Die Idee der Effizienz ist in der heutigen Welt allgegenwärtig. Die ständige Effizienzsteigerung ist das Ziel der Automobilingenieure ebenso wie das der Zentralbankpräsidenten. Dem ehrwürdigen Oxford English Dictionary zufolge gibt es mehr als ein Dutzend Varianten von Effizienz allein als Substantiv. Effizienz ist ein Maß für die Wirksamkeit oder den „Erfolg bei der Erreichung [eines beabsichtigten] Zwecks“. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Effizienzargument sowohl in der Theorie als auch in der Praxis der Nachkriegsentwicklung im Globalen Süden eine zentrale Rolle gespielt hat.

Effizienz ist angeblich ein objektiver Maßstab, um die Wirksamkeit von Projekten zu messen, die im Namen der Entwicklung durchgeführt werden. Ein Effizienzmaßstab ist jedoch nicht objektiver als der ihm zugrunde liegende Zweck. Die Effizienz kann den Mantel der Objektivität aufrechterhalten, weil sie von einem operativen Mittel oder einer effizienten Ursache zu einem Selbstzweck geworden ist – zur ‚letzten Ursache‘.

Effizienz ist in der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung so allgegenwärtig, dass sich Disziplinen von der Informatik bis zu den Kulturwissenschaften – und allem, was dazwischen liegt – mit ihren Erscheinungsformen beschäftigen. Trotz der offensichtlichen Vielfalt der verschiedenen Verwendungszwecke von Effizienz ist es möglich, einen stabilen Entstehungsmechanismus zu identifizieren, der ihre Entwicklungsgeschichte und politische Ökonomie von ihren Ursprüngen im langen englischen 18. Jahrhundert bis in die heutige Zeit erklärt. Jede Messung von Effizienz umfasst drei Stufen. Zunächst wird ein normativer Maßstab für das zu untersuchende Phänomen festgelegt. Beispiele hierfür sind: die maximale Arbeit, die aus einer idealen Wärmekraftmaschine herausgeholt, oder das maximale Vergnügen, das aus einer menschlichen Tätigkeit gewonnen werden kann. Die maximale menschliche Entwicklung wäre ein weiteres Beispiel. Zweitens werden Beobachtungen über den tatsächlichen Zustand der Welt gemacht, indem beispielsweise die Leistung von echten Dampfmaschinen gemessen wird. Letztlich gibt jede Effizienzmessung einfach die Abweichung des beobachteten Zustands der Welt von der normativen Benchmark[1] an. Diese Struktur der Normabweichung hat vom 19. Jahrhundert bis heute den festen Rahmen für die Behandlung politischer Fragen der Verbesserung, des Fortschritts, der Modernisierung und der Entwicklung geliefert.

Effizienz ist eine quantifizierte Normabweichung, und ihre Geschichte überschneidet sich in erheblichem Maße mit dem Aufkommen der Quantifizierung im 19. Jahrhundert. Die Überschneidung von Effizienz und Quantifizierung verbindet die ersten Baumwollspinnereien im Großbritannien der Industriellen Revolution mit dem US­amerikanischen Ford­Fließband. Es war die Logik der Effizienz und der Quantifizierung, die den Übergang von Handwerker­ und Bäuer*innen zum Industrieproletariat bewirkte. Um die Jahrhundertwende hatten quantifizierte Effizienzmessungen auch ihren Weg in die Haushalte gefunden, und zwar mit dem Aufkommen der Hauswirtschaftsbewegung[2]. Der Rahmen der Normabweichung, der den Effizienzmessungen zugrunde lag, war in der Tat von zentraler Bedeutung für die Verbreitung von Quantifizierung und Objektivität. Subjektive Normen konnten nun in einer Effizienzmessung mit Normabweichung verschwinden. Es gibt eine nicht reduzierbare normative Komponente in jeder Effizienzmessung, um die wir uns nicht mehr kümmern. Eine monotone Steigerung der Effizienz gilt als ungetrübtes Vergnügen, selbst wenn die Steigerung der Effizienz zur Ausplünderung der Menschen und des Planeten selbst führt.

Effizienz war ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklungsmodelle auf beiden Seiten des Kalten Krieges. Von Anfang an war die der Effizienz zugrunde liegende Struktur der Normabweichung für die Messung der Entwicklungsergebnisse von zentraler Bedeutung. Wenn Entwicklungsökonomen beispielsweise die Fortschritte eines Landes im Laufe der Zeit untersuchen oder länderübergreifende Vergleiche anstellen, verfolgen sie das Nationaleinkommen eines Landes als prozentualen Anteil vom Nationaleinkommen der Vereinigten Staaten für die jeweiligen Jahre. Zeitgenössische Maßstäbe zur Messung eines breiteren Spektrums von Entwicklungsergebnissen, die über das Nationaleinkommen hinausgehen, wie etwa der Index für menschliche Entwicklung (HDI – Human Development Index), sind direkt aus ideologischen und materiellen Kämpfen um Fragen der Effizienz entstanden. Effizienzziele werden stets als Begründung für die Liberalisierungs­, Privatisierungs­, Globalisierungsrezepte angeführt, die zu einer besseren Entwicklungsleistung führen sollen. Der Einsatz und Missbrauch von Effizienz ist jedoch nicht auf die Befürworter*innen der neoliberalen Globalisierung als Instrument für eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung beschränkt. Effizienzargumente waren das Herzstück des kommunistischen Systems von der Zeit der bolschewistischen Machtübernahme in Russland bis zum Ende des Kalten Krieges. Wie Stalin vorschlug: „die Essenz des Leninismus“ ist das Zusammentreffen des russischen revolutionären Schwungs mit der amerikanischen Effizienz.

Die Akkumulation durch Enteignung als neuer Imperialismus ist Teil einer langen Kette von Ereignissen, die von der Idee der Effizienz durchsetzt sind. Das Streben nach Effizienz treibt eine politische Ökonomie der Produktion voran, die eine Zentralisierung der produktiven Ressourcen erfordert, was wiederum Konflikte und Auseinandersetzungen mit der Entwicklung unvermeidlich macht. Effizienz als nationale und soziale Tugend bildet mindestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts das Herzstück des modernen liberalen Denkens und lieferte die normative Rechtfertigung für Imperien, die auf der Grundlage kolonialer Eroberungen errichtet wurden. Die Entwicklungskonflikte in weiten Teilen des Südens, die sich um Vertreibung und Enteignung drehen, werden durch die Ideen des effizienzgetriebenen Fortschritts angeheizt, die das koloniale Vorhaben getragen haben. Auch wenn sich Kern und Peripherie heutiger Entwicklungskonflikte oft innerhalb einer gemeinsamen staatlichen oder nationalstaatlichen Grenze abspielen, so ist es dennoch sinnvoll, die politische Ökonomie solcher Konflikte unter dem Blickwinkel der Effizienz zu untersuchen.

Im Zeitalter der Entwicklung gibt es keine wichtigere Idee als das Wirtschaftswachstum, das unser anhaltendes Engagement für Effizienz antreibt. Abgesehen von der Anerkennung des großen Zielkonflikts zwischen Gleichheit und Effizienz und von gelegentlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation hat sich das „Evangelium der Effizienz“ weitgehend durchgesetzt. Zum einen war nach der weltweiten Ölkrise in den 1970er Jahren und noch stärker mit der Anerkennung der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel die Verbesserung der Energieeffizienz und ganz allgemein der ökologischen Effizienz die bevorzugte Antwort auf das ökologische Dilemma. Effizienzverbesserungen allein haben die viktorianischen Ängste[3] in Bezug auf Kohle nicht gelöst und werden auch unsere heutigen Probleme nicht lösen.

Die Effizienzrevolution hat ihren Lauf genommen. Angesichts der historischen politischen Ökonomie der Effizienz kann eine Post­Development­Welt nur geschaffen – oder auch nur erdacht – werden, wenn wir uns von der Verpflichtung zur Effizienz lösen. Eine Post­Development­Welt kann nicht mit Effizienz als Leitprinzip aufgebaut werden!

Übersetzung ins Deutsche von Hannelore Zimmermann

Pressenza veröffentlicht in einer Reihe Auszüge aus „Pluriversum: Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und unter Creative Commons Lizenz: CC-BY-NC-ND. Das Buch ist als PDf-Datei unter agspak.de/pluriversum kostenlos abrufbar.

Alle Beiträge in der Reihe Pluriversum gibt es hier.

Anmerkungen

[1] Maßstab für den Vergleich von Leistungen (Duden) (Anm. d. Übers.)

[2] Die Lebensreform (um 1900) fiel zusammen mit der Frauenbewegung. Beide setzten sich das Ziel, die Hausarbeit zu reduzieren. Die Wohnung sollte verkleinert, die aufwändige Dekoration radikal reduziert und die Kleidung vereinfacht werden. Funktionale Einbaumöbel sollten das stundenlange Staubwischen überflüssig machen. Die Pläne der Hauswirtschaftsreformatorinnen gingen sogar dahin, das Kochen in der eigenen Wohnung überhaupt abzuschaffen, Großküchen und Wäschereien sollten die Arbeit der Hausfrauen und Dienstmädchen ersetzen. (s. wikipedia – Hauswirtschaft) (Anm. d. Übers.)

[3] Viktorianische Ängste beziehen sich auf die Furcht und Besorgnis, die während der viktorianischen Ära im 19. Jahrhundert in Großbritannien vorherrschten. Die viktorianische Ära, benannt nach Königin Victoria, die von 1837 bis 1901 regierte, war eine Zeit des Wandels und der fortschreitenden Industrialisierung. Während dieser Zeit gab es bestimmte soziale, politische und kulturelle Entwicklungen, die Ängste und Unsicherheiten in der Gesellschaft hervorriefen. (Anm, d. Übers.)

Weitere Quellen

Alexander, Jennifer Karns (2008), The Mantra of Efficiency: From Waterwheel to Social Control. Baltimore: Johns Hopkins University Press.

Chatterjee, Partha (2011), Lineages of Political Society: Studies in Postcolonial Democracy. New York: Columbia University Press.


Deepak Malghan ist ein ökologischer Wirtschaftswissenschaftler und Historiker. Er lehrt am Indian Institute of Management Bangalore in Indien.

Der Originalartikel kann hier besucht werden