Wer das Buch „Wem gehört Deutschland?“ von Jens Berger aus dem Jahr 2014 im Regal stehen hat, wird sich fragen, ob sich die Lektüre der „vollkommen überarbeiteten Neuauflage“ lohnt. Aber schon das Vorwort der aktuellen Ausgabe macht deutlich: „Ja, unbedingt!“

Berger ist es gelungen, nicht nur die unglaublich beschleunigte Fortführung der Vermögensumverteilung von unten nach oben faktenreich aufzuzeigen. Er weist auch auf die daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Risiken hin, die ebenso steigen wie die Ungleichheit zunimmt.

Dass Berger dabei in einigen Abschnitten erneut auf die weltweit – nicht nur in Deutschland – steigende und damit politisch brisante Vermögenskonzentration in den Händen einer kleinen Schar von Milliardären bzw. Multi-Milliardären zu Lasten von immer mehr Armutsbetroffenen aufmerksam macht, kann man als Mehrwert verbuchen. Inzwischen weiß wohl jeder, dass große Vermögen ebenso große politische und mediale Macht bedeuten. Und ja, US-Präsident Dwight D. Eisenhower warnte in seiner Abschiedsrede im Jahr 1961 vor der politischen Macht des „militärisch-industriellen Komplexes“. Aber Bergers Buch zeigt ebenso deutlich, dass diese Warnung längst ausgeweitet werden muss: nämlich auf einen „militärisch-industriellen-Finanzkonzerne-Komplex“ (siehe „Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen“ von Jens Berger).

Kritisch anmerken kann man, dass der Autor hinsichtlich der Geldschöpfung durch die Banken mittels Kreditvergabe einem weit verbreiteten Irrtum aufsitzt. Seine Aussage „…. das Geld der Sparer, das auf der anderen Seite der Bankbilanz herausgegeben wird“, ist insofern falsch, als Banken keineswegs „Spargelder“ zur Kreditvergabe verwenden. Die Bundesbank verbreitet seit einigen Jahren in ihrem Begleitmaterial zum Schülerbuch „Geld und Politik“ unmissverständlich folgende Aussage: „Tatsächlich wird bei der Kreditvergabe durch eine Bank stets zusätzliches Buchgeld geschaffen. Die weitverbreitete Vorstellung, dass eine Bank schon früher geschöpftes Buchgeld, z. B. Spareinlagen, weiterreichen kann, trifft nicht zu“.

Wir Erwachsene, die noch an einigen Aussagen in unseren inzwischen überholten Lehrbüchern festhalten, sollten die Realitäten deshalb akzeptieren (siehe auch „Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive“ von Dirk Ehnts).

Umso wertvoller sind Bergers bestechende Analysen in den Abschnitten „Corona: Der große Ungleichmacher“ und „Die Wendejahre: Deutschlands Weg in die Multikrise“. Die Ausführungen zu den Gewinnern der Multikrise Deutschlands der letzten Jahre sind es schon wert, dieses Buch zu lesen. Leser, die sich grundsätzlich für Finanzthemen interessieren, kommen auf ihre Kosten. Auch wie schädlich die EZB-Politik der Inflationsbekämpfung für die Realwirtschaft war, wird verständlich erklärt.

Insofern kann die „überarbeitete Neuauflage“ wütend und ein bisschen hoffnungslos machen. Umso wichtiger ist der positiv stimmende Hinweis auf einen revolutionären Kreis in der Gruppe der „Deutschland-Eigentümer“: ein Verein von Multi-Millionären (www.taxmenow.eu) , der sich das politische Ziel gesetzt hat, endlich gerecht besteuert zu werden. Das aktuell bekannteste Gesicht des Vereins Taxmenow e. V. ist die Multi-Millionen-Erbin Marlene Engelhorn, auf deren aktuelles Buch „Geld“ Berger explizit hinweist.

Doch was ist überhaupt die Voraussetzung, um den Sumpf trockenzulegen, in dem die Vermögens- und Machtkonzentration in den Händen weniger Superreichen entsteht? Für Berger ist es die grundsätzliche Ausrichtung wirtschaftlichen und politischen Handelns am Gemeinwohl. Und auch hier gibt es einen Hoffnungsschimmer: Das wirtschaftswissenschaftliche und -praktische Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie (www.germany.ecogood.org) will nicht weniger, als die Dogmen des Neoliberalismus überwinden, und wird auch bereits erfolgreich umgesetzt.

Die „Frankfurter Rundschau“ stellte zur Erstausgabe fest: „Pflichtlektüre für Denker“. Für die überarbeitete Neuauflage ist diese Feststellung zu kurz gegriffen. Treffender ist: „Pflichtlektüre für alle an einer gelingenden Zukunft Interessierte“.

Günter Grzega

Anmerkung des Autors: Aus Gründen der flüssigen Lesbarkeit wurde im gesamten Text grundsätzlich die maskuline Form angewandt. Alle Geschlechter sind jedoch gleichermaßen angesprochen.

 

Buchinfo

Jens Berger
Wem gehört Deutschland? – Die Bilanz der letzten 10 Jahre:
Vollkommen überarbeitete Neuauflage des Spiegel-Bestsellers

Westend Verlag, Mai 2024
272 Seiten, kartoniert
ISBN: 9783864892844

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