Die Kandidat:innen, die verärgert angebliche Unregelmäßigkeiten bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen in der Bolivarischen Republik Venezuela anprangern, vertreten bereits bekannte Interessen: Interessen, die die Selbstproklamation ohne jegliche Wahl von Juan Guaidó in 2019 billigten. Interessen, die einen fiktiven Vertreter an den Tisch der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) setzten. Interessen, die einen Phantombotschafter in einige Länder ausgesandt haben; jene Länder haben diesen wiederum, ohne mit der Wimper zu zucken, empfangen.
Es sind diejenigen, die stets dazu bereit sind, Putschregierungen, wie die von Jeanine Añez in Bolivien oder von Dina Boluarte in Perú, anzuerkennen. Es sind diejenigen, die die Verfolgung von Politiker:innen, wie Lula, Evo, Rafael Correa oder Cristina Fernández, befürworten. Es sind diejenigen, die, bevor sie Stellung beziehen, stets die Botschaft des Nordens (die US-Botschaft, Anm. d.Übers.) konsultieren und sich automatisch für die Interessen einsetzen, die nichts mit dem Wohl des eigenen Volks zu tun haben.
Die, die sich heute über mangelnde Rechtschaffenheit empören, schweigen im Falle von Komplizenschaft und Kooptation, solange jemand von rechts möglicherweise die Wahlurnen für sich gewinnt und Abinader, Mulino, Peña oder Bukele heißt. Niemand fordert irgendwelche Wahlakten, noch wird eine rigorose Mediankampagne lanciert, um die Ergebnisse im Vorfeld zu diskreditieren und in Zweifel zu ziehen.
Diejenigen, die heute im Chor jede Regierung als „Regime“ betiteln, die nicht mit ihren ökonomischen und geopolitischen Interessen übereinstimmt, befürworten und verkörpern die monopolitische Diktatur der Kommunikation und digitalen Plattformen. Diese vergiften die öffentliche Diskussion und verhindern eine echte Meinungsfreiheit. Diese Politiker:innen legen sogar weite Strecken zurück, um sich mit ihren Tycoons ablichten zu lassen.
Jene, die sich als Wächter:innen der Demokratie inszenieren, verurteilen keine Massaker, wie sie am palästinischen Volk verübt werden, das auf Befehl eines ultrarechten, ungestraften Kriminellen bombardiert wird. Sie schweigen oder rechtfertigen diese Massaker.
Und doch gibt es auch diejenigen, die es in gutem Glauben vorziehen würden, alle Fragen zu den Wahlen in Venezuela durch harte Beweise der zuständigen Wahlbehörde zu klären. Beweise, die in manchen Fällen nicht einmal ausreichen, um die Vorverurteilung, die mit solchen Bedenken einhergeht, zu überprüfen oder zu widerlegen.
Aber im Falle der konservativen Meute und der wirtschaftlichen Macht, der sie dient, geht es nicht um Demokratie, noch um Menschenrechte und noch viel weniger um gute Absichten. Es geht in erster Linie darum, sich der enormen natürlichen Ressourcen zu bemächtigen, die Venezuela zu bieten hat. Und nicht nur das.
Die Belagerung der Bolivarischen Revolution
Die Bestrebungen, die Bolivarische Revolution zu stürzen, reichen mehr als zwei Jahrzehnte und damit fast auf die Anfänge der Revolution selbst zurück. Der Ölstreik und der Staatsstreich von 2002, der dem Geschäftsmann Pedro Carmona eine kurzlebige Präsidentschaft bescherte, wurden von denselben Sektoren verübt, die die Wiederwahl von Nicolás Maduro verhindern wollen. Sektoren, die in 2014 und 2017 die Brennpunkte des gewaltsamen Protestes, die sog. „guarimbas“, organisierten und finanzierten und in 2019, im Schulterschluss mit den rechtsgerichteten Regierungen von u.a. Iván Duque und Sebastián Piñera, eine Invasion unter dem Deckmantel der „humanitären Hilfe“ gefördert haben. Diese falschen Demokraten sind es, die immer wieder zum Aufstand der Streitkräfte gegen die Regierung aufrufen und sogar eine ausländische Militärintervention fordern.
Die Kräfte, die heute die Legitimität von Wahlen fordern, sind diejenigen, die die Umsetzung von Hunderten von einseitigen Zwangsmaßnahmen gefeiert und sogar gefordert haben. Jene „Sanktionen“, wie sie im parteilichen geopolitischen Jargon genannt werden, waren die Hauptursache dafür, dass Millionen von Venezolanerinnen und Venezolanern gezwungen waren, auszuwandern, um ihre Lebenssituation zu verbessern.
Die Schlüsselidee der permanenten Attacke auf den Chavismus seitens dieser Sektoren besteht darin, zu verhindern, dass ein anderes eigenständiges Modell als Alternative zum Kapitalismus in der Bevölkerung erwächst und als „Demonstrationseffekt“ wirkt, der zur Nachahmung anregt.
So verhielt es sich auch in früheren Revolutionen, etwa in Kuba, Nicaragua, oder Chile. Salvador Allende scheiterte letztlich an der engstirnigen Gewalt des von Washington angestifteten antikommunistischen Faschismus.
Aus demselben – wenn auch etwas abgeschwächterem, aber ebenso irrationalem und unterwürfigem – Grund, ereignet sich der Widerstand auch in anderen lateinamerikanischen Ländern: In Mexiko, Honduras, Brasilien und Kolumbien sind und werden die jeweiligen regierenden Politiker:innen mit Widerstand konfrontiert, die entschlossen die Lebensbedingungen ihrer Völker verbessern wollen.
Integration und BRICS
Aber da ist noch mehr. Der derzeitige geopolitische Machtkampf in der Welt macht es der untergehenden Macht sehr schwer, sich bereitzuerklären, ihre Vormachtstellung aufzugeben oder zu teilen. Die Arroganz, das einzige und endgültige Modell für andere Völker zu sein, bleibt bestehen, während sich dieses Modell in eine groteske Karikatur von Demokratie und Freiheit verwandelt hat.
Dabei geht es nicht einmal nur um die bekannte Auseinandersetzung zwischen dem Multilateralismus – dem historischen Erbe der nationalen Befreiungsbewegungen – und dem Hegemon USA und seinen europäischen Partnern.
Die Absicht der Regierung von Nicolás Maduro, der Staatenvereinigung BRICS plus beizutreten, ist offenkundig. Dies stellt für den euro-atlantischen Block ein Problem dar, da der Beitritt ihre ohnehin schon enorme Macht über die Energieversorgung noch verstärken würde.
Diese Abweichung vom westlichen Mandat, diese neue Unabhängigkeit, geht wiederum mit entschiedenen Maßnahmen zugunsten einer regionalen, eigenständigen Integration einher, die die Zusammenarbeit und das Verständnis zwischen den Nationen auf der lateinamerikanischen und karibischen Landkarte fördert. Diese autonome Integration wird im Schema der Monroe-Strategie als unerwünscht angesehen, da sie eine unbestreitbare Komponente im Befreiungsbestreben darstellt.
Es steht sogar noch mehr auf dem Spiel. Der Aufstand, der die kulturelle Vielfalt und die Selbstbestimmung der Völker proklamiert, die eine Vorgeschichte der Unterwerfung und Erniedrigung durch den Kolonialismus und seinen Nachfolger, den Imperialismus, überwinden will, ist unaufhaltsam.
Die Stimme für den Frieden erheben
Angesichts dieses Szenarios müssen die Völker Lateinamerikas und der Karibik Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben mit ihrer exzessiven Kriegsindustrie und ihren Militärausgaben in der Vergangenheit unzählige bewaffnete Konfrontationen ausgelöst. Gegenwärtig werden Versuche evident, die Grenzen der NATO auszudehnen und Militärpakte im Nahen Osten und in Ozeanien zu schließen. Dies führt zu Instabilität in Gebieten, die in der Nähe zu den jeweiligen geopolitischen Rivalen liegen.
Für Lateinamerika und die Karibik sind die wiederholten Besuche in verschiedenen Ländern von Laura Richardson, Befehlshaberin des Südkommandos, die Verstärkung der US-Militärpräsenz unter dem Vorwand der Sicherheitskooperation, die Unterstützung des angrenzenden Guyana bei seinen Ansprüchen auf die Essequibo-Region, die bereits erwähnte Forderung der venezolanischen Opposition nach einer ausländischen Intervention und andere Faktoren ein Warnzeichen.
Warnzeichen, die von den karibischen Ländern, die im Falle eines militärischen Konflikts in der Region als erste betroffen wären, entsprechend erkannt wurden, indem die gescheiterte OAS-Resolution zur Einmischung abgelehnt wurde.
Warnzeichen, die auch von den Präsidenten Mexikos, Kolumbiens und Brasiliens als solche wahrgenommen wurden: Sie riefen zur Einigung, Ruhe und Unterlassung von Einmischung und Zwangsmaßnahmen auf, die weder das Selbstbestimmungsrecht des venezolanischen Volkes respektieren, noch die Probleme lösen; vielmehr verkomplizieren sie die Situation.
Heute muss die Haltung einhellig sein, die Völker müssen ihre Stimme erheben und den Frieden und ihre Souveränität als unveräußerliche Errungenschaft verteidigen.
Übersetzung aus dem Spanischen von Sarah Ostrycharczyk vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!