Die albanisch-britische Philosophin Lea Ypi beschäftigt sich mit den Mängeln des Kapitalismus. Sie stellt die vergessene Moral dieses Systems zum öffentlichen Diskurs (der Freitag, 27.06.2024) und fragt, ob die LINKE einer falschen Annahme hinterher läuft.
Ihr Ansatz geht auf die tiefen Wurzeln der bürgerlichen und sozialen Entwicklung, auf Zeiten Immanuel Kants zurück, der im Vorfeld der französischen Revolution seine „Kritiken“ zu Papier brachte. Es waren u.a. Überlegungen zu den Maximen einer „Praktischen Vernunft“ und zum „Ewigen Frieden“. Kant ging davon aus, dass die Vernunft und auch der Frieden eine praktische Seite für das Handeln der Menschen haben. Kants Leben (und spätere Zeiten) waren nicht nur vom Kolonialismus, sondern auch von den Unruhen der Bauern in den deutschen Fürstentümern, in Frankreich, England/Irland, Mexiko, Russland, China beeinflusst. Der Bauernstand steht ja am Ende der Kette von Abhängigen, zusammen mit den ebenfalls unfreien Akademikern, Arbeitern, angestellten Kopfarbeitern. Auch Kunstschaffende leben in Abhängigkeiten bis zur Gegenwart.
Die Moral ist in den Vorzimmern des kapitalistischen Rechtsstaats stecken geblieben. Kriege und ihre Förderer bestimmen zum Großteil die Tagesordnung des Systems. Auch den Umgang mit der Steuerflucht ins Ausland, mit Steuervermeidung (Cum-cum). Die Hauptakteure der Unmoral brauchen nur eine geringe Zahl von Tatbeständen in den Strafgesetzbüchern fürchten. So sind im deutschen Strafgesetzbuch der Wirtschaft etwa 18 und im Subventionsgesetz 6 Paragrafen enthalten. Dagegen enthält das Sozialgerichtsgesetz etwa 108 Tatbestände, die zur Verurteilung herangezogen werden. Ein soziales Unbehagen ruft die Doppelmoral des Systems hervor, ohne das es auf der politischen Agende der Linken steht.
Eine Vertiefung der Analyse bringt ans Tageslicht, dass die Einführung der universellen Menschenrechte aus der Charta von 1947 in allen kapitalistischen Staaten noch viele Defizite aufweist. Auch in Deutschland.
Demokratie und Kapitalismus sind nicht kompatibel, meint Lea Ypi. Das verhindert schon die Entscheidungsmacht der jeweiligen Kapitalanteile in der Wirtschaft und die Besetzung im Parlament und Regierung gemäß Stimmenanteile nach den Wahlen, im Rahmen der repräsentativen Demokratie.
Der Sozialismus hatte in seiner Anfangsphase gleichfalls moralische Defizite in seiner praktischen Gestaltung. Der Stand der Umsetzung der Menschenrechte bringt Beweise, dass der Sozialismus auf gutem Wege ist, die Moral zu achten. Dazu gehören: Keine Arbeits- und Wohnungslosigkeiten, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die partizipative Demokratie in der Kommune und Wirtschaft, die alle Betroffenen befragt, sowie das kostenlose Gesundheits- und Bildungswesen. Im Vordergrund sozialistischer Parlamente stehen nicht Geldgewinne und Wachstum als Maximen, sondern Aufgaben der humanen Fürsorge.
Die Charta der universellen Menschenrechte wird von der Mehrheit aller Staaten der UNO anerkannt. Sie ist ein Kompass des Demokratischen Sozialismus im 21. Jahrhundert. Die Volksrepublik China setzt mit der Begrenzung der Gehälter der Bankenchefs weitere Achtungszeichen zur Einhaltung der Moral.
Der Bundestag sollte gebeten werden, als gemeinsame Aktion aller gewählter Parteien, einen Moralkodex auszuarbeiten und mit Gesetzeskraft zu verabschieden. Der Ethikrat könnte als Gutachter herangezogen werden.
Die Pluspunkte bei der Einhaltung der Moral spiegeln sich in den Programmen des humanen Sozialismus linker Parteien und Bewegungen wider. Kaum jedoch in ihrer Tagespolitik. Sie werden von Links ungenügend zur Werbung von neuen Mitgliedern und zur Gewinnung von Wahlstimmen genutzt. Der Schlachtruf der FREIHEIT des kapitalistischen Systems wird fälschlich in seinen Zusammenhängen aufgeklärt.
Zum 75. Jahrestag der NATO hatten nur die Abgehobenen der G7 einen Grund, das Sektglas zu heben. Abermillionen Familien trauern weltweit um die Toten der Kriege für Gewinn und Wachstum. Die Stationierung von Raketen in Deutschland ab 2026, die Moskau erreichen können und das militärische Operationszentrum Ramstein verstärken die Unruhen der Bevölkerung vor den Landestags und der Bundestagswahl 2025.