Zur aktuellen Debatte um TTIP gibt die Zeitung für internationale Politik Le Monde Diplomatique in „Zwanzig Jahre Freihandel in Amerika“ der Direktorin der US Verbraucherschutzorganisation „Public Citizen’s Global Trade Watch“ Raum für ein Bilanz
Man habe den Leuten „das Blaue vom Himmel herunter versprochen“, stellt Lori M. Wallach, die Direktorin der US Verbraucherschutzorganisation Public Citizen’s Global Trade die Anfänge um die Diskussion von Nafta vor. Mittlerweile seien sich viele Abgeordnete quer durch alle Parteien der USA einig, dass dieses und ähnliche Abkommen „ihnen selbst und der Nation als Ganzes geschadet“ hätten.
Mit dem am 01. Januar 1993 in Kraft getretene nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta hat sich der versprochene Wohlstand für die Mehrheit der Bevölkerung nicht eingestellt. Nafta, so das Ergebnis der Studie, die von der genannten Verbraucherzentrale herausgegeben wurde, wäre ein „ Experiment“ gewesen, welches sich radikal von früheren Handelsabkommen unterschied, da es eben nicht nur den Handel regelte. Die vorausgegangenen Handelspakete hätten sich auf Tarife und Zölle beschränkt, Nafta hingegen „gewährte ausländischen Investoren neue Privilegien und Schutzabkommen […], schuf Anreize für die Verlagerung von Investitionen und Arbeitsplätzen ins Ausland indem es Risiken eliminierte, die bei der Produktionsauslagerung in Billiglohnländer entstehen können […] gewährte ausländischen Investoren das Recht, vor Investor-Staat-Schiedsgerichten Schadensersatz von einem anderen Staat einzuklagen, wenn ihre Gewinnerwartungen durch neue Gesetze dieser Staaten geschmälert wurden“. Ferner wurde Pharmafirmen größeres Recht auf Monopole bei medizinischen Patenten zugewiesen, gleichzeitig die Lebensmittelstandards heruntergeschraubt.
Interessant ist, dass die Berater- und Expertenfirmen wie Gary Hufbauer und Jeffrey Scott vom Institute for International Economics, die schon 1993 mit der Einführung von NAFTA eine bessere Welt propagiert hatten, heute das Gleiche über TTIP behaupteten. Und das obwohl TTIP „dieselben Konstruktionsfehler aufweist wie sein amerikanischer Vorgänger“.
Das versprochen Nafta-Paradies und der harte Boden der Tatsachen
Aber stellen wir doch mal die Versprechen der Nafta-Experten der Realität gegenüber: Versprochen wurde, dass Nafta den Handelsbilanzüberschuss der USA gegenüber Mexiko und Kanada vergrößern würde, dass US-Farmer ihre Einkommen durch mehr Exporte erhöhen könnten, dank Nafta Mexiko zu einem Land der Ersten Welt aufsteigen könne, was wiederum zu weniger (illegalen) Einwanderern in die USA führen würde, die harmonisierten Umwelt- und Verbraucherschutzstandards insgesamt auf einem höheren Niveau angeglichen werden würden und ja, es „werde alles besser: von der allgemeinen Gesundheit über die Lebensmittelersorgung bis hin zur Luft- und Wasserqualität. Und natürlich würden die Verbraucherpreise sinken und die Volkswirtschaften immer weiter wachsen.“
20 Jahre später hat das Handelsbilanzdefizit gegenüber beiden Staaten zur Vernichtung von einer Million US-Jobs geführt. Die US-Firmen hätten die ihnen im Nafta-Abkommen gewährten Privilegien für ausländische Investoren genutzt um ihre Produktion nach Mexiko zu verlagern, wo die Lohn- und Umweltschutzstandards wesentlich niedriger sind. Für die Steuerzahler bedeutete das, die 845.000 US-Arbeitnehmer (Stand 2010) über das Anpassungshilfeprogramm Trade Adjustment Assistance (TAA) zu unterstützen, weil diese durch die Importe aus Kanada und Mexiko und die Produktionsverlagerungen in diese Länder ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Der Abwärtsdruck der Löhne wurde verstärkt, wobei es sozial schwachen und bildungsfernen Schichten am Härtesten traf. Diese Arbeitskräfte „konkurrieren um schlecht bezahlte Stellen im Dienstleistungssektor, die nicht in andere Länder ausgelagert werden können“, die Durchschnittslöhne würden daher seit Nafta „auf der Stelle treten“. Die Nafta-Befürworter hätten zwar eingeräumt, dass Stellen auf dem US Arbeitsmarkt wegfallen könnten, aber dies hätte sich durch die insgesamt verbilligten Importe wieder ausgleichen können. In Wirklichkeit habe sich die Kaufkraft von US-Arbeitnehmern ohne Hochschulabschluss um 12,2 Prozent vermindert und die durchschnittlichen Lebensmittelpreise um 67 Prozent zugelegt. Auch mit dem Argument der Wettbewerbsfähigkeit im US-Dienstleistungssektor lagen die Befürworter grandios daneben. Die durchschnittliche Steigerungsrate von Dienstleistungen nach Mexiko und Kanada sei um knapp 50 Prozent hinter den Zuwachsraten der Zeit vor 1993 zurückgeblieben.
Besonders die Versprechungen besserer Umweltschutz- und Gesundheitsstandards hätten sich als Luftschlösser herausgestellt. Mit den Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) wurden bereits mehr als 360 Millionen Dollar an Kompensationszahlungen erstritten, weil die Staaten Bestimmungen gegen Giftstoffe oder bessere Umweltstandards eingeführt hatten. Derzeit sind übrigens noch 12,4 Milliarden Dollar anhängig.
Statt Win-win-Situation, Lose-lose-Pleite
Auch im Bereich der Lebensmittelgesundheit hat Nafta den beteiligten Staaten nur geschadet: „Vor Nafta waren ausschließlich Lebensmitteleinfuhren von Erzeugern gestattet, die sich an die US-Mindeststandards hielten, was in Mexiko ein einziger Rinderzuchtbetrieb und keine Geflügelzucht geschafft hatten. Seitdem sind die Rindfleischimporte aus Mexiko und Kanada um 133 Prozent gestiegen.“ Der versprochene Wohlstand für Farmer in den Abkommensländern blieb aus. Die meisten erlebten statt einer „Win-win-Situation eine Lose-lose-Pleite“. Der mit Nafta erlaubte Export von subventioniertem Mais habe die Lebensgrundlage von über einer Million mexikanischer Bauern zerstört, den Drogenkrieg wieder angeheizt und insgesamt die Gesellschaft destabilisiert, mit der Folge, dass der Zustrom an illegalen Einwanderern in die USA massiv zugenommen hat. Der Einbruch der Reallöhne und die gleichzeitigen Preissteigerungen hätten dazu geführt, dass „nach wie vor 50 Prozent der Gesamtbevölkerung und mehr als 60 Prozent der Landbevölkerung unter der Armutsgrenze leben“.
Anregungen aus der Zivilgesellschaft werden ignoriert
Wenn Lori M. Wallach [1]die Obama Regierung bezüglich der aktuellen TTIP Verhandlungen beurteilt, kommt sie zu dem Ergebnis, dass: „Die Regierung Obama [..] aus ihren Exzessen nicht gelernt [hat]. Im Gegenteil: Als sie in 2011 ihre Blaupausen für Investitionsabkommen überarbeitete, ignorierte sie alle Anregungen aus der Zivilgesellschaft.“ Trotz der Proteste aus EU-Kommission und EU-Bürger dränge sie darauf, die Schiedsgerichtsbarkeit mit aufzunehmen. Die Profiteure sind dann Konzerne wie Chevron, die aktuell ihre angerichteten Schäden im Amazonas mit Schiedsgerichten übergehen wollen.
Mit Blick auf die laufenden Verhandlungen über TTIP macht es tatsächlich nicht den Anschein, dass mittlerweile empirisch bewiesene Fehler korrigiert werden würden. Laut der Autorin werden die aktuellen Verhadlungen „genauso klandestin und einseitig“ geführt. Mit diesen dem „Gemeinwohl zuwider laufende[n]“ Regelungen müssten wir Verbraucher uns auf eine negative Entwicklung gefasst machen. Unsere Proteste wären nur „zu berechtigt“ und sollten uns „motivieren, dass TTIP-Projekt zu verhindern“.
Die Ergebnisse von Nafta sind, 20 Jahre danach, Fakten, die nicht von der Hand zu weisen oder schön zu reden sind, wie es so viele Befürworter innerhalb der Politik, Wirtschaftswissenschaften und verständlicherweise der Konzerne selbst tun. Die Demonstrationen und Kundgebungen, die im Rahmen des G7 Gipfel in europäischen Städten zahlreiche Bürger auf die Strassen bewegt haben, richteten sich als einer ihrer Kernanliegen gegen das geplante TTIP-Abkommen.
„Forget about partnership!“
Auf dem „Gipfel der Alternativen“ der parallel zu dem Gipfeltreffen der G7 Staatschefs in München stattfand, sagte Jayati Ghosh, eine Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Jawaharlal Nehru University, Neu Delhi, bezüglich dem allgemeinen Begriff „Trade-Partnership-Agreement“: “Forget about partnership!“, und meint damit, dass derartige Handelsabkommen ob nun Nafta mit den Ländern Amerikas oder die zahlreichen Abkommen der WTO und des IWF mit Ländern weltweit, nie eine gleichberechtigte Partnerschaft anstreben. Stattdessen zielen sie eher auf die Ausbeutung, Neokolonialisierung und ein langfristiges Abhängigkeitsverhältnis schwächerer und/oder ressourcenstarker Länder. Mit TTIP, CETA und allen weiteren für Gesellschaften ähnlich desaströsen Abkommen wären die Weichen gestellt für ein Europa, das dann hochoffiziell nur noch von den Interessen multinationaler Konzerne und der Hochfinanz gelenkt werden würde. Es bleibt zu hoffen, dass diese Abkommen am massiven Widerstand der Bürger scheitern.
Henriette J.
[1] Lori M. Wallach ist Direktorin der US-Verbraucherschutzorganisation Public Citizen’s Global Trade Watch, Washington, D.C. Die vollständige Studie (2014) ist abrufbar unter: www.citizen.org/documents/NAFTA-at-20.pdf. Der Artikel ist erschienen in der Le Monde Diplomatique, Juni 2015 unter dem Titel „Zwanzig Jahre Freihandel in Amerika“.