Berlin treibt mit Blick auf einen etwaigen Krieg gegen Russland den Ausbau von Straßen, Schienen und Brücken in Richtung Osten voran – auch mit zivilen Mitteln. Experten fordern Investitionen in bis zu dreistelliger Milliardenhöhe.

Berliner Regierungsberater fordern kurzfristig für „die dringendsten“ Maßnahmen zur Vorbereitung der deutschen Verkehrsinfrastruktur auf einen Krieg gegen Russland „mindestens“ 30 Milliarden Euro. Wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einer aktuellen Studie schreibt, sei diese Summe erforderlich, um insbesondere Straßen, Schienen und Brücken für den Transport von Truppen und großen Mengen militärischen Materials in Richtung Osten vorzubereiten. Hinzu kommen – aufgrund des ausgeprägten Dual-Use-Charakters der Verkehrsinfrastruktur – milliardenschwere Investitionen, die Berlin für zivile Verkehrsprojekte zur Verfügung stellt. Ein Beispiel bietet der Ausbau der Küstenautobahn A20, die die Bundeswehr nicht nur für Militärtransporte an die NATO-Ostflanke, sondern auch als Bindeglied zwischen militärisch wichtigen Häfen an Nord- und Ostsee benötigt. Mittel stellt auch die EU im Rahmen ihres Aktionsplans zur militärischen Mobilität 2.0 bereit, der dazu dient, „die Bewegung von Streitkräften in Europa zu erleichtern“ – „an den Außengrenzen der EU und darüber hinaus“. Die EU-Mittel dafür belaufen sich auf 1,69 Milliarden Euro.

Dual Use

Die Infrastrukturinvestitionen, die dem Ausbau der Verkehrswege in Richtung Osten und letztlich der Vorbereitung eines etwaigen Krieges gegen Russland zugute kommen, fließen nicht ausschließlich aus den Töpfen für militärische Mobilität, sondern insbesondere auch aus Mitteln für die zivile Infrastruktur. Die Bundesregierung bestätigt, die „militärischen Bedarfe an die Verkehrsinfrastruktur“ würden bei der zivilen „Gesamtverkehrswegeplanung“ berücksichtigt; welche Gelder speziell den Belangen der Streitkräfte zugute kämen, könne „daher nicht einzeln ausgewiesen werden“. Erhalt und Ausbau der zivilen Infrastruktur decke sich „im Wesentlichen mit den Bedarfen der Bundeswehr“. Deutschlands Brücken beispielsweise macht Berlin mit formal zivilen Verkehrsinvestitionen für Schwertransporte fit – und erfüllt dabei „im Regelfall auch alle Anforderungen an militärische Lasten“.[1] Für die zivile Infrastruktur fordern regierungsnahe Experten kurzfristige Investitionen von 165 Milliarden Euro und im Laufe der nächsten zehn Jahre sogar 457 Milliarden Euro.[2] Auf EU-Ebene sind insgesamt 25,8 Milliarden Euro für Verkehrsinfrastrukturprojekte bestimmt – das sogenannte CEF Transport Budget (Connecting Europe Facility for Transport).

Autobahn gen Osten

Ein konkretes Beispiel für den Ausbau militärischer Mobilität über zivile Infrastrukturprojekte ist die umstrittene A20, die sogenannte Küstenautobahn in Schleswig-Holstein. Mit der A20 entstehe „eine wichtige Ost-West-Verbindung“ für Truppenbewegungen, erläutert der Kommandeur des Bundeswehr-Landeskommandos Schleswig-Holstein, Axel Schneider. Die neue Autobahn biete „weitere Optionen, die Häfen an Nord- und Ostsee miteinander zu verbinden“. Über beide Meere verlaufen wesentliche transatlantische Marschrouten in Richtung NATO-Ostflanke. Schleswig-Holstein müsse sich darüber hinaus „darauf einstellen, wichtiger militärischer Raum für Truppenbewegungen aus und in den nordeuropäischen Raum zu werden“, erklärt Schneider, dem zufolge Deutschland den Friedenszustand bereits verlassen hat: „De jure sind wir nicht im Krieg, de facto nicht mehr im Frieden“.[3]

Panzerzüge

Noch höhere Bedeutung für Militärtransporte als die Straßen besitzt das Schienennetz. Das Gleissystem sei „der wichtigste Bestandteil der militärischen Logistik“, heißt es in der DGAP-Studie zur militärischen Mobilität. Die Transportkapazitäten der Bahn seien weder durch Straßen noch durch Wasserwege oder Lufttransporte zu kompensieren; Gleise seien bei einem Aufmarsch gegen Russland „der Hauptkanal“, um „große Mengen an Truppen und schwerem Gerät“ von Bundeswehr und verbündeten Streitkräften zu verlegen. Allein für die dringendsten Bahn-Investitionen der nächsten drei Jahre seien 88 Milliarden Euro notwendig, heißt es in der Studie.[4] Im Rahmen der EU-Programme im Bereich militärische Mobilität hat die Bundesregierung ein Projekt mit dem Titel „Gezielter Ausbau der Ost-West-Schieneninfrastruktur“ eingereicht. Mit den EU-Geldern will Berlin einen Gleisanschluss am Bahnhof Sechtem zwischen Köln und Bonn sowie ein Straßen-Schienen-Terminal in Ulm-Dornstadt ausbauen; zudem soll eine neue Brücke in Hannover-Ahlem errichtet werden. Das zuständige Bundesverkehrsministerium pflege eine enge Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium, heißt es. Insgesamt sind für die Projekte rund 183 Millionen Euro eingeplant, wovon die EU rund 92 Millionen Euro übernimmt.[5]

Militär hat Priorität

Trotz umfassender Probleme beim Sicherstellen des zivilen Bahnverkehrs, der seit Jahren unter immer gravierenderen Verspätungen und Zugausfällen leidet, fordert die DGAP bei Investitionen in das Schienennetz eine Priorisierung der militärisch relevanten Streckenabschnitte – ausdrücklich der Strecken zwischen Bremen und Osnabrück bzw. Osnabrück und Münster.[6] Neben dem Ausbau des Gleisnetzes tragen auch die Verfügbarkeit von Fahrzeiten, Zügen und Waggons, die für militärische Schwertransporte geeignet sind, zur militärischen Mobilität bei. In Friedenszeiten sichert sich die Bundeswehr den Zugriff auf die zivile Infrastruktur unter anderem mit gewöhnlichen Verträgen; so hat sie Vereinbarungen mit der Deutschen Bahn über die Nutzung von Gleisen und Fahrzeugen getroffen.

Zugriff auf die Zivilgesellschaft

Im Kriegsfall allerdings räumt der deutsche Staat der Bundeswehr umfassende Zugriffsrechte auf die Zivilgesellschaft ein. Die „gewerbliche Wirtschaft hat nach dem Bundesleistungsgesetz z. B. Kraftfahrzeuge, IT-Infrastrukturen und -dienstleistungen, Bau- und Depotgeräte sowie Umschlagsleistungen […] zur Verfügung zu stellen“, heißt es dazu in den jüngst aktualisierten Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung. Berlin plant demnach, die „Versorgung der Bundeswehr mit Gütern und Leistungen im Bedarfsfalle durch Nutzung ziviler Verkehrsmittel, -leistungen und -einrichtungen“ zu gewährleisten. Der öffentliche und private Individualverkehr könne bei Bedarf „eingeschränkt werden“ – etwa, um das überlastete Schienennetz für Truppenbewegungen frei zu machen.[7] Neu ist, dass Berlin die „Unterstützungsmaßnahmen der zivilen Seite für die Bundeswehr im äußeren Notstand“ mit den neuen Rahmenrichtlinien auch auf „verbündete Streitkräfte“ ausweitet.[8] Außerdem seien „die geeigneten rechtlichen, materiellen und personellen Rahmenbedingungen zu schaffen“, um die Zivilgesellschaft „bereits vor dem Eintritt des äußeren Notstandes“ zu „Maßnahmen zur Unterstützung militärischer Verlegungen eigener und verbündeter Streitkräfte“ heranzuziehen – etwa bei Großmanövern wie der kürzlich abgeschlossenen Kriegsübung Quadriga 2024.[9]

[1] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christian Sauter, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/25059. Berlin, 08.12.2020.

[2] Jannik Hartmann: Military Mobility. DGAP Policy Brief Nr. 10. Berlin, Juni 2024.

[3] Bundeswehr braucht A20-Weiterbau. Holsteinischer Courier 02.05.2024.

[4] Jannik Hartmann: Military Mobility. DGAP Policy Brief Nr. 10. Berlin, Juni 2024.

[5] Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Siemtje Möller auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Markus Grübel. Deutscher Bundestag, Drucksache 20/10233. Berlin, 30.01.2024.

[6] Jannik Hartmann: Military Mobility. DGAP Policy Brief Nr. 10. Berlin, Juni 2024.

[7] Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung – Gesamtverteidigungsrichtlinien – (RRGV). Berlin, Juni 2024.

[8] Bundesregierung stärkt militärische und zivile Verteidigung Deutschlands. bmvg.de 05.06.2024.

[9] Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung – Gesamtverteidigungsrichtlinien – (RRGV). Berlin, Juni 2024. S. auch Militärkolonnen gen Osten und Ein halbes Jahr Aufmarschmanöver.

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