Ein persönlicher Bericht über die Teilnahme an den Vorverhandlungen für die Klimakonferenz in Baku dieses Jahr.

Von Helga Merkelbach

UNFCCC, SB 60 in Bonn – Daran habe ich in der zweiten Woche als 2647. registriertes Mitglied innerhalb einer der losen Gruppierungen von Nicht-Regierungs-Organisationen, der Women’s Gender Constituency teilgenommen. Nichts verstanden? So ging es mir zu Anfang und, wenn etwa vier Abkürzungen hintereinander genannt wurden, auch noch am Ende der Klimakonferenz. Die Abkürzungen sind auf Englisch, der Konferenzsprache, derer oft Menschen aus ehemals französischen Kolonien oder Indigene aus dem Portugiesisch sprachigen Brasilien nicht mächtig waren. Dabei wird Belem im Amazonas in Brasilien 2025 die Klimakonferenz beherbergen.

Ich war zum ersten Mal auf der Vorbereitungskonferenz der (CSB) Nebenorgane der Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) von 1992, in der sich Mitgliedstaaten verpflichten, etwas fürs Klima zu tun, je nach Mitgliedtyp (Annex 1, 2, nicht-Annex). Verständlich ausgedrückt: Länder des globalen Nordens wie USA, Kanada oder EU-Staaten haben sich verpflichtet, Ländern des globalen Südens beizustehen, damit sie die Klimaveränderungen bewältigen, in den drei Bereichen Abschwächung der Klimafolgen (mitigation), Anpassung (adaptation) und Aufkommen für Verlust und Schaden (loss and damage).

Die eigentliche Klimakonferenz, wo Beschlüsse gefasst werden (COP, Conference of the Parties), findet jedes Jahr im November und Dezember statt, voriges Jahr in Dubai (VAE) dieses Jahr in Baku (Aserbeidschan), nächstes Jahr in Belem (Brasilien). Vorherige Beschlüsse werden nach dem Ort der Konferenz benannt. Paris / 2015 steht für Reduzierung der CO2 Emissionen auf deutlich unter 2°. In Sharm El Sheik / 2023 wurde eine Klimafinanzierung beschlossen (ein „Finanztopf“). Dubai oder UAE steht dafür, dass die Staaten des globalen Nordens auch Finanzmittel für den Topf bereitstellen wollen, ein paar Staaten zahlten schon einmal kleine Summen ein. In Bonn 2024 diskutierten die Unterhändler:innen der Staaten (Parties) nun darüber, zu wie viel Geld sich die Geberländer bereiterklären. Dabei wurde von Expert:innen klargestellt, dass der Klimawandel seit Paris / 2015 schon spürbar zur Klimakatastrophe umgeschlagen ist und statt Milliarden Billionen nötig wären. In der Schlusserklärung, der Vorlage für COP 29 in Baku, einigte man sich in Bonn im Juni 2024 lediglich auf eine Frist, bis wann man sich einigen wolle. USA und die EU-Länder standen dabei auf der Bremse und nannten als Grund, dass ihre Haushaltsmittel für noch dringendere Anliegen gebraucht würden. Deutlich erhöht wurden in diesen Ländern die Gelder fürs Militär und direkte Unterstützung an Ukraine und Israel für deren Kriegsführung.

3242 Vertreter:innen der Parties waren registriert, 2467 Vertreter:innen von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) waren zugelassen. Zusammen mit Vertreter:innen von UN Organisationen trafen rund 7000 Menschen in Bonn zusammen. NGOs bekommen das Schild „Beobachter:innen“ und dürfen in den Verhandlungen sprechen, maximal zwei Minuten und erst dann, wenn alle Staaten gesprochen, widersprochen haben oder meinen genug gesagt zu haben. Oft blieb keine Zeit übrig.

Zivilgesellschaft ist in lose Gruppen zusammengefasst, denen die Eingaben in den offiziellen Verhandlungen zugestanden werden. Sie decken die Bereiche Umwelt (ENGO), Frauen (WGC), Indigene (IPO), Gemeinden und Städte (LGMA), Wissenschaften und Unabhängige (RINGO), Gewerkschaften (TUNGO) und Jugend (YOUNGO) ab. Eine weitere Gruppe ist der BINGO-Treffer: Business und Industrie – in den letzten Jahren landeten sie immer mehr Teilnehmende in den Konferenzen. In den Beschlüssen werden sie, wenn die Staaten keine Finanzierung aufbringen, immer häufiger als Hoffnungsträger:innen genannt, mit Privatinvestitionen in eine fossil-freie Wirtschaft.

Die nicht privatwirtschaftlich finanzierten NGOs haben derweil Schwierigkeiten, ihren Vertreter:innen Flugtickets zu bezahlen und Visa zu besorgen. Ich habe an Veranstaltungen teilgenommen, wo vorgesehene Sprecher:innen per schwaches schwankendes Internet aus dem globalen Süden zugeschaltet wurden: Deutschland hatte ihnen das Visum nicht rechtzeitig bewilligt oder gar verwehrt. Die meisten kommen vom afrikanischen Kontinent, wo die Klimakatastrophe am deutlichsten zu bezeugen wäre.

Die Präsidentschaft der UNFCCC hört sich in einer Sitzung die Beschwerden der Zivilgesellschaft an, verspricht ihr Bestes zu tun und erklärt im gleichen Atemzug, dass es schon in Baku, aber erst recht in Belem noch weniger NGO-Teilnehmende geben wird. Dafür hätte doch sicher gerade Zivilgesellschaft Verständnis, wenn dem Amazonas keine Abertausende zumutbar seien.

Seit UNFCCC 1994 in Kraft trat, verhandeln 198 Staaten zusammen mit UN-Organisationen. Sie haben dabei einen Textentwurf vorliegen und ihre Unterhändler:innen äußern sich zu den einzelnen Absätzen. Zivilgesellschaft bemüht sich derweil darum, dass der Kern der Debatte nicht vergessen wird, nämlich dass Geldsummen genannt werden, die sie bereit sind einzuzahlen.

Zivilgesellschaft, manchmal gemeinsam mit beispielhaften Regierungen, stellt zur Konferenz ein Nebenprogramm auf, side events. Die Nachfrage für diese Veranstaltungen ist so stark gestiegen, dass die Raumkapazität auf dem UN-Campus in Bonn überschritten ist und auch hier nicht mehr alle NGOs zum Zuge kommen.

So kann man zusammenfassen, dass Zivilgesellschaft weltweit lauter wird und mitreden möchte, eigentlich auch darf, aber auf vielerlei Weise immer mehr in Schranken gewiesen wird, was mit „shrinking civil space“ seit Jahren schon einen Namen hat.

Zivilgesellschaft hält allerdings dagegen: Über 2000 NGOs sind im Climate Action Network vereint und sprechen sich ab, welchen Schwerpunkt sie sich für die nächste COP vornehmen. Vor Sharm El Sheikh war es die Einrichtung des Climate Funds, in Baku wollen die NGOs die Staaten zu Geldzahlungen verpflichtet sehen. Sie einigen sich auch auf Strategien, um diese gemeinsamen Schwerpunkt-Ziele durchzusetzen, über die kurzen bewilligten offiziell zugestandenen Beiträge hinaus.

Das alles klingt frustrierend und ist es auch. Die Abschlusserklärung, die aus Bonn hervorging und in Baku als Verhandlungsbasis vorgelegt werden wird, klingt am letzten Abend kurz vor Mitternacht so vage, dass man annehmen könnte, die Staaten-Vertreter:innen haben den Ernst der Stunde nicht verstanden. Dass ich nicht frustriert von dannen gehe, liegt an den Interventionen der Zivilgesellschaft, die trotz ihrer Verschiedenheit in der Lage ist, einheitlich aufzutreten: in schriftlichen Erklärungen (statements) auf Webseiten, mit beharrlichem Posten in den sozialen Medien, mit ECO (ein tägliches Informationsblatt, das allen Teilnehmenden in Bonn morgens in die Hand gegeben wird), mit Aktionen vor dem Eingang zur UN (die von deutscher Polizei genehmigt werden müssen) und mit Aktionen innerhalb des UN-Geländes (die von UN-Sicherheitskräften genehmigt und bewacht werden). Am meisten habe ich mich am Anblick der NGO-Vertreter:innen erfreut. Mehrheitlich waren es Frauen (bei den Staatsvertreter:innen sah ich überwiegend ältere Männer). Ich sah junge Gesichter, hörte laute junge Stimmen. Weiße und nicht-weiße Gesichter hielten sich in etwa die Waage und Indigene sorgten mit Kleidung und anderen Attributen dafür, dass sie nicht untergingen.

So standen an einem Morgen NGO-Vertreter:innen vor dem Eingang und begrüßten die Regierungs-Unterhändler:innen mit dem Ruf „Pay up for Climate Justice“ und weiteren Slogans, dass es nicht um Milliarden sondern Billionen geht, dass es weder Wohltätigkeit (charity) noch Kredite (loans) oder gar privatwirtschaftliche Investitionen sein dürfen sondern Reparationen, Wiedergutmachungen für Schäden, die die Kolonialmächte im globalen Süden verursacht haben, heute fortsetzen mit neokolonialen und neoliberalen Praktiken und für die sie allein verantwortlich zeichnen.

Auf diesen Kundgebungen sprachen Indigene, die in den offiziellen Paragraphen-Korrekturen der Unterhändler:innen kaum vorkamen. Sie plädierten nicht nur dafür gesehen zu werden und für die schon entstandenen Schäden Wiedergutmachungen zu erhalten, sondern vor allem dafür gehört zu werden, in ihrer Tausende Jahre alten Weisheit, ihre Natur, Mutter Erde bislang respektiert und bewahrt zu haben. – Währenddessen war in den offiziellen Verhandlungen die Rede von künstlicher Intelligenz und geo-engineering, also technologischen Lösungen. Zum Beispiel wird getestet, ob man die Sonne mit Staub verhängen könnte, um die Erderwärmung zu unterbinden.

Innerhalb des UN-Gebäudes dürfen die Verursacher-Staaten nicht namentlich genannt werden, keine Flaggen gezeigt werden. UN-Sicherheitskräfte (bewaffnet) beobachten, ob der Raum (kein Zentimeter weiter) und die Zeit (keine Minute mehr) wie angemeldet und genehmigt eingehalten wird – sonst droht der Person oder der gesamten NGO vom UN-Gelände, also von weiterer Teilnahme an der Konferenz, „entfernt“ zu werden, im schlimmsten Fall nie wieder zu einer Klimakonferenz zugelassen zu werden.

Unter all diesen Umständen berührte es mich zutiefst, als eine Indigene in einem Side Event auf die Frage „Was für Schäden können überhaupt noch und wie behoben werden?“ in Tränen ausbrach und beklagte, dass mit der Umwelt ihre Heimat, ihre Sprache, ihre Kultur, die Zukunft ihrer Kinder untergeht. Aber dann schniefte sie noch einmal und sagte, dass mit Solidarität und Einheit doch noch etwas zu bewegen sei: „Die, die das verursacht haben, müssen zahlen!“

Die Klimakonferenz in Baku im November und Dezember soll eine Friedens-COP werden, verspricht der aserbeidschanische Präsident. Kurz vorher drohen die Wahlen in den USA einen Klimaleugner, Trump, wieder zum Präsidenten zu küren. Während COP 29 findet gleichzeitig der G 20-Gipfel statt. Von Waffenstillstand, Demilitarisierung, Beendigung von Kriegen fiel so gut wie kein Wort in den Bonner offiziellen Verhandlungen.

Wohl aber war das Thema in den Aktionen der Zivilgesellschaft präsent, auch wenn diejenigen die sich weltweit dafür einsetzen, dass Klimagerechtigkeit nicht ohne Menschenrechte geht, verfolgt werden. Zwischen NGOs und UN-Sicherheitskräften war abgesprochen, dass Kefije und Melone als Symbol für eine Beendigung des Gazakrieges und ein Ende der Besatzung, für ein freies Palästina getragen werden durften. Zwei Frauen wurde eines Morgens für die Melone auf ihrem Pullover der Zutritt verwehrt. Es dauerte, aber letztendlich wurden sie doch eingelassen, ein Irrtum.

Am letzten Tag tauchten dann massenhaft Frauen auf, die ein rotes Oberteil trugen, eine Kefije um die Schulter gelegt, ein Band mit Melone um den Arm. Über ihrem Mund hatten einige eine rote Hand aufgemalt. Die Erde brennt! Menschenrechtsverteidiger:innen wird der Mund verboten. Frauen werden als Opfer von Klimakatastrophe, Krieg und Gewalt benannt aber nicht einbezogen als Akteur:innen der Veränderung.

Am letzten Abend standen diese Frauen gemeinsam hinter der Vertreterin der Women’s Gender Constituency, stellvertretend für Frauen und gender-Gruppen der Welt. Sie trug vor allen Unterhändler:innen, UN-Vertreter:innen und Presse ihre Erklärung vor:

„Die Stimmen und Erfahrungen der Opfer von Kriegen und Kriegsverbrechen, die vom globalen Norden sanktioniert und finanziert werden, dürfen nicht länger ignoriert werden. …

… Wir fordern einen radikalen Wandel, der sich mit der historischen Subventionierung von Frauen durch den Kapitalismus befasst: die unsichtbare, unbezahlte und prekäre Fürsorgearbeit; andernfalls sind wir dazu verdammt, Klimagerechtigkeit und Gleichstellung der Geschlechter nicht zu erreichen!

Abschließend möchten wir die Parteien daran erinnern, dass der Zugang zur Klimafinanzierung eine Frage der Gerechtigkeit ist. Gespräche, Diskussionen und Verhandlungen über NCQG (= New Collective Quantified Goal, die zu vereinbarende Zielsumme bei Klimafinanzierung) müssen sicherstellen, dass die Klimafinanzierung effektiv, in großem Umfang, auf der Grundlage von Geldbewilligungen (grants) und geschlechtsspezifisch bereitgestellt wird. Die Verpflichtungen der Länder des Nordens dürfen nicht als wohltätige Großzügigkeit verstanden werden sondern als Verantwortung für ihre historische und ökologische Schuld.

Wir werden weiterhin das Schweigen und die Komplizenschaft des multilateralen Prozesses in Bezug auf die Völkermorde in Palästina, im Sudan, im Kongo und überall sonst, wo der Profit aus dem Militarismus Vorrang vor Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit hat, aufdecken und zurückweisen.

Wir bleiben bei unserer Forderung, deutlich zu machen, dass es keine Klimagerechtigkeit ohne Menschenrechte gibt.

Wir schließen uns dem Ruf nach Wiedergutmachung an und bekräftigen die gerechte Forderung, dass die Verantwortlichen zahlen müssen! Just Transition! Waffenstillstand jetzt!“