Wir rufen auf zum gemeinsamen Protest für den Erhalt unseres Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas! Unser Denkmal ist durch den geplanten Bau einer S-Bahnlinie massiv bedroht.

Das Denkmal erinnert an den Völkermord an 1,5 Millionen Roma und Sinti während des Zweiten Weltkriegs. Für uns Nachkommen und die Überlebenden ist es ein Ort der Anerkennung dieses Verbrechens und der Trauer sowie ein wichtiges Mahnmal gegen heutigen Rassismus.

Besonders erschütternd ist die Tatsache, dass ausgerechnet die Deutsche Bahn den Auftrag erhält, unser Denkmal zu schädigen. Denn ihre Vorgängerin, die Reichsbahn hat während der NS-Zeit an der massenhaften Deportation unserer Menschen Blutgeld verdient hat. Diese historische Verantwortung wird durch die geplanten Baumaßnahmen völlig missachtet.

Wir rufen Euch auf an unserer Seite zu stehen: Schützen wir das Mahnmal!

Ein gemeinsamer Aufruf von Bundes Roma Verband, RomaniPhen und Roma Center/ RAN.

Hier die Rede von Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin „Jüdische Stimme“ und „Internationale Liga für Menschenrechte“

Liebe Freundinnen von Romani Phen, Liebe Mitstreitende,
Sehr geehrte Damen und Herren,

wir stehen heute hier zusammen, am „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“, zu aller erst, in Gedenken der Tausende in Auschwitz-Birkenau gedemütigten, gequälten, in Zwangsarbeit bis zum letzten Atemzug ausgebeuteten, in lebensfeindlichen Eingriffen misshandelten und – als sei all dies nicht genug -, zu Tausenden vergasten Sinti und Roma.

Ich kann leider weder die Stationen der Ausgrenzung dieser in Deutschland, ähnlich den Juden, unliebsamen Minderheit zwischen 1933 und 1945 noch auch nur die Geschehnisse des Jahres 1944 in Auschwitz-Birkenau hier nennen, die zu jenem Massenmord, allein an einem einzigen Tag, jenem 2. August, geführt hatten.

Den Nachkommen der ermordeten und auch der überlebenden Opfer naturgemäß gut vertraut, ist es uns allen heute aufgegeben, all dies stets aufs Neue, um den Sinn des Denkmals, um dessen Zukunft wir uns zu sorgen Anlass haben, immer wieder zu vergegenwärtigen.

Ich meine, es ist wichtig, zu demonstrieren, dass wir eben diesem Erinnern hier und heute gerade in unserer proaktiven Mahnung verpflichtet sind.

An jenem 2. August 1944 – es ist noch nicht einmal ein Jahrhundert her und deshalb für viele unter uns nach wie vor gegenwärtig -, wurden die letzten im Lager noch lebenden „Zigeuner“ – so heißt es in den Berichten -, geschätzt werden 3.000 Kinder, Greise, Frauen, Männer in die Gaskammern gepeitscht, aus denen es kein Zurück mehr gab. – Nur fünf Monate vor der Befreiung der Internierten durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 und der Vertreibung der Deutschen Wehrmacht aus dem besetzten Polen. Mehr als 5.600 Sinti und Roma wurden nach Schätzungen insgesamt in den Gaskammern ermordet. Davon eben 3.000 an nur einem Tag, kurz vor der Auflösung des Lagers.

Wir stehen hier zusammen und sind entschlossen nichts von alledem je zu vergessen und daran zu erinnern, dass es Menschen, wie Du und ich gewesen sind, die diese horrenden Verbrechen an Menschen wie Du und ich verübten.

Nichts zu vergessen (!), auf das unsere Entschlossenheit uns selber und den nach uns Kommenden zur Mahnung und zum Schutz gereicht: Nie, nie, nie zuzulassen, dass Vorurteil, Ausgrenzung und Entrechtung von Menschen durch Menschen annehmbar werden oder gar vorherrschend!

Es scheint mir deshalb wichtig unsere heutige Zusammenkunft hier, räumlich vor dem Mahnmal und zeitlich vor der offiziellen Gedenkveranstaltung im Sinne der proaktiven Mahnung als kritische Begleitung der offiziellen Erinnerungskultur zu verstehen, vor allem aber anzuerkennen, dass wir nicht ohne Grund, in Sorge um die Zukunft dieses wichtigen Ortes sind.

Anders als vom Völkermord an den Juden wird der Völkermord an Sinti und Roma – vor allem in deutsch- aber auch in englisch-sprachigen Medien – oftmals als „vergessener Völkermord“ umschrieben. Tatsächlich ist „Vergessen“ im Zusammenhang mit den Vergehen der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma in Deutschland ein schmerzliches Menetekel. Ich könnte diese Behauptung anhand der Situation der Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 bis dato belegen.

Ich will mich heute darauf beschränken, das „Vergessen“ zum Ausgangspunkt meiner Mahnung hier zu machen.

Bei der Planung der S21 und so auch des Verlaufs ihrer Trassenführung wurde das Mahnmal, vor dem wir hier heute stehen, schlicht vergessen und also vollkommen übersehen.

Ich selber bekam im Juli 2020 durch einen Aufruf zur Unterzeichnung einer Petition mehr oder weniger zufällig davon Kenntnis.

„… Wir haben eine Demo in Berlin organisiert unter dem Motto: Schützt das Mahnmal für die Sinti und Roma Europas“ hieß es in der Protesterklärung des Bundes-Roma-Verbandes e. V. Und weiter „Wir organisieren weiter Proteste, Kundgebungen, Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen, bis das Mahnmal sicher ist. Dani Karavan, der Künstler, der das Mahnmal gestaltete, hat angekündigt, dieses notfalls mit seinem Körper zu schützen. Er ist heute 89 Jahre alt …“

Gestatten Sie, dass ich hier Auszüge aus meiner Erklärung zur Unterschrift wiedergebe. Zumal ich heute nichts anders formulieren kann als damals:

„Auch ich bin, wie Dani Karavan, bereit, das Mahnmal mit meinem 74 Jahre alten Körper zu schützen! So sind wir schon mindestens zwei Menschen jüdischer Herkunft, die sich bereit erklären, aufzustehen und einen abermals ungeheuerlichen Skandal in Sachen politisch rassisch Verfolgte in Deutschland, nicht widerstandslos passieren zu lassen!

Keine Frage!

Das Mahnmal für die Ermordeten Sinti und Roma Europas WIRD BLEIBEN!

Und es wird dort bleiben wo es mit Bedacht errichtet worden ist: Im politischen Zentrum Berlins, ehemals Hauptstadt des faschistischen Terrorregimes, „NS-Deutschland“.

Wie beklemmend! Wie unsäglich bedrückend!

Just die S-Bahn GmbH, 100-prozentige Tochter der Deutschen Bahn (DB) AG, Nachfolgeunternehmen der Deutschen Reichsbahn, „übersieht“ bei der Planung einer neuen S-Bahn-Strecke in Berlin das zentrale Mahnmal in Gedenken unter dem NS-Regime ermordeten Sinti und Roma Europas.

Eine mit Worten nicht zu fassende, ungeheuerliche Ignoranz!

Abermals und bis heute Symbol bornierter Geringschätzung und Ausgrenzung!“ Ausdruck des „Vergessens“ eben, füge ich heute hinzu.

Und weiter aus meiner damaligen, heute nach wie vor aktuellen Erklärung:

„Als wäre dies alles nicht skandalös genug, braucht es nun Wochen des Harrens in den Traumata rassistischer Ausgrenzung, Proteste und Demonstrationen, ehe die Verantwortlichen der DB AG aber auch alle sonst Zuständigen in der Bundesrepublik Deutschland sich öffentlich, in aller Form bei Zentralrat und Verbänden der Sinti und Roma entschuldigen, vor allem aber die sofortige Korrektur dieser fatalen – eben an rassistische und politische Geringschätzung früher Zeiten erinnernde – Ignoranz bekannt zu geben.

Nein, es ist alles in allem kein Planungsfehler! Es ist ein Vergehen! Ein pietätsloses Vergehen.

Eine Schändung des Gedenkens der Ermordeten unter der deutschen NS- Herrschaft in Europa und nicht zuletzt auch der Glaubwürdigkeit der Mahnkultur der Bundesrepublik Deutschland in historischer Verantwortung für die vom Deutschen Reich begangenen Völkermord- und Kriegsverbrechen.“

Soweit die Auszüge aus meiner Einlassung 2020.

Meine Damen und Herren, vier Jahre, vier ganze Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Verhandlungen, Vereinbarungen im wesentlichen Versprechen der Deutschen Bahn AG.

Niemand kann behaupten, verlässlich die Wirkung zu kennen, die der Verlauf der Trasse einer ratternden S21 nur einen Meter, wie geplant, oder seien es auch zwei oder drei Meter unter dem Becken hätte.

Sehr wahrscheinlich sind auch die mit der Zukunftsplanung dieser AG, an der Bund mit 51% Haupteigner ist, kaum in der Lage alle Aspekte eines solchen komplexen Zusammenspiels zu überblicken.

Überdies ist von der Deutschen Bahn nicht bekannt, dass ihre Planungen und Prognosen zu eigenen Bauvorhaben, wie versprochen aufgehen. Die ganze Republik misstraut doch inzwischen den Aus-, Voraus- und Zusagen dieser AG.

Und wir, die wir eben diesem Ort so verbunden sind, sollen darauf bauen?

Zudem fehlt es an jeglicher Transparenz. Mir selbst nimmt schon der Gedanken daran und nähme später bestimmt auch das Wissen darum, dass unter dem Becken eine Schnell-Bahn-Trasse verläuft, dem Denkmal alles an erhabener Tiefe, was das Denkmal – von Dani Karawan so gewollt – so einmalig macht und ihm fortan für immer fehlen würde: Die Stille, die eindringliche Stille, die Erinnern, Gedenken, Trauer und Trost braucht, bevor es zur Mahnung gereicht.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass vornehmlich Kostenersparnis der Grund ist, dass unsere Sorgen nicht ein für alle mal verbindlich ausgeräumt werden. Es bräuchte eine weitläufige Umgehung des gesamten Geländes des Gedenkens. Was, wenn nicht Kostenersparnis hindert Bund und Bahn, die neue S-Bahn-Trasse nicht in einem gebührlichen Abstand vom Denkmal und Bundestagsgebäude zu planen?

Wie sagte noch die ehemalige Bundeskanzlerin, Angela Merkel, bei der Einweihung des Mahnmals am 24. Oktober 2012?

„Wir können Geschichte nicht ungeschehen machen, aber wir können sie mit dem Mahnmal hier im Zentrum Berlins in unsere Mitte holen.“

Und hier im Zentrum Berlins darf das Versprechen der Bundesrepublik Deutschland an die im NS-Regime ermordeten Sinti und Roma Europas nicht einen einzigen Tag weiter in Frage stehen.

„Der Schutz und die Bewahrung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas hat oberste Priorität“, erklärte Romani Rose im Statement des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zu diesem Skandal und fügte sogleich hinzu: „Dies ist das Denkmal der Bundesrepublik Deutschland, hier erinnern Staat und Gesellschaft an die Verbrechen der Nationalsozialisten, und hier gedenken wir an die 500.000 Sinti und Roma, die während des NS-Holocaust ermordet wurden. “

So gesehen muss der Schutz und die Bewahrung, ja, die Unantastbarkeit des Denkmals und die gesamte Umgebung des Gedenkens für uns alle höchste Priorität haben.

Es wird Zeit, dass die Bundesregierung unsere Sorgen endlich zerstreut!

Der Originalartikel kann hier besucht werden