Die deutsche Armee erklärte jetzt öffentlich, sie stehe in den „Traditionen“ von Hitlers Wehrmacht und zog hierfür explizit als „traditionsstiftende, identifikationsschaffende und stärkende“ Beispiele Nazigeneräle aus dem Dritten Reich heran.
Die Bundeswehr veröffentlichte im Geiste ihrer angestrebten Kriegstüchtigkeit am 12. Juli „Ergänzende Hinweise zu den Richtlinien für das Verständnis und die Pflege von Traditionen in der Bundeswehr“ als Erweiterung der Version des Traditionserlasses aus dem Jahr 2018. Unterzeichnet wurde das Dokument von Generalleutnant Kai Rohrschneider, dem Leiter der Abteilung Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte (EBU) im Verteidigungsministerium (BMVg). Darin werden Spitzenoffiziere der Nazi-Wehrmacht ausdrücklich als „traditionsbildend“ und „identitätsstiftend“ für die Bundeswehr benannt und zu Vorbildern mit „militärischer Exzellenz“ heroisiert.
Während es bisher noch vor allem um die Erfahrungen der internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr ging, liegt der Fokus der neuen „Ergänzenden Hinweise“ explizit auf den Wehrmachtssoldaten:
„Der Traditionserlass lässt ausdrücklich die Übernahme von vorbildlichen soldatischen Haltungen und Handlungen aus anderen Epochen – einschließlich des Zweiten Weltkrieges – zu. Darunter fallen nicht nur diejenigen Angehörigen der Wehrmacht, die dem militärischen Widerstand zuzuordnen sind…“
Zukünftig sollen also „Nazi-Generäle und weitere Kriegsverbrecher als offizielle Vorbilder geehrt werden und zum Traditionsverständnis der Bundeswehr beitragen“. Das – ist zutiefst – verstörend.
„Tradition wird besonders anhand von Persönlichkeiten greifbar, da hier die Vorbildhaftigkeit am besten veranschaulicht werden kann…“
Persönlichkeiten – Vorbildhaftigkeit veranschaulicht – aus der Wehrmacht und SS? WIE BITTE?! Zu den Verbrechen der Wehrmacht gehören Planung und Durchführung von Angriffs- und Vernichtungskrieg, Massenmorde an Zivilisten und als Partisanen Verdächtigten, Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen, Besatzungsverbrechen sowie die direkte und indirekte Teilnahme an Völkermorden, darunter dem Holocaust und dem Porajmos…
„Die Traditionspflege in der Bundeswehr (…) sind Führungsaufgaben, die unverändert in der Verantwortung (…) der militärischen Führer liegen… Die nachfolgend aufgeführten Beispiele für militärische Exzellenz bzw. soldatische Tugenden mit Wertebezug dienen als Anhalt für die Auswahl traditionsstiftender Personen aus der Geschichte der Bundeswehr sowie aus der deutschen Militärgeschichte…“
Die Erde ist eine Scheibe
Im Anschluss an den Text werden sodann zahlreiche ehemalige Wehrmachts- und SS-Soldaten namentlich genannt, die heute als Vorbilder dienen und Helden verehrt werden sollen – alles im Sinne der Kriegstüchtigkeit, der Zeitenwende und dem angestrebten Mentalitätswechsel.
Und zeitgleich ist der dafür verantwortliche „militärische Führer“ beliebtester Politiker in unserem Land? Die Geschichte soll sich wiederholen und die Bevölkerung macht das mit. Und zeitgleich hört und liest man rund um die Uhr die hohlen Phrasen zur Erinnerungskultur, den westlichen Werten, der Demokratie, dem Rechtsstaat und dem sogenannte „Kampf gegen Rechts“.
Sie sprechen von Frieden und führen Krieg, sie militarisieren unser aller Leben, schränken uns immer weiter ein und faseln von Werten und Demokratie. Sie wollen unsere Kinder. Sie reden von Verteidigung und meinen Angriff – die NATO nennt das explizit „Vorwärtsverteidigung“. Die „Gutmensch-Doktrin“ dient als übergeordnetes Hilfsmittel, die Wiederholung in Verbindung mit emotionalisierten Bildern ist das Werkzeug. „Krieg ist Frieden – Freiheit ist Sklaverei – Ignoranz ist Stärke“ (George Orwell) …und die Erde ist eine Scheibe!
Pawlow lässt grüßen
Ist das Massen-Konditionierung à la Pawlow? Seinen Studien zufolge musste man die Dinge 7000 mal wiederholen, bis sie endgültig erlernt (also vollständig konditioniert) waren. Wie furchtbar waren diese Tierversuche?
Seine (bemitleidenswerten) Hunde sabberten, wenn sie das Glöckchen hörten, auch ohne dass es Futter gab. Watsons experimentell missbrauchtes Baby Albert wurde eine Kaninchenphobie antrainiert und Skinner war dann gewissermaßen der Erfinder der Gutmensch-Doktrin. Konditionierung mittels positiver und negativer Verstärkung, die weiterentwickelt aus der „Black Box“ heraus im heutigen Mindhacking, der Target Audience Analysis (TAA, Steve Tatham) und der kognitiven Kriegsführung gipfelt. Und hier geht es vorrangig um die eigene Bevölkerung, den Menschen als 6. Kriegsschauplatz, deren Gedanken und Gefühle euphemistisch mittels der Massenmedien gezielt, suggestiv und so unbemerkt wie möglich manipuliert werden. Nach dem Willen von NATO-Strategen soll künftig „keine Grenze mehr zwischen Krieg und Frieden“ existieren.
So kommt es wohl, dass einer, der ganz unverhohlen ausspricht, dass er 82,7 Millionen Menschen physisch und psychisch kriegstüchtig machen will, als beliebtester Minister in Umfragen abschneidet. Die Menschen – pardon – sabbern.
„Wer Menschen erstmal töten muss, um zur Menschlichkeit zu kommen, wird nie dort anlangen. Er hat gerade gezeigt, was für ein Barbar er wirklich ist.“ Eugen Drewermann
Johannes Stern schrieb in seinem Artikel „Bundeswehr erklärt sich in den „Traditionen“ der Hitler- Wehrmacht verwurzelt“ in der wsws Folgendes:
„…Tatsächlich sind die „Ergänzenden Anmerkungen“ in ihrer Verherrlichung der politischen Kriminellen im Offizierskorps des Nazi-Regimes unverhohlen. Trotz der unsäglichen Verbrechen, die hochrangige Nazi- Offiziere im Zweiten Weltkrieg begangen haben, werden sie als „Vorbilder“ und „Helden“ gefeiert, während sich die herrschende Klasse Deutschlands erneut auf einen Krieg gegen Russland vorbereitet.“
Und er zitiert aus dem Erlass:
„Die durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelöste Zäsur hat die Bedeutung der Kriegsbereitschaft der Streitkräfte, die sich maßgeblich aus einem hohen Operationswert und einer hohen Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gesteigert.“
„Dies stellt die Realität auf den Kopf. In Wirklichkeit waren es die Nato-Mächte, die Putins reaktionäre Invasion in der Ukraine gezielt provozierten, um Deutschland massiv aufzurüsten und lange gehegte Kriegspläne zu verwirklichen. Der deutsche Imperialismus, der bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg versucht hatte, die Ukraine zu annektieren und Russland militärisch zu besiegen, spielt bei der Kriegsoffensive gegen Russland eine führende Rolle…“
Nazi-Generäle aus dem Dritten Reich
Ein paar Beispiele (von anfänglich 40.000), die alle gemeinsam haben: mit Leidenschaft freiwillig dabei, Lücken im Lebenslauf, schnelle Einbindung in die Bundeswehr, gehobenes, privilegiertes Leben…:
Erich Hartmann, der sog. „schwarze Teufel“, Jagdflieger: hat sich freiwillig gemeldet und weltweit bisher die meisten Abschüsse. Er hatte damals sein Flugzeug speziell bemalt, was er in der BW wieder machte! Er wurde in R zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, kam aber nach 10 Jahren und Protest frei – er behauptete immer noch, er sei unschuldig – und wurde dann direkt in der BW aufgenommen. „In der BW galt Hartmann trotz seiner hohen Qualifikation als Flugzeugführer als schwieriger Untergebener, der mehr auf Einsatzeffektivität achtete als auf den friedensmäßigen Ausbildungsbetrieb und seine Verantwortung als militärischer „Führer, Erzieher und Ausbilder“ seines Geschwaders.“ Jetzt, laut Traditionserlass, ist das wohl auch gestrichen?
In Frankreich wurden nach dem Krieg und einem verheerenden Massaker 8 dt. Offiziere und Soldaten in Abwesenheit verurteilt – 4 zu lebenslänglich, 4 zum Tode. Man fand sie angeblich alle nicht, also wurde das Urteil nie vollstreckt. Einer, der dieses Bataillon lange Jahre anführte (auch in Russland und in Italien und auch hier Massaker), war Karl Schnell. Schnell schaffte es nach ganz oben in der NATO und in der BW. Aber auch er, wie Hartmann, zerstritt sich irgendwann in der BW und schied aus.
Eberhard Wildermuth war bereits 1908/09 als Einjährig-Freiwilliger in der Württembergischen Armee, nahm dann von 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil und führte u.a. im Zweiten Weltkrieg als Kommandeur das Infanterie-Regiment 737 in Serbien, wo er am 1. Dezember 1941 zum Oberstleutnant befördert wurde. Welche Haltung er zu den Verbrechen der übergeordneten 717. Infanterie-Division gegen serbische Partisanen und Zivilbevölkerung hatte, ist bislang nicht geklärt. Im Oktober 1941 war die Division am Massaker von Kraljevo und Kragujevac beteiligt, wobei je nach Quellen zwischen 4.000–8.000 Zivilisten als „Vergeltungsaktion“ für deutsche Gefallene ermordet wurden. Es handelt sich um eines der schwersten Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Serbien. 1948 wurde er in den FDP-Bundesvorstand gewählt und war bis zu seinem Tod MdB.
Erich Topp war U-Boot-Kommandant der Kriegsmarine und zuletzt Konteradmiral der Bundesmarine. Im Mai 1933 trat Topp in die NSDAP ein und 1934 auch in die Allgemeine-SS. Topp leistete den Hitler-Eid in der Überzeugung, das Richtige zu tun. Zumindest zu Beginn des Krieges betrachteten seine Kollegen Topp als Nazi. Topp machte die Bekanntschaft von Martin Bormann, Hitlers persönlichem Sekretär und Leiter der NS-Parteikanzlei.
Nach freiwilliger Meldung wurde er am 5. Oktober 1937 zur U-Boot-Waffe versetzt, seine seemännische Ausbildung erhielt er u.a. auf dem Segelschulschiff Gorch Fock. Insgesamt versenkte Erich Topp 32 Schiffe mit 177.919 BRT, einen Zerstörer mit 1215 ts und ein Hilfsschiff. Vom 20. Mai bis zum 17. August 1945 war er in Kriegsgefangenschaft in Kragerog (Norwegen).
Nach seinem Wiedereintritt in die Marine am 3. März 1958 und einer Einweisung beim Führungsstab der Marine, diente er ab 16. August 1958 als Chef des Stabes beim NATO-Militärausschuss in Washington, D.C. und ab 1. Juli 1965 im Führungsstab der Marine im Bundesministerium der Verteidigung.
Und so äußern sich aktive Berufssoldaten öffentlich dazu:
„Also ich würde da schon eine merkbare Akzentverschiebung herauslesen. Bisher habe ich es schon so empfunden, dass zwar in der Theorie Einzelpersonen aus früheren Armeen möglich waren, praktisch aber nach Möglichkeit soweit wie möglich vermieden wurden, solange es sich nicht um den expliziten Widerstand gehandelt hat. Stattdessen wurde vor allem versucht, die Tradition möglichst nur aus der Bundeswehr selbst heraus zu begründen. Und da betont das Rundschreiben doch explizit an ganz verschiedenen Stellen, dass das nicht mehr ausreicht…“ (Unproomn)
„Diese Menschen haben persönliche Schuld und nicht nur „menschliche Fehlbarkeit“ auf sich geladen. Sie haben mit ihrer militärischen Exzellenz dazu beigetragen, dass das Regime z.B. 5.000.000 Juden vernichten konnte…“ (LwPersFw)
„In der Liste wird ja sogar ein Erich Topp genannt, der NSDAP- und SS-Mitglied und auch nicht im Widerstand war… Ein wenig wirkt es so, als hätten da einige Sönke Neitzel gelesen.“ (Unproomn)
„Aber wie ich ja schrieb … wer meint das Handeln eines Wehrmachtsangehörigen vor 1945, der bis zum Ende dem verbrecherischen, rassistischen und menschenverachtenden NS-Regime treu gedient hat, als Vorbild für Tapferkeit/mil. Exzellenz zu benötigen… es scheint ja von Seiten des BMVg gewünscht zu sein… zumindest hat Generalleutnant Rohrschneider diese mögliche Lesart eröffnet… Und damit lasse ich es bewenden.
Wer dem faschistischen Regime bis zum Ende treu gedient hat – dessen Handeln aus dieser Zeit wird für mich nie sinn- und/oder traditionsstiftend sein.“ (LwPersFw)
»Nochmal die Formulierungen angeschaut«
Die „Ergänzenden Hinweise“ wurden also am 12.7.2024 veröffentlicht und wie im Dokument nachzulesen auch intern in der Regierung großflächig verteilt. Die Medien allerdings blieben stumm. Derartiges verschweigen unsere angeblich „linken“ Leitmedien lieber mal wieder, es könnte ja sein, dass noch nicht lange genug pawlowisiert wurde.
Und jetzt: bitte festhalten! Einen Monat später, am 12.08.2024, sprachen Tilo Jung und Hans Jessen die Ergänzung in der Bundespressekonferenz an und Oberst Arne Collatz versuchte sie hier noch zu rechtfertigten. 2 Tage später gab Collatz in der BPK vom 14.08.2024 dann aber bekannt, dass er „nochmal die Formulierungen angeschaut“ hätte und die„Bezüge in den Ergänzenden Hinweisen nicht förderlich“ seien und „sie deswegen vom Markt“ genommen würden.
Und auf Nachfrage sagte er:
…Nur die militärische Exzellenz, unter Beweis gestellt im Zweiten Weltkrieg, reicht eben nicht aus und hat nie ausgereicht, um traditionswürdig im Sinne des Traditionserlasses zu sein…“
Diese Aussage macht die Rücknahme nicht nur zunichte, sondern zeigt eindeutig wes Geistes Kind dahinter steckt und setzt sogar noch einen drauf. Das Dokument wird nicht wegen den Nazi-Offizieren zurückgezogen, sondern, weil ihre „im Zweiten Weltkrieg bewiesene militärische Exzellenz“ noch deutlicher mit der „Werteorientierung“ verbunden sein müsste. Letzteres fehle im Dokument, daher die Rücknahme und nicht, weil dort Nazi-Generäle und Kriegsverbrecher als Helden gefeiert werden.
Zudem bemerkenswert: er nahm das „vom Markt“ – was für eine Diktion! Die Öffentlichkeit, also der Markt, soll damit nicht mehr konfrontiert werden – wie sieht es denn intern aus? Die sog. „Verhaltenssicherheit“ sei nun wiederhergestellt – was meint er damit? Das Verhalten des Marktes gegenüber der Bundeswehr, man soll sich mit ihr wieder wohlfühlen? Experiment fehlgeschlagen.
Es braucht umgehend eine Untersuchungskommission und einen Runden Tisch, um diese „Unternehmens“- Strategie zu durchleuchten!
Das Problem: die Medien – sie schweigen nach wie vor! Erst nach der Rücknahme gab es ein paar Berichte darüber in den „Alternativen“ und einen von BR24. Wir werden rund um die Uhr heuchlerisch mit dem Thema „gegen Rechts“ überschwemmt, aber das hier ist keines Wortes wert. Man kann bald nur noch auf ein Wunder hoffen und dass ihre Ungeduld zu weiteren vorschnellen Fehlschlägen führt, die wahrgenommen werden, bevor die gesamte Bevölkerung kriegskonditioniert ist, sich nicht mehr wehren kann und für immer auf die Schatten in der Höhlenwand blickt.
Ja, wir brauchen eine wehrfähige Demokratie, und zwar genau in diesem Sinne – intern, gegen alles, was mit der Kriegstüchtigkeit zu tun hat. Wir brauchen keine „militärische Exzellenz“ im Sinne des Zweiten Weltkrieges, keine „militärischen Führer“, auch keine politischen „Führer“ mit Alleingängen, wir brauchen „diplomatische und politische Exzellenz“ und „Friedenstüchtigkeit“.
Wir müssen uns wehren.
Der Beitrag von Tanja Stopper wurde auf friedenunddiplomatie.de veröffentlicht.