Um Menschen effektiver aus Deutschland abzuschieben, vergibt Brandenburg mit Unterstützung des Bundes einen lukrativen Millionenauftrag an einen vorbestraften Investor – ohne öffentliche Ausschreibung und unter falschen Voraussetzungen. Der ehemalige Finanzminister nennt es politisch einmalig und finanzpolitisch verheerend.
„Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“, verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober 2023. Tatsächlich arbeiten Behörden bereits seit Jahren daran, diese Ankündigung in die Tat umsetzen zu können. Am Flughafen BER in der Gemeinde Schönefeld planen der Bund und das Land Brandenburg ein sogenanntes „Ein- und Ausreisezentrum“.
Hinter dem sperrigen Behördenbegriff verbirgt sich ein „Abschiebezentrum“. So bezeichnen es Menschenrechtsorganisationen wie ProAsyl. Dort sollen Asylanträge im Schnellverfahren durchgeführt, aber auch Geflüchtete festgehalten und eingesperrt werden. Es ist ein Ort, der die zunehmend radikalere Abschiebepolitik Deutschlands widerspiegelt.
Wir haben bereits im Sommer 2022 über das geplante Abschiebezentrum am BER berichtet. Seitdem haben wir über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) weitere tausend Seiten an E-Mails, Protokollen und Gutachten aus dem Bundesinnenministerium (BMI) zu dem Komplex erhalten und ausgewertet. Wir veröffentlichen diese jetzt vollständig. Ebenso haben wir erneut Einsicht ins Grundbuch genommen. Unsere monatelange Recherche, die wir mit dem Tagesspiegel geteilt haben, zeigt:
Das Großprojekt war von Anfang an fragwürdig – nicht nur wegen des Zwecks, sondern auch wegen der Planung und Auftragsvergabe:
- Das brandenburgische Innenministerium hat das Abschiebezentrum am damaligen Linken Finanzminister vorbei geplant. Er bezeichnet das Projekt als „finanzpolitisch verheerend“.
- Kurz nachdem erste Planungen für das Abschiebezentrum begonnen hatten, kaufte ein Unternehmer Grundstücke, auf denen das Projekt später entstehen sollte – und sicherte sich so den lukrativen Großauftrag.
- Der Unternehmer, der das Abschiebezentrum bauen soll, ist nicht nur wegen Schmiergeldzahlungen vorbestraft, er hat den Auftrag auch ohne öffentliches Vergabeverfahren erteilt bekommen.
- Ein Rechtsgutachten, das es ermöglicht hatte, ein solches Vergabeverfahren zu umgehen, entspricht nicht dem tatsächlichen Planungsstand des Projekts, wird aber dennoch vom brandenburgischen Innenministerium als rechtliches Argument verwendet.
- Das Bundesinnenministerium unterstützt das Projekt weiterhin, obwohl es von den vergaberechtlichen Ungereimtheiten weiß.
Abschiebehaftplätze für den „Masterplan Migration“
Um diese Geschichte zu verstehen, müssen wir in das Jahr 2017 zurückschauen – denn damals begann die Planung für das Abschiebezentrum am BER. Am 9. Februar 2017 findet eine Ministerpräsident:innenkonferenz (MPK) statt. Dort werden die Weichen für den „Masterplan Migration“ des späteren Innenministers Horst Seehofer gestellt.
Bund und Länder einigen sich bei der MPK nämlich auf eine radikalere Abschiebepolitik. Um diese umzusetzen, brauche es mehr Abschiebehaftplätze in den Ländern, im besten Fall an zentralen Flughäfen – so steht es in einem Protokoll des Treffens und einer späteren Zusammenfassung des Vorhabens.
Wie so etwas konkret aussehen soll, das wird erst am 25. Oktober 2021 vertraglich festgehalten. In den letzten Tagen von Seehofers Amtszeit unterschreiben das Bundesinnenministerium (BMI) und der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU) eine Grundsatzverständigung: In unmittelbarer Nähe zum Flughafen BER soll das Abschiebezentrum entstehen. Brandenburg kümmert sich um den Bau und der Bund mietet in dem Komplex dann Flächen für Behörden wie die Bundespolizei (BPOL) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Der Bau selbst wird an einen Investor ausgelagert, der das Projekt finanzieren und umsetzen soll. Er wäre dann Eigentümer und würde die Gebäude an das Land vermieten. 315 Millionen Euro wurden für Mieten und Pachten im brandenburgischen Haushalt festgeschrieben. Ein öffentliches Vergabeverfahren gibt es trotz der riesigen Summe nicht. Denn die einzigen Flächen, die für das Abschiebezentrum in Frage kommen, besitze der Investor – so argumentiert der brandenburgische Innenminister Stübgen. Dieser Argumentation folgt auch das BMI. Doch unsere Recherchen zeigen mehr als eine Ungereimtheit bei der Auftragsvergabe.