Die Osteuropa-Expertin Anne Applebaum bekommt gleich zwei deutsche Friedenspreise. Wofür? Das weiß niemand.

Gabriela Neuhaus  für die Online-Zeitung INFOsperber

1936 erhielt der deutsche Publizist und Pazifist Carl von Ossietzky den Friedensnobelpreis. Er schrieb zeitlebens gegen Totalitarismus, Aufrüstung und Krieg an. Deswegen wurde er ab 1932 wiederholt verhaftet und gefoltert. 1938 starb Ossietzky im Alter von 49 Jahren.

In Erinnerung an Ossietzkys unermüdliche Friedensarbeit verleiht die Stadt Oldenburg seit 1984 im Zweijahresrhythmus den Carl-von-Ossietzky-Preis. Dieses Jahr ging er an die US-amerikanische Historikerin und Publizistin Anne Applebaum.

Nun wurde bekannt, dass Applebaum im Oktober auch noch den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche entgegennehmen darf.

Da stellt sich sogleich die Frage: Was hat Frau Applebaum denn Preiswürdiges gemacht, um sich gleich zweifach für einen deutschen Friedenspreis zu qualifizieren?

Ausgerechnet Anne Applebaum, die seit Beginn des Kriegs in der Ukraine nicht müde wird, unentwegt und auf allen Kanälen eine Ausweitung der Waffenlieferungen an die Ukraine zu fordern. Anne Applebaum, die Waffenstillstandsgespräche mit Putin rundweg ablehnt und prophezeit: «Der Krieg wird enden, wenn Russland versteht, dass es keine imperialistische Macht mehr ist. Wir können Russland darin unterstützen, indem wir der Ukraine helfen, ihr Territorium zurückzugewinnen.»

Mehr noch: Applebaum beschwört die Notwendigkeit einer signifikanten Steigerung der Waffenproduktion in Europa. Aufrüstung sei nötig, so ihr Rezept, um die Demokratien gegen die wachsende Gefahr durch Autokratien zu verteidigen. Mit einer deutlichen Stärkung der Nato glaubt sie die Sicherheit in Europa und namentlich der Ukraine zu garantieren.

Applebaums Begeisterung für die Nato ist nicht neu: In den 1990er Jahren hatte sie sich, gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem polnischen Europapolitiker und Aussenminister Radoslaw Sikorski, für den Nato-Beitritt Polens stark gemacht. Gemeinsam gelten sie seither als Power-Paar der konservativ-liberalen Élite, das auch vor lautem Säbelrasseln nicht zurückschreckt: Es war Sikorski, der im Frühjahr verlauten liess, Nato-Soldaten würden bereits in der Ukraine kämpfen…

Anne Applebaum ist demnach alles andere als eine Friedensstifterin. Trotzdem wird die Wahl in den deutschsprachigen Medien weitgehend begrüsst, ja gar euphorisch gelobt.

«Mit Anne Applebaum erhält eine Historikerin den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, die einen allzu schlichten Friedensbegriff scharf kritisiert. Eine gute Wahl», applaudiert etwa «Zeit online». Vor dem Hintergrund der osteuropäischen Erfahrungen weise Applebaum in ihren historischen Arbeiten immer wieder darauf hin, dass «Frieden» ein Deckname für Unterdrückung sein könne, wo Freiheit und Gerechtigkeit fehlten.

Auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die sich dafür engagieren, Kriege zu beenden und Brandherde zu löschen, bevor sie zu Kriegsschauplätzen werden. Frau Applebaum gehört mit Bestimmtheit nicht in diese Kategorie. Und man fragt sich: Wie um Himmelswillen kommen hochdotierte Jurys dazu, eine Nato-Promotorin zur Friedenspreisträgerin zu küren?

Das Statut hinter dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels lautet:

«Die Stiftung dient dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker. Dies geschieht durch die Verleihung des Friedenspreises an eine Persönlichkeit, die in hervorragendem Masse vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat.»

Das ist an Deutlichkeit kaum zu übertreffen.

Ob die Wahl im neunköpfigen Stiftungsrat einstimmig erfolgt ist, wissen wir nicht. Sie ist aber ein politisches Signal, das den Stiftungszweck der Lächerlichkeit preisgibt. Applebaums Kriegs- und Aufrüstungsrhetorik kann man zur Kenntnis nehmen. Was sie «hervorragendes zur Verwirklichung des Friedensgedankens» beigetragen haben soll, bleibt das Geheimnis der Jury.

Fazit: Mit diesen beiden Auszeichnungen für Anne Applebaum werden Sinn und Zweck von Friedenspreisen ad absurdum geführt. Die in Deutschland medial breitgetretene Preisverleihung in der Paulskirche ist dieses Jahr kein Ereignis. Auf alle Fälle keines, das dem Frieden dient.

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Der Artikel ist am 27. Juni 2024 auf offroadreports.ch erschienen.

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