Pluriversum ist eine Reihe von Beiträgen aus dem gleichnamigen Buch, gewidmet all jenen, die für das Pluriversum kämpfen, indem sie sich gegen Ungerechtigkeit wehren und nach Wegen suchen, in Harmonie mit der Natur zu leben. Die Welt, die wir wollen, ist eine Welt in die viele Welten passen. Die Einführung zur Serie gibt es hier und die Entstehungsgeschichte hier.

von Silvia Ribeiro

Technologie könnte eine positive Rolle bei der Bewältigung der sich verschärfenden Umwelt­, Klima­, Sozial­, Gesundheits­ und Wirtschaftskrisen spielen. Um das erreichen zu können, müssen die Technologien ökologisch nachhaltig, kulturell und lokal angemessen sowie sozial gerecht sein – ebenso muss die Geschlechterperspektive einbezogen sein. In den Industriegesellschaften ist Technologie jedoch in erster Linie ein Instrument zur Profitsteigerung von Großunternehmen und mächtigen Wirtschaftsgruppen geworden.

Dies gilt mit Sicherheit für die Technologien, die die sogenannte vierte industrielle Revolution vorantreiben – Biotechnologie, Genomik, Nanotechnologie, Informatik, künstliche Intelligenz und Robotik.[1] Die Konvergenz dieser Technologien hat weitreichende Folgen und Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Wenn Technologie als Lösungsansatz für alle Krisen dargestellt wird, dient dies denjenigen, die die Technologien kontrollieren. Der Mythos der Technologie als Allheilmittel basiert auf der irrigen Annahme, dass es nicht notwendig sei, nach den Ursachen von Krisen zu fragen, da es für jedes Problem eine technologische Lösung gäbe. Auf die Nahrungsmittelkrise beispielsweise haben Regierungen und Konzerne mit einer hochtechnologischen Präzisionslandwirtschaft reagiert, die den Einsatz von Agrargiften, gentechnisch verändertem Saatgut und Tieren, einer ‚klimafreundlichen Landwirtschaft‘, Selbstmord-Saatgut mit ‚Terminator’­Technologie und ‚Gene Drives’[2] zur Ausrottung ganzer als ‚Schädlinge‘ geltender Arten, vorsieht. Im Hinblick auf die Energie­ und Klimakrise werden nicht etwa die nicht nachhaltigen, auf fossilen Brennstoffen basierenden Produktions­ und Verbrauchssysteme in Frage gestellt, stattdessen werden neue Technologien propagiert, die eine intensivere Nutzung von Biomasse durch synthetische Biologie und Nanotechnologie ermöglichen und so die Ausweitung riesiger Monokulturen fördern, bestehend aus Bäumen und gentechnisch veränderten Nutzpflanzen.

Die Industrie rühmt stets die potenziellen Vorteile dieser Technologien, während sie die Risiken herunterspielt oder sie als zweifelhaft bzw. fragwürdig darstellt. Netzwerke von Organisationen, sozialen Bewegungen und kritischen Wissenschaftler*innen sind als Reaktion darauf entstanden, mit dem Ziel, den von der Industrie geschaffenen komplexen technologischen Horizont zu verstehen und zu überwachen sowie gleichzeitig das Vorsorgeprinzip einzufordern.[3]

Eine der offensichtlichsten und extremsten technologischen Scheinlösungen ist das Geo­Engineering, auch Klimamanipulation genannt. Geo­Engineering steht für eine Reihe von Vorschlägen zu groß angelegten Eingriffen in und Veränderungen von Ökosystemen als „technologische Lösungen“ für den Klimawandel. Es umfasst zwei Hauptkonzepte mit jeweils eigenständigen Arten von Eingriffen: Management der Sonneneinstrahlung (Solar Radiation Management – SRM) und Kohlendioxid-Entsorgung (Carbon Dioxin­Removal – CDR), auch bekannt als Treibhausgas-Entsorgung (Greenhouse Gas Removal – GGR). Diese Vorschläge können Eingriffe an Land, im Meer oder in der Atmosphäre umfassen. Keiner davon versucht, die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen; stattdessen konzentrieren sie sich nur auf die Bewältigung einiger seiner Symptome.

Es gibt eine Vielzahl von Vorschlägen zum Geo­Engineering, darunter die Injektion von Sulfaten oder anderen Chemikalien in die Stratosphäre, um das Sonnenlicht zu blockieren und so einen Verdunkelungseffekt zu erzielen; Vorrichtungen zur Absorption von Kohlendioxid aus der Atmosphäre, um dieses dann in marinen oder geologischen Lagerstätten zu versenken; die Düngung des Ozeans mit Eisen oder Harnstoff, um die Planktonblüte zu stimulieren, in der Hoffnung, dass dadurch größere Mengen an Kohlendioxid absorbiert werden und sich die Meereschemie verändert; sowie Mega­Pflanzungen von transgenen Pflanzen, die das Sonnenlicht reflektieren sollen. Alle diese Vorschläge bergen enorme Risiken, können unvorhersehbare negative Synergieeffekte haben und sind mit grenzüberschreitenden Auswirkungen verbunden.[4]

Auch wenn jedes vorgeschlagene Geo­Engineering­Konzept spezifische Risiken und potenzielle Folgen hat, so haben sie doch alle eine Reihe von negativen Auswirkungen:

  1. Sie wollen das Klima manipulieren – ein globales dynamisches Ökosystem, das für das Leben auf dem Planeten unerlässlich ist – mit dem Risiko, größere Ungleichgewichte zu schaffen als der Klimawandel selbst.
  2. Um Auswirkungen auf das globale Klima zu haben, müssen sie zwangsläufig in einem Mega­Maßstab durchgeführt werden und könnten daher die Auswirkungen noch verstärken.
  3. Geo­Engineering geht ursprünglich auf militärische Versuche zurück, das Klima als Kriegswaffe einzusetzen; das Risiko einer Bewaffnung ist immer gegeben.
  4. Die Programme können im Alleingang eingesetzt werden: Eine Gruppe von Ländern oder Wirtschaftsakteuren könnte sie für feindliche oder kommerzielle Interessen um­ und einsetzen.
  5. Die Auswirkungen werden sich regional ungleich verteilen und viele Länder im Globalen Süden, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, schwer treffen.
  6. Testphasen sind nicht möglich. In Anbetracht des Umfangs und der Zeitspanne, die notwendig sind, um die Auswirkungen von aktuellen Klimaphänomenen zu erkennen, wäre eine Erprobung gleichbedeutend mit dem Einsatz.
  7. Viele Systeme sind auf Profit und kommerzielle Nutzung ausgelegt, insbesondere um Kohlenstoffzertifikate zu erhalten, was die Kommerzialisierung von Klimakrisen verstärken würde.
  8. Nicht zuletzt bieten technologische Lösungen einen Vorwand, die Emission von Treibhausgasen fortzusetzen.

Neben den Regierungen des Globalen Nordens sind vor allem Energieunternehmen und andere Industriezweige, die zu den Hauptverursachern des Klimawandels gehören, an Geo­Engineering interessiert. Für sie ist Geo­Engineering eine gute Option, denn es ermöglicht ihnen, weiterhin Treibhausgase auszustoßen und gleichzeitig für die angebliche Kühlung des Planeten bezahlt zu werden.

Zu den aktivsten Befürworter*innen des Geo­Engineering gehört eine kleine Zahl von Wissenschaftler*innen, vor allem in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich, denen es gelungen ist, ihre jeweiligen wissenschaftlichen Einrichtungen davon zu überzeugen, Berichte über Geo­Engineering zu veröffentlichen. Sie üben auch einen gewissen Einfluss auf den Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC – Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) aus, der in seinem Fünften Bewertungsbericht einen Geo­Engineering­Vorschlag – Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS – Bioenergy with Carbon Capture and Storage) – als Bestandteil der Mehrzahl der Szenarien zur Stabilisierung der Erdtemperatur aufgenommen hat. Die Hoffnung, dass BECCS die Grundlage für ‚Netto­Null­Kohlenstoff­Emissionen‘ oder ‚negative Emissionen‘ bilden würde, ist jedoch höchst spekulativ und vermittelt die Illusion, dass die Treibhausgasemissionen erhöht werden könnten, da sie durch BECCS oder andere technologische Reparaturen kompensiert werden könnten. Es gibt keine unabhängigen Beweise oder wissenschaftlichen Studien, die ihre energetische, wirtschaftliche oder technologische Durchführbarkeit belegen. Außerdem könnten die Auswirkungen von BECCS auf die biologische Vielfalt sowie auf die Land­ und Wassernutzung enorm sein. Es würde auch mit landwirtschaftlichen Flächen konkurrieren und eine Bedrohung für indigene und bäuerliche Gebiete darstellen.

In Ermangelung eines transparenten und wirksamen globalen wissenschaftlichen Verfahrens im Umgang mit diesen Technologien wurde 2010 im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity) ein De­facto­Moratorium für Geo­Engineering verhängt, das sich auf das Vorsorgeprinzip stützt und die potenziellen Auswirkungen von Geo­Engineering auf die biologische Vielfalt und die sie erhaltenden Kulturen berücksichtigt. In Anbetracht der Schwere der Auswirkungen und ihres inhärent ungerechten Charakters haben seit 2010 mehr als hundert Organisationen und soziale Bewegungen auf der ganzen Welt ein Verbot von Geo­Engineering­Technologien gefordert.

Übersetzung ins Deutsche von Hannelore Zimmermann.

Pressenza veröffentlicht in einer Reihe Auszüge aus „Pluriversum: Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und unter Creative Commons Lizenz: CC-BY-NC-ND. Das Buch ist als PDf-Datei unter agspak.de/pluriversum kostenlos abrufbar.

Alle Beiträge in der Reihe Pluriversum gibt es hier.

Anmerkungen

[1] Seit 2000 bezeichnete die ETC­Gruppe diese Konvergenz als BANG (Bits, Atome, Neuronen, Gene). Im Jahr 2016 begann das Weltwirtschaftsforum, die Konvergenz als „vierte industrielle Revolution“ zu bezeichnen.

[2] Die Gene­Drive­Technik … erlaubt es … eine genetische Veränderung in eine natürliche Population einzubringen und auf alle Individuen auszubreiten … Gene Drives sind auch mit großen Herausforderungen im Bezug auf Sicherheit, Umweltauswirkungen und ethischen und gesellschaftlichen Fragen verbunden. (s. https://naturwissenschaften.ch/synthetic-biology-explained/applications/gene_drive – abgerufen am 07.06.2023) (Anm. d. Übers.)

[3] Das Red de Evaluación Social de Tecnologías en América Latina, RED TECLA, zum Beispiel, siehe https://www.redtecla.org/ (abgerufen am 20.05.2023)

[4] siehe http://www.geoengineeringmonitor.org (abgerufen am 20.05.2023)

Weitere Quellen

Anderson, Kevin and Glen Peters (2016), The Trouble with Negative Emissions, Science. 354 (6309): 182–3, http://science.sciencemag.org/content/354/6309/182 (abger. 20.5.2023)

Biofuelwatch (2016), Last Ditch Climate Option or Wishful Thinking? Bioenergy with Carbon Capture and Storage, https://www.biofuelwatch.org.uk/wp-content/uploads/BECCS-report-web.pdf (abgerufen am 20.05.2023)

ETC Group (2010), Geopiracy: The Case against Geoengineering, http://www.etcgroup.org/content/geopiracy-case-against-geoengineering (abgerufen am 20.05.2023)

ETC Group and Heinrich Böll Foundation (2017), Climate Change, Smoke and Mirrors. A Civil Society Briefing on Geoengineering, https://www.etcgroup.org/content/geopiracy-case-against-geoengineering (abgerufen am 20.05.2023)

Geoengineering Monitor, http://www.geoengineeringmonitor.org/ (abgerufen am 20.05.2023)

SynbioWatch, https://www.geoengineeringmonitor.org/ (abgerufen am 20.05.2023)


Silvia Ribeiro, ursprünglich aus Uruguay, arbeitet in Mexiko als Lateinamerika­Direktorin für die internationale zivilgesellschaftliche Organisation Action Group on Erosion, Technology, and Concentration (ETC Group), die sowohl in Kanada als auch auf den Philippinen ansässig ist.

Der Originalartikel kann hier besucht werden