihre Truppen zurück, ohne dass ein Schuss fiel und ohne dass man sie dazu zwingen konnte. Sie reichte die Hand zum Frieden.“

Sie stellte jedoch auch die Frage: „Wo stehen wir heute, dreißig Jahre später? Wieder in einer Welt, die in Flammen steht – im Nahen Osten droht ein großer Krieg, in der Ukraine tobt seit zweieinhalb Jahren ein schrecklicher Konflikt, der sich zu einem großen europäischen Krieg ausweiten könnte.“

Besonders empört zeigte sie sich über die mögliche Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. „Uns wird erzählt, das sei normal und es gebe keinen Grund zu protestieren. Mein Gott, das ist doch Wahnsinn!“

In Richtung Außenministerin Annalena Baerbock, die das Wahlergebnis in Ostdeutschland als Sicherheitsrisiko bezeichnet hatte, sagte Wagenknecht: „Diejenigen, die auf militärische Lösungen setzen und uns immer tiefer in Kriege hineinziehen, sind das eigentliche Sicherheitsrisiko für unser Land.“

Auch wenn die Friedensbewegung heute nicht wie 2003 gegen den Irakkrieg eine Million Menschen auf die Straße bringt, bedeutet das nicht, dass sie nicht tief in der Bevölkerung verankert ist. Der Einsatz lohnt sich, wie der Donnerstag eindrucksvoll gezeigt hat. Der Frieden ist noch nicht verloren.

Fotos von Reto Thumiger, Pressenza