Gegen die Einwanderung nach Österreich wird massiv Stimmung gemacht. Dabei wird der Eindruck erweckt, als bräuchte Österreich die Eingewanderten nicht. Tatsächlich würde ohne sie die Versorgung der Bevölkerung sofort zusammenbrechen.
Jörg Flecker und Marvin Tauchner für A&W Blog
Die FPÖ schlägt vor, dass die Einwanderung nach Österreich umgedreht wird und Migrantinnen und Migranten sowie ihre Nachkommen möglichst das Land verlassen. Im „Handbuch für Freiheitliche Politik“ wurde dafür der Begriff „Minus-Zuwanderung“ geprägt. Später wurde der von den rechtsextremen Identitären verwendete Begriff „Remigration“ übernommen. Im Herbst 2022 präsentierte die Freiheitliche Jugend Oberösterreichs einen „Remigrationsbericht“. Auch nach der von „Correctiv“ im Jänner 2024 aufgedeckten rechtsextremen Veranstaltung in Potsdam distanzierte sich die FPÖ nicht von der Forderung der als Massendeportation verstandenen „Remigration“. Im Gegenteil: Herbert Kickl machte sich über den Bericht von „Correctiv“, der den Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ trug, mit seinem Vorschlag eines „Geh-heim-Plans“ lustig. Gegen „Remigration“ sei nichts einzuwenden.
Es ist anzunehmen, dass der Verlust auch nur eines Teils der migrantischen Bevölkerung in Einwanderungsländern wie Österreich einen gravierenden Mangel an Arbeitskräften und erhebliche Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung nach sich ziehen würde. Was könnte dann Hintergrund der Forderung der FPÖ nach „Minus-Zuwanderung“ und „Remigration“ sein? Die Forderung deckt sich mit der völkischen Ideologie und ihrer Fantasievorstellung eines ethnisch homogenen Volkes, das „unvermischt“ erhalten bleiben solle. Diese Ideologie ist vom Nationalsozialismus bekannt und wird aufrechterhalten, obwohl es in der Geschichte Österreichs wohl nie „unvermischte“ Völker gegeben hat.
Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive stellt sich die Frage, welche Folgen die Umsetzung des Vorhabens hätte, den migrantischen Teil der österreichischen Bevölkerung auf freiwilliger oder unfreiwilliger Basis abzusiedeln. Wie wären Österreichs Wirtschaft und Gesellschaft davon betroffen?
Beschäftigte mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft
Die Auswertung von Arbeitsmarktdaten an der Universität Wien ergibt ein klares Bild: In einzelnen Branchen wäre die weitere Geschäftstätigkeit undenkbar. So haben in der Gebäudereinigung und -betreuung, im Hotel- und Gastgewerbe und in der Arbeitskräfteüberlassung mehr als die Hälfte der unselbstständig Beschäftigten keine österreichische Staatsbürgerschaft. Beherbergung und Gastronomie: 56 Prozent, Arbeitskräfteüberlassung: 52 Prozent, Gebäudebetreuung und Garten- und Landschaftsbau: 62 Prozent.
Aber auch andere für die Versorgung der Bevölkerung wichtige Branchen haben einen hohen Anteil von Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, ohne die daher eine Fortsetzung des Betriebs nicht möglich wäre. Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln: 39 Prozent, Pflegeheime: 31 Prozent, Erziehung und Unterricht: 28 Prozent.
Sehr viele ausländische Arbeitskräfte arbeiten also dafür, dass das gewohnte Leben in Österreich möglich ist. Zugleich zahlen sie in die Sozialversicherung ein, aus der die Leistungen u. a. für Kranke und Pensionist:innen bezahlt werden.
Erwerbstätige mit Migrationshintergrund
Doch die unter dem Titel „Remigration“ diskutierten rechtsextremen Vorstellungen orientieren sich nicht an der Staatsbürgerschaft. Also müssen die vielen eingewanderten Personen und ihre Kinder dazugerechnet werden, die eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Nimmt man alle Personen mit „Migrationshintergrund“ unabhängig von der Staatsbürgerschaft, aber einschließlich der Selbstständigen und als Anteil an allen aktuell Erwerbstätigen, zeigt sich ein ähnliches Bild. In der Beherbergung und Gastronomie haben in Österreich 48 Prozent und in den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (Gebäudereinigung etc.) 49 Prozent Migrationshintergrund.
Die Bedeutung der migrantischen Arbeitskräfte für die österreichische Wirtschaft und für die Versorgung der österreichischen Bevölkerung ist vielen nicht bewusst. Das hat auch damit zu tun, dass ihr Anteil zuletzt stark gestiegen ist. Während 2023 28 Prozent der Erwerbstätigen in Österreich Migrationshintergrund hatten, waren das im Jahr 2011 erst 18 Prozent gewesen.
Wien weicht dabei deutlich vom österreichischen Durchschnitt ab. Dort hätte die Umsetzung des FPÖ-Vorhabens besonders dramatische Folgen: Die überwiegende Mehrheit der in Wien arbeitenden Erwerbstätigen in der Beherbergung und Gastronomie (73 Prozent), in den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (Gebäudereinigung etc.) (65 Prozent) und im Bauwesen (68 Prozent) hat im Jahr 2023 „Migrationshintergrund“, d. h. beide Eltern sind im Ausland geboren. Ohne sie kämen der Wohnungs- und U-Bahnbau, der Tourismus und das Ausgehen am Abend zum Stillstand, Gebäude würden nicht mehr gereinigt. Aber auch der Verkehr, der Handel und das Gesundheits- und Sozialwesen könnten ohne sie nicht aufrechterhalten werden, haben doch 54 Prozent der Erwerbstätigen im Wiener Verkehrswesen, 51 Prozent im Wiener Handel und 43 Prozent im Wiener Gesundheits- und Sozialwesen Migrationshintergrund. Die Versorgung der Bevölkerung wäre nicht mehr möglich.
Insgesamt ergibt die sozialwissenschaftliche Analyse einen eindeutigen Befund: Angesichts dieser Zahlen ist die Vorstellung, inländische Arbeitskräfte könnten die ausländischen ersetzen, absurd. Es ist offensichtlich, dass die Versorgung der Bevölkerung ohne Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft bzw. mit Migrationshintergrund überhaupt nicht denkbar ist. Damit ist klar: Eine Migrationspolitik à la FPÖ wendet sich nicht nur gegen die Migrantinnen und Migranten, sondern gegen die gesamte Bevölkerung Österreichs.
„Integration“ darf nicht nur eine Forderung an eingewanderte Personen sein. Sie setzt auch voraus, dass über diese Bevölkerungsgruppe wahrheitsgemäß gesprochen wird und ihre Leistungen anerkannt werden. Und der gesamten Bevölkerung sollte klar kommuniziert werden, worin fantasierte und worin tatsächliche Bedrohungen liegen.
Der Beitrag basiert auf einem Mediengespräch von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ vom 13. Juni 2024.
Datenquellen: Dachverband der Sozialversicherungsträger; Statistik Austria: Mikrozensus – Arbeitskräfteerhebung